Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahre 1993

 

29.12.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 4.1.1994

Medien; Stadt-Anzeiger v. 29.12.1993

Im Zusammenhang mit dem Kommentar von Barbara Cepielik im Stadt-Anzeiger v. 29.12.1993 ("Lust auf Katastrophen") möchte ich für Nüchternheit und etwas Selbstkritik werben: Die Menschen sind nicht besser und nicht schlechter als in einer Gesellschaft zu erwarten steht, die das Elend Dritter als Konsumgut behandelt und handelt. Nicht zuletzt von der Multiplikatorwirkung für uns Heerscharen von angebundenen Gaffern und Spannern leben auch die Druckmedien und nirgends war schlammiges Wasser so ästhetisch schön und anziehend eingefangen wie auf der weihnachtlichen Titelseite des Stadt-Anzeigers. Muddy news are good news und das Pressehaus ist manchmal ein Glashaus.

 

23.12.1993
Kölner Stadt-Anzeiger
Militärpolitik; Schäuble-Vorschlag zum internen Einsatz der Bundeswehr (Stadt-Anzeiger v. 22.12.1993):

Kreativ ist er schon, unser Schäuble: wenn die Bundeswehr schon im fernen Ausland keine Blütenträume reifen läßt - dann vielleicht im Inland? Als Begründung instrumentalisiert und verstärkt er dabei Ängste vor globalen Wanderungsbewegungen und Abneigungen gegen Ausländer. Schäuble besorgt in dem Versuch, extremes Wählerpotential zu erschließen, schlicht und einfach das Geschäft derer, die nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Ich empfehle ihn zur Beobachtung.

 

22.12.1993
Kölner Stadt-Anzeiger
Militärpolitik; Kabinettbeschluß v. 20.12.1993 zum Abzug aus Somalia (Stadt-Anzeiger v. 21.12.1993)

Somalia war schlicht ein Flop. Der unwürdige Abgang ist nun geprägt von der handhaften Angst, bei Verlassen der guten Deckung in Belet Huen noch Schaden zu nehmen.

Das wirkliche Opfer ist allerdings die Idee eines uneigennützig-humanitären militärischen Engagements. Clinton sagt es sehr deutlich: Künftig kann nur noch die unmittelbare Bedrohung der globalen Sicherheit, können nur die wohlverstandenen Interessen der Eingreifenden entscheidend sein. Nicht mehr Somalia, gar nicht erst Bosnien, sondern ausschließlich Kuwait ist das Muster mit Zukunft. Wollen wir das?

 

09.12.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Militärpolitik; Karl Feldmeyer in der FAZ v. 08.12.93, S. 1 ("Die Bundeswehr in Not")

Herrn Feldmeyer ist nachdrücklich beizupflichten:
Die Berufsarmee ist der Abschied vom Staatsbürger in Uniform. Sie schließt endgültig ab mit der Idee einer Bundeswehr, die die Einstellungen der Bevölkerung so getreulich wie eben möglich widerspiegelt und gerade darum Konsens findet.

Schon heute weist eine aktuelle Studie des Sozialwissenschaft-lichen Instituts der Bundeswehr in München eine deutliche Verschiebung des Bewerberpotentials der Bundeswehr hin zur äußerst rechten Seite des politischen Spektrums nach und warnt vor der Gefahr zunehmender Attraktivität der Bundeswehr für junge Männer, die den demokratischen Zielen und Werten kaum oder gar nicht verbunden sind (SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993).

Eine Berufsarmee kann diesen Trend nur verstärken, insbesondere bei einem künftigen Aufgabenspektrum, das über die unspektakuläre, weil nicht sehr wahrscheinliche Landesverteidigung hinausreicht. Die Vorstellung aber, von Rechtsradikalen z. B. bei einem humanitären Auslandseinsatz vertreten zu werden, ruft bei mir erhebliche Beklemmungen hervor. Dies wäre nicht mehr die Armee, zu der ich mich vor 20 Jahren aktiv bekannt habe.

 

30.11.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 10.12.1993

Deutsche Einheit; "Putbus ist kein Einzelfall" von Thomas Wüpper im Stadt-Anzeiger v. 30.11.1993

Wer eine - jedenfalls in den Grundzügen - gerechte Eigentumsordnung als die wichtigste Garantie langfristiger sozialer Stabilität begreift, muß sich um die neuen Bundesländer die ernstesten Sorgen machen. Restitutionsregeln, die auf eine lange gewachsene Wirklichkeit keine Rücksicht nehmen, und eine abrupte Wirtschafts- und Währungseinheit, die zum schnellen Kollabieren der unvorbereiteten östlichen Industrien ganz wesentlich beitrug, haben zu einer ungleichen Zuteilung ökonomischer Chancen geführt, die nun für viele Generationen festgeschrieben ist: Gewinnler aus dem Westen - fast nur Verlierer im Osten.

Eine fiktive Bodenkarte, die die wirtschaftlich hoffnungsvolleren Liegenschaften der neuen Länder farblich nach westlicher/östlicher Kontrolle differenziert, wäre mit Sicherheit schon heute recht eintönig.

