Dr. jur. Karl Ulrich Voss, Kuckenberg 34, 51399 Burscheid

Stand: August 2002

 

Leserbriefe: Außen- und Militärpolitik

 

29.09.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 02.10.1992

Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (KStAnz. v. 29.09.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslose Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviller (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der Count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

25.01.1993
DIE ZEIT

Militär; Beitrag Fritz-Vannahmes "Lauter Brücken, die nicht tragen" aus der ZEIT Nr. 4

Wer sich auch nur dunkel der Wiederbewaffnungsdebatte erinnert, kann den heutigen Verlust politischer Artenvielfalt nur restlos verblüfft zur Kenntnis nehmen.

Was treibt uns eigentlich in eine fundamental neue Wehrkultur? Sind es Äußerungen Butros Ghalis oder der US-Administration, die schlimmstenfalls abgerufen sein könnten und bestenfalls die subjektiven Interessen der Gesprächspartner ausdrücken? Oder ist es die von uns selbst riskierte AWACS-Peinlichkeit? Oder hat eine neue konkrete Bedrohung die erwartete Friedensdividende ersetzt?

Ebensowenig wie die gründlich verstolperte Golf-Krise ist alldies geeignet, die Verdrängung einer Lebensfragen-Debatte zu rechtfertigen.

 

26.01.1993
Der Spiegel

Militär; Schäuble-Interview im Spiegel 4/1993

Schäuble setzt u. a. auf die Faszination greuelhafter Geschichten aus Jugoslawien. Mitnichten will er unser Eingreifen in diesen für Deutsche ursachenbelasteten Einzelfall auslösen. Vielmehr will er daraus ein Passepartout für alle künftigen Konflikte und Konfliktchen schmieden. Testen wir doch den Wert derartiger Bilder für weiterreichende Entscheidungen und erinnern uns nur kurz an den Inkubator-Horror aus den Anfangstagen des irakischen Kuwait-Überfalls. Der bewegte unser Gemüt trefflich, erwies sich allerdings geraume Zeit später und mit wesentlich geringerem öffentlichem Echo als makabre Ente.

Die vorgesehenen Mehrheiten kann ich nur als Placebo werten, zumal ich an das Schnüren seltsamster Koalitions- und Abstimmungspakete der letzten Zeit denken muß. Ein leicht zu übersehendes Detail: Diejenigen, die einen künftigen Einsatz beschließen werden, sind von den unmittelbaren Folgen nicht betroffen, sofern sie ihre Einberufung nicht selbst beantragen. Auf auch nur einen solchen Antrag gem. § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz möchte ich nicht wetten. Ich würde des weiteren - auch das ist nur zu menschlich - Verwandte und Freunde der mitwirkenden Abgeordneten eher in der Etappe suchen als an der Front, sofern sie nicht zeitig den Kriegsdienst verweigert oder sich als verblüffend untauglich erwiesen haben.

 

27.01.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Militär; Kommentar Günther Nonnenmachers aus der FAZ v. 23.01.1993, S.1 ("Träumer und Heuchler")

Die Opposition bewaffneter Vorfeld-Einsätze setzt sich abschließend zusammen aus vielen Heuchlern und ein paar Träumern? Diese Worthülsen eignen sich m.E. für eine Sachdebatte wenig, denn sie lassen sich allzu leicht umstecken:

Träumer, die ethnische Konflikte mit - noch dazu äußerer - Gewalt dauerhaft kurieren wollen. 40 Jahre Jugoslawien, 80 Jahre UdSSR stehen beweiskräftig dagegen. Heuchler, die anraten, sich wie im Golf-Konflikt von selbst aufgepäppelten Machthabern und mittels selbst verkaufter Ausrüstung ins Jenseits befördern zu lassen.

In diesem Bild würde ich den Träumern die Mehrheit zugestehen.

 

02.02.1993
Rheinischer Merkur

Militär; Demokratie; Interview der Bundesministerin der Justiz durch C. Birnbaum im Merkur Nr. 5 v. 29.01.93, S. 2

Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist nachdrücklich zuzustimmen. Eine generelle und dann wirklich unumkehrbare Entscheidung für deutsche Militäreinsätze ohne Verteidigungscharakter setzt in der Tat einen breiten öffentlichen Konsens voraus - und letzterer nach meinem Verständnis von Demokratie eine ernsthafte öffentliche Diskussion. Genau diese haben die
Parteien bisher vernachlässigt und durch fraktions- und koalitionsübergreifende Verhandlungen ersetzt.

Unabhängig von etwaigen, teils selbstgesetzten Zugzwängen: Soviel Zeit für das Volk muß sein!

 

05.02.1993
Die Zeit

Militär; Dossier der ZEIT Nr.6 ("Frieden mit aller Gewalt" von Dirk Kurbjuweit)

Zwei Punkte, die die neue Waffenbegeisterung erschüttern:

1. Jugoslawien ist ein glänzendes Beispiel der Umleitung von Emotionen. Jugoslawien wird kein deutscher Soldat betreten, aber unser kollektives Gefühl der Hilflosigkeit bleibt nicht ungenutzt. Es wird in eine Eingriffsnorm für heute noch abstrakte künftige Konflikte umgemünzt, die von ganz anderer Art sein dürften.

