Hafentag

 

Heute ist Hafentag. Der große Hafentag. Seit Wochen sprechen alle darüber: Heute kommt das große Schiff und alle sollen wir zum Hafen kommen.

Es wird bereits Abend und bei ablandigem Wind kreuzt der mächtige weiße Windjammer vor der Küste auf.

Ein paar Schläge noch und er läuft bis über die Toppen geflaggt in den Hafen ein. Rasselnd fällt der Anker und die vielen Kapellen, Orchester und Bands im Hafen stimmen schmissige Lieder an. Die Menschen jubeln.

Sofort wird die Besatzung ausgeschifft: die Matrosen in blütenweißem Tuch, die Offiziere in ihren schneidigen dunklen Uniformen. Braungebrannt, blendend und gut in Form sehen sie alle aus. Bei aller Ähnlichkeit kann man sie doch unterscheiden, nämlich an farbigen Bändern an ihren Mützen. Diesmal gibt es die fünf Farben Nacht-Schwarz, Abend-Rot, Gras-Grün, Himmel-Blau und - seltener - Morgen-Rot. Die Besatzung verteilt sich rasch und diszipliniert auf zwei verschiedene Kais. Der eine Kai liegt direkt in Sicht- und Hörweite der Menschen am Ufer, der andere ein Stück weiter entfernt dahinter. Auf beiden Kais hatten schon einige Matrosen gewartet, die mit Barkassen von den Seiten herangefahren worden waren.

Nun bestimmen die Menschen am Ufer die neue Mannschaft: Die Hälfte vom vorderen Kai, wo sich die Matrosen laut rufend vorstellen und versprechen, schöne Dinge mitzubringen, die daheim Bleibenden unverbrüchlich im Gedächtnis zu behalten und die Menschen ständig vor allen denkbaren Gefahren zu beschützen.

Die andere Hälfte kommt vom hinteren Kai. Für den zweiten Kai gibt es lange Listen, die die Menschen am Ufer abhaken, allerdings nicht abändern dürfen. Mancher Matrose, der auf dem ersten Kai nicht zum Zuge gekommen ist, steht zu seinem Glück auch auf einer dieser Listen und rudert noch hurtig nach hinten zum zweiten Kai. Die Matrosen des entfernteren Kais sind zwar viel unscheinbarer, aber erst deren Wahl - das ist nicht allen hier so recht bewusst - tariert das Kräfteverhältnis an Bord richtig aus und hilft allen Farben beim Bewahren des Bewährten.

Die neue Mannschaft schifft sich unverzüglich wieder ein. Rasselnd hebt sich der Anker. Blechern und klagend tönt es nun zur Musik der Kapellen, Orchester und Bands aus allen Lautsprechern des Hafengeländes:

"Muss i denn, muss i denn,
zu-hum Städele hinaus
Städele hinaus
u-hund du mein Schatz bleibst hier!"

Wir am Ufer antworten etwas wehmütig:

"My Bonnie is over the ocean,
my Bonnie is over the sea;
my Bonnie is over the ocean,
oh bring back my Bonnie to me!"

Mit Achterwind gleitet das Schiff majestätisch an der Mole vorbei und strebt dem offenen Meer zu.

Dort haben die Wellen kleine Kronen aufgesetzt. Der Steuermann geht auf Raumschotkurs. Das Schiff krängt im aufkommenden Wind und nimmt rasch Fahrt auf. An Bord ist der erste Abschiedsschmerz überwunden. Zwischen den Böen dringen ein paar Fetzen mit neuer Aufbruchstimmung ans Ufer zurück:

"Aus grauer Städte ...
fahr'n wir in die Welt.
Wer bleibt ... versauern,
... fahren ... Welt!"

Gerade noch zu erkennen, signalisiert der Flaggenmaat zu uns hinüber: "Kapitän gewählt, Kapitän hat Offiziere bestimmt, Kurs festgelegt, keine besonderen Vorkommnisse." Wir hatten es nicht anders erwartet.

Draußen auf der Reede dreht das Schiff kurz bei. Es schließt sich einer Flotte von Kauffahrteischiffen an, die dort gewartet hatten. Im Licht der untergehenden Sonne verschmelzen die Schiffe miteinander und mit dem grauen Horizont und sind auch schon außer Sicht.

Die Menschen an Land sind sehr beeindruckt. Das routinierte Hafen-Manöver hat diesmal nicht mehr als eine Stunde gekostet, ein neuer Rekord. In vier Jahren wird uns das stolze Schiff erneut die Ehre geben.

Kommen Sie dann noch einmal mit zum Hafen?

 

 

Das erste Bild zeigt die Mircea, ein Schwesterschiff der ursprünglichen Gorch Fock.

Lebenslauf: Gebaut von Blohm + Voss und 1938 in Dienst gestellt, ist das Schiff seit dieser Zeit im Besitz der rumänischen Marine. Nach dem zweiten Weltkrieg war sie kurzfristig von der Sowjetunion übernommen worden. 1966 kam sie nach Hamburg zu Blohm + Voss und wurde hier generalüberholt. Die 'Mircea' ist heute noch im Einsatz. Die 'Mircea' ist das einzige der Schwesterschiffe der 'Gorch Fock I', das wirklich baugleich mit der GORCH FOCK (I) ist.
http://esys.org/bigship/mircea.html

Auf dem zweite Bild segelt die Gorch Fock II von hinnen, die heute bei der Bundesmarine in Dienst steht.
www.bundeswehr.de/bundeswehr/streitkraefte/marine/waffensysteme/gorch.htm

Gorch Fock alias Johann Kinau steht für Heimat, See und Mundart. Birgit Esser hat die ebenso einfühlsame wie abgewogene Lebensgeschichte eines Dichters geschrieben, der in zu einer falschen Zeit gelebt hat:
http://www.fulgura.de/etc/kapitel2.htm

Und auf dem dritten Bild hat der Rügener Marinemaler Möller die "Pamir im Sturm" festgehalten. Sie können das Bild kaufen - ebenso wie weitere interessante und in einer sehr aufwendigen Technik gemalte Motive. Schauen Sie mal vorbei:
http://www.kreidefelsen.de/art-galerie/moeller.htm