Zu rätseln bleibt nur, ob Absicht oder Unverstand, Vorsatz oder Fahrlässigkeit dahinterstand.

 

06.10.1993
Kölner Stadt-Anzeiger
Militärpolitik; "Weizsäcker regt Dienstpflicht für alle an" und dem begleitenden Kommentar von Günther M. Wiedemann im Stadt-Anzeiger v. 06.10.1993

Das Gespür für krasse demokratische Defizite hat unseren Präsidenten verlassen. Wie kürzlich schon Rühe und auch Kinkel drängt er auf eine rasche Entscheidung zum erweiterten Auftrag der Bundeswehr und möchte einem streitigen Wahlkampfthema zuvorkommen.

Was aber war die bisherige Debatte wert? Sie bestand im konkreten Kern aus der Berichterstattung über zuvor staatsmännisch gesetzte Fakten - über den Adria-Einsatz der "Bayern", die AWACS-Beteiligung im Balkan-Konflikt und das Somalia-Engagement. Gerichte wurden konsultiert, aber nicht der Souverän beteiligt, das Volk. Das Debakel humanitär gemeinter Militäreinsätze in Somalia, aber auch schon in Jugoslawien wurde praktisch nicht verarbeitet.

Unsere Bundeswehr braucht aber einen ehrlich mitgefundenen und damit dauerhaft mitgetragenen Konsens, kein dekretiertes Schweigen. Und sie verdient Aufgaben, die ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung auch persönlich umzusetzen bereit ist. Sie braucht keine Söldnerfunktionen oder Söldnerabteilungen.

 

25.08.1993
Rheinischer Merkur; abgedruckt: 10.9.1993
Militärpolitik; Ausländerfeindlichkeit
T. Kielinger im Merkur v. 20.08.93, S. 1 ("Wofür noch Verteidigung?")

Es mindert eigene Betroffenheit und ist daher höchst verführerisch, die erweiterten Aufgaben der Bundeswehr auf ein Berufsheer zu delegieren. Aber es ist gefährlich:

Zum einen verlöre der Staat ein für die angemessene Handhabung seiner militärischen Werkzeuge wichtiges feedback: der Staat darf letztlich nur anordnen, was er persönlich - idealiter unter repräsentativem Engagement der Bürger - auch in die Tat umzusetzen bereit ist. Die unkritische Verfügbarkeit einer légion étrangere oder eines dirty dozen, die noch dazu an laufenden Beweisen der eigenen Effizienz interessiert sein müssen, ist eine viel zu geringe Hürde.

Zum zweiten: Die Gemeinschaft darf nicht den Eindruck erwecken, sie wolle einigen wenigen Bürgern das Recht auf Leben und physische oder psychische Unversehrtheit abkaufen. Gerade in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit und insbesondere in den neuen Bundesländern würde dies wie eine Verleitung zur Prostitution besonders schutzwürdiger Rechte wirken (die sehr attraktiven Zulagen nach dem neuen Auslandsverwendungsgesetz haben bereits genau diesen Beigeschmack).

Und schließlich: Eine Berufsarmee entfernt sich weiter von der Idee einer Bundeswehr, die möglichst die Einstellungen der Bevölkerung wiederspiegelt. Eine aktuelle Studie des Sozial-wissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr in München identifiziert schon jetzt eine deutliche Verschiebung des Bewerberpotentials der Bundeswehr hin zur rechten Seite des politischen Spektrums und warnt vor der Gefahr zunehmender Attraktivität der Bundeswehr für junge Männer, die den demokratischen Zielen und Werten kaum oder gar nicht verbunden sind (SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993). Diese Tendenz wird durch Schaffung einer Berufsarmee, die auch Aufgaben einer Fremdenlegion erfüllen soll, gewaltig angefacht. Die Vorstellung, von Rechtsradikalen bei einem Auslandseinsatz vertreten zu werden, ruft bei mir erhebliche Beklemmungen hervor.

 

23.08.1993
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik; Ausländerfeindlichkeit
"Hehre Ziele und die wirtschaftliche Sicherheit des Staatsdieners" von Günther M. Wiedemann im Stadt-Anzeiger v. 20.08.1993 (

Der angedeutete Trend bei den Verweigererzahlen ist mit größter Vorsicht zu genießen: Der Rückgang der letzten Monate ist nach Erfahrung des zuständigen Bundesministeriums für Frauen und Jugend (nicht: Familienministerium) ein reiner Saison-Effekt. Die voraussehbare Entwicklung wird zu einem mit dem Vorjahr in etwa vergleichbaren Gesamtergebnis führen. Das ebenfalls sachverständige Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr in München erwartet sogar weiteren Aufwuchs der Verweigererzahlen.