2. Äußere - auch "gute" - Gewalt ist schlicht untauglich zur dauerhaften Befriedung nicht völlig kleinflächiger ethnischer oder gar ethnisch-religiöser Konflikte. Bestenfalls friert sie für die Zeit der Anwendung ein, schlimmstenfalls facht sie an. Umgekehrt ist die Wirkung ökonomischer Werkzeuge trotz bekannter Abhängigkeiten bisher nicht ernsthaft getestet: Sarajewo, nicht etwa Belgrad leidet ernsthaften Mangel.

 

12.02.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Militär; Leitartikel Kurt Reumanns aus der FAZ v. 10.02.1993 ("Schrankenlose Ich-Tugenden")

Im Zusammenhang mit Reumanns zutreffendem Befund zunehmender Gewaltbereitschaft gibt es eine Horrorvision: Frustrierte und konfliktbereite junge Männer, die nur zu gerne ein paar heimische Türken aufmischen würden, melden sich künftig für ferne Konflikte und jagen dort im beruhigenden Gefühl der Übermacht und unter dem Deckmantel einer Wir-Tugend Muslime.

 

04.05.1993
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt; abgedruckt: 21.05.1993

Militärpolitik der Kirche; Demokratie
Hans-Albrecht Pflästerer im Sonntagsblatt v. 30.04.1993 ("Kneifen gilt nicht!")

Derzeit geschieht nichts weniger als das Vergessen unserer bittersten nationalen Erfahrung und der Verlust einer der wenigen Eigenarten der Bundesrepublik - der nach ungeheuren Verbrechen und Verlusten erlernten Beschränkung unserer bewaffneten Kräfte auf Verteidigung. Der Grund ist nicht, daß die Welt schlechter geworden wäre. Vielmehr bergen in einer geänderten geopolitischen Lage strategische Eingriffe nun ein geringeres Eskalationsrisiko und gleichzeitig drängen Militärorganisationen, die über Nacht ihr Feindbild verloren haben, nach neuen Aufgaben.

Bevor die Kirche diese Strategie mit Seelsorge flankiert und in den Augen der betroffenen Soldaten absegnet, muß sie sich energisch melden in der zuerst erforderlichen gesellschaftlichen Diskussion über Nutzen und genau konkretisierte Anwendungsfälle von "out of area"-Einsätzen der Bundeswehr. Kneifen gilt nicht!

 

12.04.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt:14.04.1993

Militärpolitik;
Einsatz der Bundeswehr im Ausland

Wer diesen Einsatz unterstützt, muß sich die simple Frage stellen: Hätten wir völlig überzeugt Väter, Söhne, Ehemänner, Wähler und etwaige wehrwillige MdB’s nach Kuwait geschickt, bei allen Zweifeln, die sich zum Handling dieses Konflikts aufdrängen, zu seinem Beginn, seiner Beendigung und seinem jüngsten Wiederaufleben?

Es beruhigt uns wenig, daß wir Deutsche uns voraussichtlich immer zu dem deutlich größeren Haufen zugesellen werden und damit die Wahrscheinlichkeit des Tötens ungleich höher ist als die des Sterbens. Soveränität bedeutet befreite, nicht verengte Entscheidung. Souveränität befähigt auch, auf archaische Handlungsformen zu verzichten, die mit der Leerformel Vaterlandsinteresse angepriesen werden.

Unsere Geschichte gibt dazu allen Anlaß. Nur – dies Erkenntnis liegt, offenbar über Nacht, außerhalb aller Mehrheiten.

 

13.04.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 16.04.1993

Militärpolitik; Schäuble zu weitergehenden Kampfeinsätze der Bundeswehr in Jugoslawien (KStAnz. v. 13.04.1993)

Schäuble führt Deutschland mit Riesenschritten zurück zur scheinbaren Normalität voller militärischer Schlagfähigkeit.

Gilt die unter schrecklichen Verlusten erworbene besondere Friedfertigkeit der Deutschen heute bereits so wenig, daß sie mir nichts, dir nichts zwischen zwei Bundestagswahlen zur Disposition gestellt werden könnte, von einem Manne zudem, dem ein aktiver deutscher Jugoslawien-Einsatz noch vor wenigen Wochen zutreffenderweise als historisch absurd erschien?

Über eher sekundäre Themen wie Autobahnmaut wird in Deutschland heutzutage erregt gestritten, aber eine breite öffentliche Diskussion weltweiter Waffeneinsätze der Bundeswehr (vom Kaliber der Wiederbewaffnungsdebatte der Nachkriegsjahre) scheint den Parteien nicht angeraten - sie werden schon wissen, warum.