Brisanter noch ist aber die Frage der Auswirkung der neuen Ausrichtung der Bundeswehr auf deren ideologischen Querschnitt: Bezogen auf den Bevölkerungsdurchschnitt identifiziert eine aktuelle Studie des genannten Bundeswehr-Instituts schon jetzt eine deutliche Verschiebung des Bewerberpotentials der Bundeswehr hin zur rechten Seite des politischen Spektrums (SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993). Die Studie warnt vor der Gefahr zunehmender Attraktivität der Bundeswehr für junge Männer, die den demokratischen Zielen und Werten kaum oder gar nicht verbunden sind. Überraschen muß das freilich niemanden: Welche Anziehungskraft auch nur paramilitärische Ausbildung auf die extreme Rechte ausübt, hat die kürzlich aufgedeckte rechtsradikale Unterwanderung der Freiwilligen Polizeireserve Berlins warnend gezeigt.

 

16.08.1993
General-Anzeiger
Militärpolitik; "Scharping sagt ja zu jeder Art von Blauhelm-Einsatz"; Kommentar von E. Kohrs in der Ausgabe vom 14./15.08.1993

Der Zeitpunkt verwundert: Am Somalia-Modell zeigt sich heute auch nach Auffassung früherer Befürworter, daß ein humanitärer und gleichzeitig auf Dauer unparteilicher Eingriff militärischer Formationen ein Trugbild war, eine durch die Realität gründlich desavouierte ABM-Hoffnung der NATO.

Und gerade nun eilt die SPD zu den Fahnen! In der Gegenrichtung sind bereits die Italiener unterwegs - aber die sind ja auch eher für bewußtes und selbstverantwortetes Leben bekannt als für Disziplin und Kampfkraft.

 

16.08.1993
FOCUS
Militärpolitik; Jach: "Trippelschritte nach New York" in FOCUS 33/1993

Wäre Voraussetzung der Mitwirkung im Sicherheitsrat die Fähigkeit und die - durch nationale Vorbehalte nicht groß behinderte - ständige Bereitschaft zum Losschlagen, wir hätten von den Entscheidungen des derart verlesenen Gremiums noch viel Überraschendes zur Rettung der Welt zu erwarten und wir sollten diese Gesellschaft nicht suchen. Die Einrichtung heißt aber zu recht Sicherheits-, nicht etwa Kriegerrat und beispielsweise China weigert sich seit Jahren beharrlich, diejenige Einsatzfreude zu zeigen, die die amerikanischen Senatoren Roth und Conrad nun den Deutschen (wie abgerufen?) abverlangen.

Wir brauchen uns nicht an der Nase herumführen zu lassen in Richtung auf ein in Somalia inzwischen offen gescheitertes Krisenbewältigungsmodell. Roth und Conrad entscheiden m. W. auch nicht allein über die Vergabe von Sitzen im Sicherheitsrat und die Frage der Stimmberechtigung ist nach wie vor völlig offen.

 

13.08.1993

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Deutsche Einheit;
Leitartikel von Friedrich Karl Fromme in FAZ v. 12.08.1993 ("Risse in Deutschland")

Ich möchte weitergehen als Fromme: Nicht Risse über einer noch immer verbindenden Basis sind Bild der deutschen Wirklichkeit, sondern Trennflächen zweier Körper, die verwickelt und verschachtelt, aber nach wie vor geschieden sind. Gerade Maßnahmen zur Verschmelzung wie die rasche Herbeiführung einig westlicher Währung (damals angepriesen, aber erfolglos als Mittel zur Unterdrückung der Binnenwanderung) und einig westlichen Rechts dürften die Trennung perpetuiert haben: sie haben auf langjährig gewachsene soziale und ökonomische Wirklichkeit in der Hast wenig Rücksicht genommen und Land und Leute dem konkurrenzlos überlegenen Zugriff der "Sieger" ausgesetzt. Wir-Gefühle hatten und haben es da schwer.

 

13.08.1993
Die Zeit
Militärpolitik; Theo Sommer "Bomben gegen Gewissensbisse" u. Fritz-Vannahme "Zur Macht" in ZEIT Nr. 33 v. 13.08.1993

Die SPD verhält sich auf selbstzerstörerische Weise antizyklisch: Die Basis ist noch gar nicht auf erweiterte militärische Engagements eingeschworen - und gleichzeitig stehen bereits die Zeichen einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Somalia-Operation und eines untauglichen Bemühens um Jugoslawien am Himmel. Letzteres zeigt, wie Sommer zutreffend beschreibt, deutlich die engen Grenzen unserer Erkenntnis- und Gestaltungsmöglichkeiten und führt unsere selbstbezogenen Ordnungsträume ad absurdum.

Wenn sich noch zu diesem Zeitpunkt die Parteispitze der SPD in einer Telefonkonferenz (!) auf die Militärdoktrin der Regierung zubewegt, spricht es für eine träge Masse erheblichen Umfangs.

 

12.08.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Militärpolitik; Leitartikel von Günter Krabbe in FAZ v. 10.08.1993 ("Was tun in Somalia?")

Krabbe hat das Somalia-Debakel plastisch geschildert. Eigentlich müßten nun einige Strategen des Westens, die an ihren grünen Tischen kühne Konstruktionen zur Rettung der Welt und der eigenen Aufgabe gebastelt hatten, von Zweifel an ihrem Realitätsbezug geplagt sein. Eigentlich.

 

12.08.1993
Die Welt; abgedruckt: ca. 15.8.1993
Militärpolitik; Lothar Rühls Kommentar in der WELT v. 12.08.1993 ("Schicksalsstunden der NATO")

Rühls Kommentar ist nachdrücklich zuzustimmen. In Bosnien - aber auch in Somalia - wird für den vermutlich untauglichen Versuch gezahlt, lokale Konflikte mit militärischen Werkzeugen und scheinbar unparteilich aus der Welt zu schaffen. Die Einsicht wird schwerfallen, richten sich doch alle Hoffnungen der etablierten militärischen Organisationen gerade auf diese Chance der Diversifikation. Cyril N. Parkinson läßt grüßen!

 

11.08.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 13.8.1993
Militärpolitik; Artikel v. 11.08.1993 "Soldaten sollen UN-Auftrag auch mit Waffen verteidigen können"

In einer Telefonkonferenz (!) hat das SPD-Präsidium Verheugens Vorstellungen gutgeheißen - Vorstellungen, die Lamers (CDU) insbesondere wegen des bewußten Offenhaltens der Einsatzvoraussetzungen bereits hocherfreut aufgenommen hatte.

Warum nicht Demokratie wagen und die Bevölkerung - mindestens die eigene Basis - fragen? Dort besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf zur Nutzen-/Lastenrelation militärischer Einsätze außerhalb der Landes- oder Bündnisverteidigung!

 

06.08.1993

Die Welt; abgedruckt: 15.6.1993
Ausländerpolitik; Brandanschläge auf Türken (Welt v. 08.06.1993, S. 1: "Kohl: Deshalb blieb ich ...", S.6: Kremp:"Verwüstung der Seelen")

Schandtaten, die aus der Mitte eines sozialen Verbandes heraus verübt werden, einer möglichst kleinen Gruppe mit geringer Identifikationseignung zuzuweisen, ist menschlich. Die eskalierende Zahl der Taten und die soziale Diversität der Täter sprechen aber deutlich für ein Strukturproblem. Darauf hat H. Kremp - über die Ursachen kann man streiten - zutreffend hingewiesen. Die Täter von morgen sind unter uns, bei uns.

Unser Staat kann eine große Zahl möglicher Opfer nicht mit präventiven polizeilichen Mitteln von einem diffusen Täterpotential schützen, vor allem nicht schnell. Gerade darum ist das mindeste, daß jeder an seinem Platz - und die Staatsführung zuerst - unzweideutiges Zeugnis für ein Zusammenleben mit ausländischen Mitbürgern ablegt. Der Kanzler hat die Realität gescheut und mit seinem Fehlen ein grob mißverständliches Signal gesetzt.

 

16.06.1993
Kölner Stadt-Anzeiger
Militärpolitik; Leitartikel v. 16.06.1993 "Regierung befürchtet Erfolg der SPD-Klage"

Wehklagen der Regierung sind unangebracht: Sie hat bei Vorbereitung und Anordnung des von Beginn an zwielichtigen Somalia-Unternehmens das Ansehen Deutschlands bewußt zur Geisel gemacht. Es wäre nur fair, würde das Verfassungsgericht diese Strategie nicht noch belohnen und die Verantwortung deutlich bei den Verantwortlichen anheften.

 

08.06.1993
FOCUS; abgedruckt: FOCUS 25/1993

Ausländerintegration; "Angst vor dem Krieg auf der Straße"; FOCUS 23/1993

Er weht wieder. Er knattert sogar häßlich im aufkommenden Wind, der Mantel der Geschichte. Unserem prominentesten Historiker hat es niemand erklärt. Der hat sich flugs geduckt, hat kein Zeugnis abgelegt und durch Passivität ein zumindest mißverständliches Signal gesetzt - weltweit! Zum Staatsmann qualifizieren nicht nur die guten Wetterlagen.

 

07.06.1993
Kölner Stadt-Anzeiger
Ausländerintegration

Zur Abwesenheit des Bundeskanzlers bei den Trauerfeierlichkeiten nach dem mehrfachen Mord in Solingen:

Natürlich ist es ungleich schwieriger, die Heime von ausländischen Mitbürgern gegen feige Anschläge zu sichern, als die von Ministern. Gerade weil dies ein so simples Rechenexempel ist, besteht aber die besondere Plicht unserer Regierung, Flagge und positive Meinungsführerschaft zu zeigen. Unser Kanzler in dieser Situation: ein Ohnemichel, der national wie international tief enttäuscht hat.

 

21.05.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 25.5.1993
Militärpolitik; Generalinspekteur der Bundeswehr General Klaus Naumann in KStAnz Nr. 116 v. 19.05.1993, S.5

Im deutschen Heldenhimmel ist bereits vorsorglich Quartier gemacht für zwangsläufige "out of area" - Opfer unter deutschen Soldaten. Der Ton ist falsch. Nicht staatlich empfohlene, einigende Trauer wird angesagt sein, sondern menschliches Mitleid mit unseren Mitbürgern und deren Angehörigen, denen ein besonderes Gewaltverhältnis wegen neuer, demokratisch noch nicht abgesicherter Ambitionen ihrer Vorgesetzten plötzlich zur tödlichen Falle geraten ist.