 

14.04.1993
Die Welt

Militärpolitik; Demokratie
"out of area" - Einsätze der Bundeswehr (WELT v. 14.04.1993. S.1. Kampfeinsätze: Regierung bedrängt die SPD)

Trotz vieler beglückender Geschichtsstunden und Staatsrechtsvorlesungen quält mich ab und zu Ungewißheit in der Frage, welcher Staatsform Staatsbürger ich eigentlich bin.

Da schickt sich die stärkere der Regierungsfraktionen an, der gewichtigeren Oppositionsfraktion ein über bereits ausgehandelte Blauhelm-Missionen hinausgehendes Einsatzfeld abzunötigen und droht dabei mit der Verkürzung von Rechten des Souveräns, der Vertretung des Volkes.

Dabei ist den Handelnden ein wenig aus dem Blickfeld geraten, daß das Volk selbst mehrheitlich an der teuer bezahlten und bisher staatsprägenden Beschränkung auf Verteidigung hängen und sich berechtigt für die Effektivität der künftigen Einsätze interessieren könnte. Im letzten Wahlkampf hatten die Parteien ein ihr heutiges Vorgehen rechtfertigendes Mandat jedenfalls weder verlangt noch erhalten. Diese unbekümmerte Strategie kann sich eigentlich nur leisten, wer annimmt, daß unsere real existierende Demokratie keine Partizipationsprobleme birgt.

 

29.01.1992
DIE ZEIT

Militärpolitik

Ginge es nicht um die folgenreichste Änderung in der Anwendung unseres Grundgesetzes seit dessen Erlaß - man könnte über die einigungslose Zerrissenheit der ZEIT-Debatte in der Frage der out of area - Einsätze unserer Bundeswehr (ZEIT Nr. 15, S. 3,4) amüsiert sein. Aber im Ernst zwei Bemerkungen zur deutschen Diskussion, je eine zu Inhalt und zu Form:

Inhalt: Auch als ehemaliger Bundeswehrsoldat bekenne ich mich zur Janßen-Position. Der Gedanke an Aktion zur Entlastung des angespannten Gewissens ist ebenso verführerisch wie wirklichkeitsfremd. Denn es gibt nicht einmal ein historisches Beispiel der dauerhaften Lösung ethnischer/religiöser/ideologischer Konflikte durch von außen einwirkende Gewalt. 45 Jahre Ostblock legen für den, der es sehen will, beredtes Zeugnis dafür ab. Ausreichende Beispiele haben wir dagegen für - in der reinen Form das Herz nicht gar so anrührende - einflußnehmende Eingriffe (die aber nicht ungern Minderheitenschutz auf dem Schild führen). Dies ist letztlich die Option, die sich die Union mit UNO-freien Eingriffen offenhalten möchte.

Form: Die Parteien und Teile der Presse sind der Bevölkerung auf dem Weg zu theoretischen Kampffeldern bereits einige Tageslängen voraus. Eine kleine, aber feine Vorhut der CDU hat des bosnische Schlachtgetümmel bereits im Visier (im Ernstfall läßt sich die Reihenfolge freilich gem. § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz verkehren!). All dies ereignet sich ohne jedes aus einer vorangegangenen Wahlaussage oder einer breiten öffentlichen Diskussion abgeleitetes Mandat der politischen Klasse, also in einem durch und durch undemokratischen Verfahren.

 

17.04.1992
Die Zeit

Militärpolitik; Demokratie; ZEIT-Debatte der "out of area"-Frage in Heft 15/1993 sowie Beiträge von R. Leicht und H. Schmidt in Heft 16/1993

Wer Staatsform nicht nur als Formalie versteht, wird sich zuallererst an dem von Beginn an sehr undemokratischen Weg nach "out of area" stoßen:

Die großen Parteien sind dem Wahlvolk auf dem Weg zum Kampfplatz bereits um einige Tageslängen voraus, die verfassungsändernde Mehrheit im Marschgepäck. Eine kleine, aber feine Vorhut der vorderen Formation hat das Schlachtgetümmel bereits zum (Ein-) Greifen nah im Visier. Über allem kreist beobachtend und beratend das höchste Gericht.

Einen bottom-up-approach - eine auf Änderung unserer bisherigen Militärdoktrin gerichtete breite Initiative aus der Bevölkerung - würde in einer derart grundlegenden und gleichzeitig komplexen Frage zwar niemand erwarten. Hier bekommen wir aber nicht einmal top-down in der grundgesetzlich - Art. 20 Abs.1 S.1 - vorausgesetzten Form: Trotz außenpolitisch bereits völlig veränderter Rahmenbedingungen haben die Parteien vor der letzten Wahl gerade kein entsprechendes Mandat eingefordert! Sie suchen auch jetzt nicht den Austausch mit der Bevölkerung, sondern beschränken sich auf Verhandlungen auf Parteiebene.