Ein Gewinn wird allerdings sein: AM Kinkel kann gleichberechtigt an künftigen Schweigeminuten zum Gedenken gefallener Soldaten teilnehmen und braucht nicht länger - wie von ihm berichtet - den fragenden Blicken seiner erlauchten Kollegen auszuweichen.

 

04.05.1993
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt; abgedruckt: 21.05.1993
Militärpolitik der Kirche; Demokratie; Hans-Albrecht Pflästerer im Sonntagsblatt v. 30.04.1993 ("Kneifen gilt nicht!")

Derzeit geschieht nichts weniger als das Vergessen unserer bittersten nationalen Erfahrung und der Verlust einer der wenigen Eigenarten der Bundesrepublik - der nach ungeheuren Verbrechen und Verlusten erlernten Beschränkung unserer bewaffneten Kräfte auf Verteidigung. Der Grund ist nicht, daß die Welt schlechter geworden wäre. Vielmehr bergen in einer geänderten geopolitischen Lage strategische Eingriffe nun ein geringeres Eskalationsrisiko und gleichzeitig drängen Militärorganisationen, die über Nacht ihr Feindbild verloren haben, nach neuen Aufgaben.

Bevor die Kirche diese Strategie mit Seelsorge flankiert und in den Augen der betroffenen Soldaten absegnet, muß sie sich energisch melden in der zuerst erforderlichen gesellschaftlichen Diskussion über Nutzen und genau konkretisierte Anwendungsfälle von "out of area"-Einsätzen der Bundeswehr. Kneifen gilt nicht!

 

21.04.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 27.4.1993
Somalia-Einsatz der Bundeswehr (Titelgeschichte und Kommentar von Ada Brandes in KStAnz Nr. 92 v. 21.04.1993).

Sie haben es also geschafft, unsere Parteistrategen: Die Republik ist in einer der wenigen identitätsbildenden Ausrichtungen - Beschränkung der bewaffneten Kräfte auf die Verteidigung - gründlich umgepolt worden. Der Staatsbürger in Uniform wird in seinem nun bei weitem wahrscheinlichsten Einsatz Fremdenlegionär sein. Das Wahlvolk war nicht beteiligt.

Die real existierende deutsche Demokratie gleicht immer mehr einem mißlungenen Sorbet: Unten die in sich zusammengesunkene Bevölkerung, darüber ein trennender, auch für fundamentale Fragen unüberwindlicher Hohlraum, ganz oben die feine selbsttragende Schaumstruktur der Parteien.

 

20.04.1993
FOCUS; abgedruckt: FOCUS 18/1993
Militärpolitik; "Marsch ins Ungewisse" in FOCUS 16/1993

Bisweilen bewundere ich die Lucky-Luke-Weltsicht unseres politischen Nachwuchses: Glaubt Stefan Schwarz (CDU), daß auch nur ein einziger ethnischer Konflikt durch wie auch immer geartete Gewalt dauerhaft kuriert werden kann? 40 Jahre Ostblock stehen deutlich dagegen. Wird er bei der Nagelprobe persönlich dabei sein oder sich dann doch lieber auf § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz berufen?

 

20.04.1993
Der Spiegel
"... morgen die ganze Welt" in Spiegel 16/1993 mit begleitendem Augstein-Kommentar

Gehört - um das einleitende Wimmer-Zitat zum Ursprung zurückzuführen - in der Frage einer Änderung der bisherigen deutschen Militärdoktrin Deutschland den großen Parteien?

Nein. Trotz außenpolitisch bereits völlig veränderter Rahmenbedingungen haben die Parteien vor der letzten Wahl gerade kein entsprechendes Mandat eingefordert. Sie suchen auch jetzt nicht den Austausch mit der Bevölkerung, sondern beschränken sich auf Verhandlungen auf Parteiebene und die Einholung von Rechtsrat. Diese Inversionslage mag den Parteistrategen sonnig erscheinen. Nur erstickt sie die Demokratie.

 

17.04.1993
Die Zeit
Militärpolitik; Demokratie; ZEIT-Debatte der "out of area"-Frage in Heft 15/1993 sowie Beiträge von R. Leicht und H. Schmidt in Heft 16/1993

Wer Staatsform nicht nur als Formalie versteht, wird sich zuallererst an dem von Beginn an sehr undemokratischen Weg nach "out of area" stoßen:

Die großen Parteien sind dem Wahlvolk auf dem Weg zum Kampfplatz bereits um einige Tageslängen voraus, die verfassungsändernde Mehrheit im Marschgepäck. Eine kleine, aber feine Vorhut der vorderen Formation hat das Schlachtgetümmel bereits zum (Ein-) Greifen nah im Visier. Über allem kreist beobachtend und beratend das höchste Gericht.