In der Sache spricht uns Helmut Schmidt (ZEIT Nr. 16) aus dem Herzen: Nicht Bosnien ist repräsentativ für die potentiell wichtigen und erfolgversprechenden Einsatzgebiete unserer heutigen und künftigen Bundeswehr. Wer anderes will, verrückt den personellen und ideologischen Querschnitt des bisher demokratischsten aller deutschen Heere merklich in Richtung "légion étrangere", "dirty dozen" oder Wehrsportgruppe.

 

20.04.1993
FOCUS; abgedruckt: FOCUS 18/1993

Militärpolitik;
"Marsch ins Ungewisse" in FOCUS 16/1993

Bisweilen bewundere ich die Lucky-Luke-Weltsicht unseres politischen Nachwuchses: Glaubt Stefan Schwarz (CDU), daß auch nur ein einziger ethnischer Konflikt durch wie auch immer geartete Gewalt dauerhaft kuriert werden kann? 40 Jahre Ostblock stehen deutlich dagegen. Wird er bei der Nagelprobe persönlich dabei sein oder sich dann doch lieber auf § 12 Abs.3 S.2 Wehrpflichtgesetz berufen?

 

20.04.1993
Der Spiegel

"... morgen die ganze Welt" in Spiegel 16/1993 mit begleitendem Augstein-Kommentar

Gehört - um das einleitende Wimmer-Zitat zum Ursprung zurückzuführen - in der Frage einer Änderung der bisherigen deutschen Militärdoktrin Deutschland den großen Parteien?

Nein. Trotz außenpolitisch bereits völlig veränderter Rahmenbedingungen haben die Parteien vor der letzten Wahl gerade kein entsprechendes Mandat eingefordert. Sie suchen auch jetzt nicht den Austausch mit der Bevölkerung, sondern beschränken sich auf Verhandlungen auf Parteiebene und die Einholung von Rechtsrat. Diese Inversionslage mag den Parteistrategen sonnig erscheinen. Nur erstickt sie die Demokratie.

 

21.04.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 27.4.1993

Somalia-Einsatz der Bundeswehr (Titelgeschichte und Kommentar von Ada Brandes in KStAnz Nr. 92 v. 21.04.1993).

Sie haben es also geschafft, unsere Parteistrategen: Die Republik ist in einer der wenigen identitätsbildenden Ausrichtungen - Beschränkung der bewaffneten Kräfte auf die Verteidigung - gründlich umgepolt worden. Der Staatsbürger in Uniform wird in seinem nun bei weitem wahrscheinlichsten Einsatz Fremdenlegionär sein. Das Wahlvolk war nicht beteiligt.

Die real existierende deutsche Demokratie gleicht immer mehr einem mißlungenen Sorbet: Unten die in sich zusammengesunkene Bevölkerung, darüber ein trennender, auch für fundamentale Fragen unüberwindlicher Hohlraum, ganz oben die feine selbsttragende Schaumstruktur der Parteien.

 

21.05.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 25.5.1993

Militärpolitik;
Generalinspekteur der Bundeswehr General Klaus Naumann in KStAnz Nr. 116 v. 19.05.1993, S.5

Im deutschen Heldenhimmel ist bereits vorsorglich Quartier gemacht für zwangsläufige "out of area" - Opfer unter deutschen Soldaten. Der Ton ist falsch. Nicht staatlich empfohlene, einigende Trauer wird angesagt sein, sondern menschliches Mitleid mit unseren Mitbürgern und deren Angehörigen, denen ein besonderes Gewaltverhältnis wegen neuer, demokratisch noch nicht abgesicherter Ambitionen ihrer Vorgesetzten plötzlich zur tödlichen Falle geraten ist.

Ein Gewinn wird allerdings sein: AM Kinkel kann gleichberechtigt an künftigen Schweigeminuten zum Gedenken gefallener Soldaten teilnehmen und braucht nicht länger - wie von ihm berichtet - den fragenden Blicken seiner erlauchten Kollegen auszuweichen.

 

16.06.1993
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik;
Leitartikel v. 16.06.1993 "Regierung befürchtet Erfolg der SPD-Klage"

Wehklagen der Regierung sind unangebracht: Sie hat bei Vorbereitung und Anordnung des von Beginn an zwielichtigen Somalia-Unternehmens das Ansehen Deutschlands bewußt zur Geisel gemacht. Es wäre nur fair, würde das Verfassungsgericht diese Strategie nicht noch belohnen und die Verantwortung deutlich bei den Verantwortlichen anheften.

 

11.08.1993
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 13.8.1993

Militärpolitik; Artikel v. 11.08.1993 "Soldaten sollen UN-Auftrag auch mit Waffen verteidigen können"

In einer Telefonkonferenz (!) hat das SPD-Präsidium Verheugens Vorstellungen gutgeheißen - Vorstellungen, die Lamers (CDU) insbesondere wegen des bewußten Offenhaltens der Einsatzvoraussetzungen bereits hocherfreut aufgenommen hatte.

Warum nicht Demokratie wagen und die Bevölkerung - mindestens die eigene Basis - fragen? Dort besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf zur Nutzen-/Lastenrelation militärischer Einsätze außerhalb der Landes- oder Bündnisverteidigung!

 

12.08.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Militärpolitik; Leitartikel von Günter Krabbe in FAZ v. 10.08.1993 ("Was tun in Somalia?")

Krabbe hat das Somalia-Debakel plastisch geschildert. Eigentlich müßten nun einige Strategen des Westens, die an ihren grünen Tischen kühne Konstruktionen zur Rettung der Welt und der eigenen Aufgabe gebastelt hatten, von Zweifel an ihrem Realitätsbezug geplagt sein. Eigentlich.

 

12.08.1993
Die Welt; abgedruckt: ca. 15.8.1993

Militärpolitik; Lothar Rühls Kommentar in der WELT v. 12.08.1993 ("Schicksalsstunden der NATO")

Rühls Kommentar ist nachdrücklich zuzustimmen. In Bosnien - aber auch in Somalia - wird für den vermutlich untauglichen Versuch gezahlt, lokale Konflikte mit militärischen Werkzeugen und scheinbar unparteilich aus der Welt zu schaffen. Die Einsicht wird schwerfallen, richten sich doch alle Hoffnungen der etablierten militärischen Organisationen gerade auf diese Chance der Diversifikation. Cyril N. Parkinson läßt grüßen!

 

13.08.1993
Die Zeit

Militärpolitik; Theo Sommer "Bomben gegen Gewissensbisse" u. Fritz-Vannahme "Zur Macht" in ZEIT Nr. 33 v. 13.08.1993

Die SPD verhält sich auf selbstzerstörerische Weise antizyklisch: Die Basis ist noch gar nicht auf erweiterte militärische Engagements eingeschworen - und gleichzeitig stehen bereits die Zeichen einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Somalia-Operation und eines untauglichen Bemühens um Jugoslawien am Himmel. Letzteres zeigt, wie Sommer zutreffend beschreibt, deutlich die engen Grenzen unserer Erkenntnis- und Gestaltungsmöglichkeiten und führt unsere selbstbezogenen Ordnungsträume ad absurdum.

Wenn sich noch zu diesem Zeitpunkt die Parteispitze der SPD in einer Telefonkonferenz (!) auf die Militärdoktrin der Regierung zubewegt, spricht es für eine träge Masse erheblichen Umfangs.

 

16.08.1993
FOCUS

Militärpolitik; Jach: "Trippelschritte nach New York" in FOCUS 33/1993

Wäre Voraussetzung der Mitwirkung im Sicherheitsrat die Fähigkeit und die - durch nationale Vorbehalte nicht groß behinderte - ständige Bereitschaft zum Losschlagen, wir hätten von den Entscheidungen des derart verlesenen Gremiums noch viel Überraschendes zur Rettung der Welt zu erwarten und wir sollten diese Gesellschaft nicht suchen. Die Einrichtung heißt aber zu recht Sicherheits-, nicht etwa Kriegerrat und beispielsweise China weigert sich seit Jahren beharrlich, diejenige Einsatzfreude zu zeigen, die die amerikanischen Senatoren Roth und Conrad nun den Deutschen (wie abgerufen?) abverlangen.

Wir brauchen uns nicht an der Nase herumführen zu lassen in Richtung auf ein in Somalia inzwischen offen gescheitertes Krisenbewältigungsmodell. Roth und Conrad entscheiden m. W. auch nicht allein über die Vergabe von Sitzen im Sicherheitsrat und die Frage der Stimmberechtigung ist nach wie vor völlig offen.

 

16.08.1993
General-Anzeiger

Militärpolitik; "Scharping sagt ja zu jeder Art von Blauhelm-Einsatz"; Kommentar von E. Kohrs in der Ausgabe vom 14./15.08.1993

Der Zeitpunkt verwundert: Am Somalia-Modell zeigt sich heute auch nach Auffassung früherer Befürworter, daß ein humanitärer und gleichzeitig auf Dauer unparteilicher Eingriff militärischer Formationen ein Trugbild war, eine durch die Realität gründlich desavouierte ABM-Hoffnung der NATO.

Und gerade nun eilt die SPD zu den Fahnen! In der Gegenrichtung sind bereits die Italiener unterwegs - aber die sind ja auch eher für bewußtes und selbstverantwortetes Leben bekannt als für Disziplin und Kampfkraft.

 

23.08.1993
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik; Ausländerfeindlichkeit
"Hehre Ziele und die wirtschaftliche Sicherheit des Staatsdieners" von Günther M. Wiedemann im Stadt-Anzeiger v. 20.08.1993 (

Der angedeutete Trend bei den Verweigererzahlen ist mit größter Vorsicht zu genießen: Der Rückgang der letzten Monate ist nach Erfahrung des zuständigen Bundesministeriums für Frauen und Jugend (nicht: Familienministerium) ein reiner Saison-Effekt. Die voraussehbare Entwicklung wird zu einem mit dem Vorjahr in etwa vergleichbaren Gesamtergebnis führen. Das ebenfalls sachverständige Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr in München erwartet sogar weiteren Aufwuchs der Verweigererzahlen.