Einen bottom-up-approach - eine auf Änderung unserer bisherigen Militärdoktrin gerichtete breite Initiative aus der Bevölkerung - würde in einer derart grundlegenden und gleichzeitig komplexen Frage zwar niemand erwarten. Hier bekommen wir aber nicht einmal top-down in der grundgesetzlich - Art. 20 Abs.1 S.1 - vorausgesetzten Form: Trotz außenpolitisch bereits völlig veränderter Rahmenbedingungen haben die Parteien vor der letzten Wahl gerade kein entsprechendes Mandat eingefordert! Sie suchen auch jetzt nicht den Austausch mit der Bevölkerung, sondern beschränken sich auf Verhandlungen auf Parteiebene.

In der Sache spricht uns Helmut Schmidt (ZEIT Nr. 16) aus dem Herzen: Nicht Bosnien ist repräsentativ für die potentiell wichtigen und erfolgversprechenden Einsatzgebiete unserer heutigen und künftigen Bundeswehr. Wer anderes will, verrückt den personellen und ideologischen Querschnitt des bisher demokratischsten aller deutschen Heere merklich in Richtung "légion étrangere", "dirty dozen" oder Wehrsportgruppe.

 

14.04.1993
Die Welt
Militärpolitik; Demokratie; "out of area" - Einsätze der Bundeswehr (WELT v. 14.04.1993. S.1. Kampfeinsätze: Regierung bedrängt die SPD)

Trotz vieler beglückender Geschichtsstunden und Staatsrechtsvorlesungen quält mich ab und zu Ungewißheit in der Frage, welcher Staatsform Staatsbürger ich eigentlich bin.

Da schickt sich die stärkere der Regierungsfraktionen an, der gewichtigeren Oppositionsfraktion ein über bereits ausgehandelte Blauhelm-Missionen hinausgehendes Einsatzfeld abzunötigen und droht dabei mit der Verkürzung von Rechten des Souveräns, der Vertretung des Volkes.

Dabei ist den Handelnden ein wenig aus dem Blickfeld geraten, daß das Volk selbst mehrheitlich an der teuer bezahlten und bisher staatsprägenden Beschränkung auf Verteidigung hängen und sich berechtigt für die Effektivität der künftigen Einsätze interessieren könnte. Im letzten Wahlkampf hatten die Parteien ein ihr heutiges Vorgehen rechtfertigendes Mandat jedenfalls weder verlangt noch erhalten. Diese unbekümmerte Strategie kann sich eigentlich nur leisten, wer annimmt, daß unsere real existierende Demokratie keine Partizipationsprobleme birgt.

 

13.04.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 16.04.1993
Militärpolitik; Schäuble zu weitergehenden Kampfeinsätze der Bundeswehr in Jugoslawien (KStAnz. v. 13.04.1993)

Schäuble führt Deutschland mit Riesenschritten zurück zur scheinbaren Normalität voller militärischer Schlagfähigkeit.

Gilt die unter schrecklichen Verlusten erworbene besondere Friedfertigkeit der Deutschen heute bereits so wenig, daß sie mir nichts, dir nichts zwischen zwei Bundestagswahlen zur Disposition gestellt werden könnte, von einem Manne zudem, dem ein aktiver deutscher Jugoslawien-Einsatz noch vor wenigen Wochen zutreffenderweise als historisch absurd erschien?

Über eher sekundäre Themen wie Autobahnmaut wird in Deutschland heutzutage erregt gestritten, aber eine breite öffentliche Diskussion weltweiter Waffeneinsätze der Bundeswehr (vom Kaliber der Wiederbewaffnungsdebatte der Nachkriegsjahre) scheint den Parteien nicht angeraten - sie werden schon wissen, warum.

 

12.04.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt:14.04.1993
Militärpolitik; Einsatz der Bundeswehr im Ausland

Wer diesen Einsatz unterstützt, muß sich die simple Frage stellen: Hätten wir völlig überzeugt Väter, Söhne, Ehemänner, Wähler und etwaige wehrwillige MdB’s nach Kuwait geschickt, bei allen Zweifeln, die sich zum Handling dieses Konflikts aufdrängen, zu seinem Beginn, seiner Beendigung und seinem jüngsten Wiederaufleben?

Es beruhigt uns wenig, daß wir Deutsche uns voraussichtlich immer zu dem deutlich größeren Haufen zugesellen werden und damit die Wahrscheinlichkeit des Tötens ungleich höher ist als die des Sterbens. Soveränität bedeutet befreite, nicht verengte Entscheidung. Souveränität befähigt auch, auf archaische Handlungsformen zu verzichten, die mit der Leerformel Vaterlandsinteresse angepriesen werden.

Unsere Geschichte gibt dazu allen Anlaß. Nur – dies Erkenntnis liegt, offenbar über Nacht, außerhalb aller Mehrheiten.