Brisanter noch ist aber die Frage der Auswirkung der neuen Ausrichtung der Bundeswehr auf deren ideologischen Querschnitt: Bezogen auf den Bevölkerungsdurchschnitt identifiziert eine aktuelle Studie des genannten Bundeswehr-Instituts schon jetzt eine deutliche Verschiebung des Bewerberpotentials der Bundeswehr hin zur rechten Seite des politischen Spektrums (SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993). Die Studie warnt vor der Gefahr zunehmender Attraktivität der Bundeswehr für junge Männer, die den demokratischen Zielen und Werten kaum oder gar nicht verbunden sind. Überraschen muß das freilich niemanden: Welche Anziehungskraft auch nur paramilitärische Ausbildung auf die extreme Rechte ausübt, hat die kürzlich aufgedeckte rechtsradikale Unterwanderung der Freiwilligen Polizeireserve Berlins warnend gezeigt.

 

25.08.1993
Rheinischer Merkur; abgedruckt: 10.9.1993

Militärpolitik; Ausländerfeindlichkeit
T. Kielinger im Merkur v. 20.08.93, S. 1 ("Wofür noch Verteidigung?")

Es mindert eigene Betroffenheit und ist daher höchst verführerisch, die erweiterten Aufgaben der Bundeswehr auf ein Berufsheer zu delegieren. Aber es ist gefährlich:

Zum einen verlöre der Staat ein für die angemessene Handhabung seiner militärischen Werkzeuge wichtiges feedback: der Staat darf letztlich nur anordnen, was er persönlich - idealiter unter repräsentativem Engagement der Bürger - auch in die Tat umzusetzen bereit ist. Die unkritische Verfügbarkeit einer légion étrangere oder eines dirty dozen, die noch dazu an laufenden Beweisen der eigenen Effizienz interessiert sein müssen, ist eine viel zu geringe Hürde.

Zum zweiten: Die Gemeinschaft darf nicht den Eindruck erwecken, sie wolle einigen wenigen Bürgern das Recht auf Leben und physische oder psychische Unversehrtheit abkaufen. Gerade in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit und insbesondere in den neuen Bundesländern würde dies wie eine Verleitung zur Prostitution besonders schutzwürdiger Rechte wirken (die sehr attraktiven Zulagen nach dem neuen Auslandsverwendungsgesetz haben bereits genau diesen Beigeschmack).

Und schließlich: Eine Berufsarmee entfernt sich weiter von der Idee einer Bundeswehr, die möglichst die Einstellungen der Bevölkerung wiederspiegelt. Eine aktuelle Studie des Sozial-wissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr in München identifiziert schon jetzt eine deutliche Verschiebung des Bewerberpotentials der Bundeswehr hin zur rechten Seite des politischen Spektrums und warnt vor der Gefahr zunehmender Attraktivität der Bundeswehr für junge Männer, die den demokratischen Zielen und Werten kaum oder gar nicht verbunden sind (SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993). Diese Tendenz wird durch Schaffung einer Berufsarmee, die auch Aufgaben einer Fremdenlegion erfüllen soll, gewaltig angefacht. Die Vorstellung, von Rechtsradikalen bei einem Auslandseinsatz vertreten zu werden, ruft bei mir erhebliche Beklemmungen hervor.

 

06.10.1993
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik; "Weizsäcker regt Dienstpflicht für alle an" und dem begleitenden Kommentar von Günther M. Wiedemann im Stadt-Anzeiger v. 06.10.1993

Das Gespür für krasse demokratische Defizite hat unseren Präsidenten verlassen. Wie kürzlich schon Rühe und auch Kinkel drängt er auf eine rasche Entscheidung zum erweiterten Auftrag der Bundeswehr und möchte einem streitigen Wahlkampfthema zuvorkommen.

Was aber war die bisherige Debatte wert? Sie bestand im konkreten Kern aus der Berichterstattung über zuvor staatsmännisch gesetzte Fakten - über den Adria-Einsatz der "Bayern", die AWACS-Beteiligung im Balkan-Konflikt und das Somalia-Engagement. Gerichte wurden konsultiert, aber nicht der Souverän beteiligt, das Volk. Das Debakel humanitär gemeinter Militäreinsätze in Somalia, aber auch schon in Jugoslawien wurde praktisch nicht verarbeitet.

Unsere Bundeswehr braucht aber einen ehrlich mitgefundenen und damit dauerhaft mitgetragenen Konsens, kein dekretiertes Schweigen. Und sie verdient Aufgaben, die ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung auch persönlich umzusetzen bereit ist. Sie braucht keine Söldnerfunktionen oder Söldnerabteilungen.

 

09.12.1993
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Militärpolitik; Karl Feldmeyer in der FAZ v. 08.12.93, S. 1 ("Die Bundeswehr in Not")

Herrn Feldmeyer ist nachdrücklich beizupflichten:
Die Berufsarmee ist der Abschied vom Staatsbürger in Uniform. Sie schließt endgültig ab mit der Idee einer Bundeswehr, die die Einstellungen der Bevölkerung so getreulich wie eben möglich widerspiegelt und gerade darum Konsens findet.

Schon heute weist eine aktuelle Studie des Sozialwissenschaft-lichen Instituts der Bundeswehr in München eine deutliche Verschiebung des Bewerberpotentials der Bundeswehr hin zur äußerst rechten Seite des politischen Spektrums nach und warnt vor der Gefahr zunehmender Attraktivität der Bundeswehr für junge Männer, die den demokratischen Zielen und Werten kaum oder gar nicht verbunden sind (SOWI-Arbeitspapier Nr. 77, März 1993).

Eine Berufsarmee kann diesen Trend nur verstärken, insbesondere bei einem künftigen Aufgabenspektrum, das über die unspektakuläre, weil nicht sehr wahrscheinliche Landesverteidigung hinausreicht. Die Vorstellung aber, von Rechtsradikalen z. B. bei einem humanitären Auslandseinsatz vertreten zu werden, ruft bei mir erhebliche Beklemmungen hervor. Dies wäre nicht mehr die Armee, zu der ich mich vor 20 Jahren aktiv bekannt habe.

 

22.12.1993
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik; Kabinettbeschluß v. 20.12.1993 zum Abzus aus Somalia (Stadt-Anzeiger v. 21.12.1993)

Somalia war schlicht ein Flop. Der unwürdige Abgang ist nun geprägt von der handhaften Angst, bei Verlassen der guten Deckung in Belet Huen noch Schaden zu nehmen.

Das wirkliche Opfer ist allerdings die Idee eines uneigennützig-humanitären militärischen Engagements. Clinton sagt es sehr deutlich: Künftig kann nur noch die unmittelbare Bedrohung der globalen Sicherheit, können nur die wohlverstandenen Interessen der Eingreifenden entscheidend sein. Nicht mehr Somalia, gar nicht erst Bosnien, sondern ausschließlich Kuwait ist das Muster mit Zukunft. Wollen wir das?

 

23.12.1993
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik; Schäuble-Vorschlag zum internen Einsatz der Bundeswehr (Stadt-Anzeiger v. 22.12.1993):

Kreativ ist er schon, unser Schäuble: wenn die Bundeswehr schon im fernen Ausland keine Blütenträume reifen läßt - dann vielleicht im Inland? Als Begründung instrumentalisiert und verstärkt er dabei Ängste vor globalen Wanderungsbewegungen und Abneigungen gegen Ausländer. Schäuble besorgt in dem Versuch, extremes Wählerpotential zu erschließen, schlicht und einfach das Geschäft derer, die nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Ich empfehle ihn zur Beobachtung.

 

16.03.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 22.3.1994

Militärpolitik;
von BM Rühe angekündigtes Weißbuch zu künftigen Aufgaben der Bundeswehr

Im Wahljahr findet die Bundeswehr offiziell zurück zu traditionsbeladener Normalität: Auf Krisenreaktionskräfte setzte schon der gute alte Kaiser Willem. Sie fuhren damals auf Kanonenbooten (auch der aktuelle Flottenbau geht schon längere Zeit unter Volldampf und ohne demokratischen Aufwand in diese Richtung).

Welche Krisen sind gemeint - Korea-Krise, Kuba-Krise, Vietnam-Krise, Öl-Krisen, Iran-Krise, Kuwait-Krise, UdSSR-Folge-Krisen, Jugoslawien-Folge-Krisen, Somalia-Krise - und woraus wächst die stramme Zuversicht, derartige Krisen mit einem Mal kompetenter zu lösen oder auch nur die Krisenlage objektiver erkennen zu können? Wer gibt die Gewähr, daß die Serie diplomatischer und militärischer Flops nicht ständig ergänzt wird, wie zuletzt in Somalia?

Wir sollten im Wahljahr impertinent danach fragen!

 

21.04.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 6.5.1994

Militärpolitik; Demokratie; Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht betreffend neue Aufgaben der Bundeswehr

Die derzeitige Auseinandersetzung zwischen den Parteien vor dem Bundesverfassungsgericht zu out-of-area Einsätzen der Bundeswehr betrifft nur eine Vorfrage: "Wie weit darf die Bundeswehr gehen?"

Die Hauptfrage aber ist eine politische und wird durch den Richterspruch nicht etwa miterledigt: "Wie weit soll die Bundeswehr gehen?" Diese Frage kann nur in einem politischen Prozeß zwischen den Parteien und den Bürgern geklärt werden. Nur dann sind Aufgeschlossenheit und verläßlicher Rückhalt für die Bundeswehr zu gewinnen, die diese in einer grundlegend geänderten Umgebung dringend benötigt.