 

15.02.1993
Kölner Stadt-Anzeiger
Deutsche Einheit; Alkoholmißbrauch im Straßenverkehr der neuen Bundesländer ("Mehr Alkoholunfälle in den neuen Ländern", Stadt-Anzeiger v. 15.02.1993)

Freier Tod für freie Bürger
- freilich auch gute Kasse!

 

12.02.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Militär; Leitartikel Kurt Reumanns aus der FAZ v. 10.02.1993 ("Schrankenlose Ich-Tugenden")

Im Zusammenhang mit Reumanns zutreffendem Befund zunehmender Gewaltbereitschaft gibt es eine Horrorvision: Frustrierte und konfliktbereite junge Männer, die nur zu gerne ein paar heimische Türken aufmischen würden, melden sich künftig für ferne Konflikte und jagen dort im beruhigenden Gefühl der Übermacht und unter dem Deckmantel einer Wir-Tugend Muslime.

 

05.02.1993
Die Zeit
Militär; Dossier der ZEIT Nr.6 ("Frieden mit aller Gewalt" von Dirk Kurbjuweit)

Zwei Punkte, die die neue Waffenbegeisterung erschüttern:

1. Jugoslawien ist ein glänzendes Beispiel der Umleitung von Emotionen. Jugoslawien wird kein deutscher Soldat betreten, aber unser kollektives Gefühl der Hilflosigkeit bleibt nicht ungenutzt. Es wird in eine Eingriffsnorm für heute noch abstrakte künftige Konflikte umgemünzt, die von ganz anderer Art sein dürften.

2. Äußere - auch "gute" - Gewalt ist schlicht untauglich zur dauerhaften Befriedung nicht völlig kleinflächiger ethnischer oder gar ethnisch-religiöser Konflikte. Bestenfalls friert sie für die Zeit der Anwendung ein, schlimmstenfalls facht sie an. Umgekehrt ist die Wirkung ökonomischer Werkzeuge trotz bekannter Abhängigkeiten bisher nicht ernsthaft getestet: Sarajewo, nicht etwa Belgrad leidet ernsthaften Mangel.

 

02.02.1993
Rheinischer Merkur
Militär; Demokratie; Interview der Bundesministerin der Justiz durch C. Birnbaum im Merkur Nr. 5 v. 29.01.93, S. 2

Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist nachdrücklich zuzustimmen. Eine generelle und dann wirklich unumkehrbare Entscheidung für deutsche Militäreinsätze ohne Verteidigungscharakter setzt in der Tat einen breiten öffentlichen Konsens voraus - und letzterer nach meinem Verständnis von Demokratie eine ernsthafte öffentliche Diskussion. Genau diese haben die
Parteien bisher vernachlässigt und durch fraktions- und koalitionsübergreifende Verhandlungen ersetzt.

Unabhängig von etwaigen, teils selbstgesetzten Zugzwängen: Soviel Zeit für das Volk muß sein!

 

29.01.1993
DIE ZEIT
Militärpolitik; out of area - Einsätze unserer Bundeswehr (ZEIT Nr. 15, S. 3,4)

Ginge es nicht um die folgenreichste Änderung in der Anwendung unseres Grundgesetzes seit dessen Erlaß - man könnte über die einigungslose Zerrissenheit der ZEIT-Debatte in der Frage der out of area - Einsätze unserer Bundeswehr (ZEIT Nr. 15, S. 3,4) amüsiert sein. Aber im Ernst zwei Bemerkungen zur deutschen Diskussion, je eine zu Inhalt und zu Form:

Inhalt: Auch als ehemaliger Bundeswehrsoldat bekenne ich mich zur Janßen-Position. Der Gedanke an Aktion zur Entlastung des angespannten Gewissens ist ebenso verführerisch wie wirklichkeitsfremd. Denn es gibt nicht einmal ein historisches Beispiel der dauerhaften Lösung ethnischer/religiöser/ideologischer Konflikte durch von außen einwirkende Gewalt. 45 Jahre Ostblock legen für den, der es sehen will, beredtes Zeugnis dafür ab. Ausreichende Beispiele haben wir dagegen für - in der reinen Form das Herz nicht gar so anrührende - einflußnehmende Eingriffe (die aber nicht ungern Minderheitenschutz auf dem Schild führen). Dies ist letztlich die Option, die sich die Union mit UNO-freien Eingriffen offenhalten möchte.

Form: Die Parteien und Teile der Presse sind der Bevölkerung auf dem Weg zu theoretischen Kampffeldern bereits einige Tageslängen voraus. Eine kleine, aber feine Vorhut der CDU hat des bosnische Schlachtgetümmel bereits im Visier (im Ernstfall läßt sich die Reihenfolge freilich gem. § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz verkehren!). All dies ereignet sich ohne jedes aus einer vorangegangenen Wahlaussage oder einer breiten öffentlichen Diskussion abgeleitetes Mandat der politischen Klasse, also in einem durch und durch undemokratischen Verfahren.

 

27.01.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Militär; Kommentar Günther Nonnenmachers aus der FAZ v. 23.01.1993, S.1 ("Träumer und Heuchler")

Die Opposition bewaffneter Vorfeld-Einsätze setzt sich abschließend zusammen aus vielen Heuchlern und ein paar Träumern? Diese Worthülsen eignen sich m.E. für eine Sachdebatte wenig, denn sie lassen sich allzu leicht umstecken:

Träumer, die ethnische Konflikte mit - noch dazu äußerer - Gewalt dauerhaft kurieren wollen. 40 Jahre Jugoslawien, 80 Jahre UdSSR stehen beweiskräftig dagegen. Heuchler, die anraten, sich wie im Golf-Konflikt von selbst aufgepäppelten Machthabern und mittels selbst verkaufter Ausrüstung ins Jenseits befördern zu lassen.

In diesem Bild würde ich den Träumern die Mehrheit zugestehen.

 

26.01.1993
Der Spiegel
Militär; Schäuble-Interview im Spiegel 4/1993

Schäuble setzt u. a. auf die Faszination greuelhafter Geschichten aus Jugoslawien. Mitnichten will er unser Eingreifen in diesen für Deutsche ursachenbelasteten Einzelfall auslösen. Vielmehr will er daraus ein Passepartout für alle künftigen Konflikte und Konfliktchen schmieden. Testen wir doch den Wert derartiger Bilder für weiterreichende Entscheidungen und erinnern uns nur kurz an den Inkubator-Horror aus den Anfangstagen des irakischen Kuwait-Überfalls. Der bewegte unser Gemüt trefflich, erwies sich allerdings geraume Zeit später und mit wesentlich geringerem öffentlichem Echo als makabre Ente.

Die vorgesehenen Mehrheiten kann ich nur als Placebo werten, zumal ich an das Schnüren seltsamster Koalitions- und Abstimmungspakete der letzten Zeit denken muß. Ein leicht zu übersehendes Detail: Diejenigen, die einen künftigen Einsatz beschließen werden, sind von den unmittelbaren Folgen nicht betroffen, sofern sie ihre Einberufung nicht selbst beantragen. Auf auch nur einen solchen Antrag gem. § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz möchte ich nicht wetten. Ich würde des weiteren - auch das ist nur zu menschlich - Verwandte und Freunde der mitwirkenden Abgeordneten eher in der Etappe suchen als an der Front, sofern sie nicht zeitig den Kriegsdienst verweigert oder sich als verblüffend untauglich erwiesen haben.

 

26.01.1993
Der Spiegel
Militär; Schäuble-Interview im Spiegel 4/1993

Schäuble setzt u. a. auf die Faszination greuelhafter Geschichten aus Jugoslawien. Mitnichten will er unser Eingreifen in diesen für Deutsche ursachenbelasteten Einzelfall auslösen. Vielmehr will er daraus ein Passepartout für alle künftigen Konflikte und Konfliktchen schmieden. Testen wir doch den Wert derartiger Bilder für weiterreichende Entscheidungen und erinnern uns nur kurz an den Inkubator-Horror aus den Anfangstagen des irakischen Kuwait-Überfalls. Der bewegte unser Gemüt trefflich, erwies sich allerdings geraume Zeit später und mit wesentlich geringerem öffentlichem Echo als makabre Ente.

Die vorgesehenen Mehrheiten kann ich nur als Placebo werten, zumal ich an das Schnüren seltsamster Koalitions- und Abstimmungspakete der letzten Zeit denken muß. Ein leicht zu übersehendes Detail: Diejenigen, die einen künftigen Einsatz beschließen werden, sind von den unmittelbaren Folgen nicht betroffen, sofern sie ihre Einberufung nicht selbst beantragen. Auf auch nur einen solchen Antrag gem. § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz möchte ich nicht wetten. Ich würde des weiteren - auch das ist nur zu menschlich - Verwandte und Freunde der mitwirkenden Abgeordneten eher in der Etappe suchen als an der Front, sofern sie nicht zeitig den Kriegsdienst verweigert oder sich als verblüffend untauglich erwiesen haben.

 

25.01.1993
DIE ZEIT
Militär; Beitrag Fritz-Vannahmes "Lauter Brücken, die nicht tragen" aus der ZEIT Nr. 4

Wer sich auch nur dunkel der Wiederbewaffnungsdebatte erinnert, kann den heutigen Verlust politischer Artenvielfalt nur restlos verblüfft zur Kenntnis nehmen.

Was treibt uns eigentlich in eine fundamental neue Wehrkultur? Sind es Äußerungen Butros Ghalis oder der US-Administration, die schlimmstenfalls abgerufen sein könnten und bestenfalls die subjektiven Interessen der Gesprächspartner ausdrücken? Oder ist es die von uns selbst riskierte AWACS-Peinlichkeit? Oder hat eine neue konkrete Bedrohung die erwartete Friedensdividende ersetzt?

Ebensowenig wie die gründlich verstolperte Golf-Krise ist alldies geeignet, die Verdrängung einer Lebensfragen-Debatte zu rechtfertigen.

 

 

und, viele Leserbriefe vorher:

 

29.09.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 02.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStAnz. v. 29.09.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

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