 

15.7.1994
DER SPIEGEL; abgedruckt: SPIEGEL 31/1994

Militärpolitik; Demokratie
SPIEGEL 29/1994: Deutsche Blauhelme in aller Welt?

Die Bundeswehr darf nun alles. Was aber präzise soll sie? Sollen es werbewirksame, aber halbherzige und leider wenig effektive humanitäre Missionen sein und/oder eher eigennützige Aufträge im wohlverstandenen Interesse der Eingreifenden wie in Kuwait? Wenn unsere Demokratie noch einen Schuß Pulver wert ist, hören wir das von den Parteistrategen noch vor der Wahl!

 

29.07.1994
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik; Japan
Kommentar von Georg Blume aus dem Stadt-Anzeiger v. 26.07.1994 (,,Japaner dürfen an keine Front")

Japaner dürfen an keine Front? Sie stehen jetzt zu Tausenden an ihren Gestaden und weinen sich die Augen aus? Wohl kaum! Schon vor einigen Wochen wurde Boutros Ghali von japanischen Journalisten gefragt, ob ein Platz im Sicherheitsrat von einem militärischen Beitrag Japans abhängig sei. Boutros hat die Frage - unser Kinkel hat's geflissenflich üherhört - verneint.

Also: sie weinen nicht. Sie haben sich nüchtern für erfolgversprechendere nicht-rnilitärische Formen humanitärer Hilfe entschieden und gehen weiterhin fleißig ihrer Arbeit nach.

 

19.12.1994
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 27.12.1994

Militärpolitik; Demokratie
Leitartikel v. Thomas Meyer im Stadt-Anzeiger v. 17./18.12.1994 ("Schwerer Gang nach Bosnien")

Angesichts einer breiten Zustimmung der Deutschen zur humanitären Hilfe in Bosnien halte ich die von Herrn Meyer angeführte "Ohne-uns-Herrlichkeit" nicht für unser eigentliches Problem. Lähmend wirkt etwas ganz anderes: die Regierung hat bisher einzelfallbezogene, teils überraschende Beschlüsse getroffen - vom Adria-Einsatz des Zerstörers Bayern über die Beteiligung in Somalia bis zur anstehenden Entsendung von Tornados nach Bosnien. Auch nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts setzt sie auf solche ad-hoc-Entscheidungen.

Dagegen haben die Bürger und besonders die Soldaten Interesse an Berechenbarkeit und an der Sicherheit vor unerklärten Motiven: die politisch gewollten und demokratisch mitgetragenen Einsatzziele und Einsatzformen der Bundeswehr müssen nun endlich klar und abschließend definiert werden. Bei diesen Zielen dürfte die Hilfe für Menschen in größter Not sehr wichtig sein. Aber ganz sicher nicht alles andere, was man mit Waffen auch noch anstellen kann.

 

15.03.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 17.3.1995

Militärpolitik; Demokratie
Roman Herzogs Appell zur Gestaltung der deutschen Außenpolitik (Stadt-Anzeiger v. 14.03.1995)

Besser, der Bundespräsident hätte bereits für den letzten Wahlkampf eine ernsthafte Debatte der Ziele und Werkzeuge unserer Außenpolitik angemahnt - und eine nüchterne Bilanz der neuen Rolle der Bundeswehr. Noch besser, er würde sich nun energisch für eine gesetzliche Regelung der Fälle militärischen Eingreifens einsetzen. Wir Bürger sollten vorher wissen, ob wir Verantwortung für Menschenleben oder für Aktienkurse übernehmen sollen.

 

12.06.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 15./16.6.1995

Militärpolitik;
deutsche Beteiligung an einer schnellen Eingreiftruppe für Bosnien (Stadt-Anzeiger v. 08.06.1995)

Nicht hinter der Vergangenheit verstecken? Die nun anvisierte deutsche Beteiligung an einer schnellen Einfreiftruppe für Bosnien mag zu einem taugen: Deutschland als schlagkräftiges Element eines westlichen "Geleitzuges" zu präsentieren. Zur Erinnerung: dies war Kinkels bezeichnendes Bild aus der Debatte über das Urteil des Verfassungsgerichts im letzten Sommer. Der Beitrag ist wohl auch vom neuen "erweiterten Sicherheitsbegriff" gedeckt, der unserer Regierung in bequemer Unschärfe jede gewünschte militärische Handlungsfreiheit lassen soll.

Entschlossene humanitäre Hilfe ist der Beitrag aber nicht, mal wieder nicht. Rühes Appelle an Mannesmut und Mannesehre, die einem Minister fern vom Schuß ohnehin leicht über die Lippen gehen, führen in die Irre.

 

19.06.1995
DIE ZEIT; abgedruckt: 07.07.1995

Militärpolitik;

Robert leicht: Kein Sonderweg in die Etappe (ZEIT Nr. 25 v. 16.06.1995)

Leicht zu folgen fällt mir schwer: Die Bosnien-Mission machte und macht zwar keinen Sinn; sie dient aber immer dem Bündnis und ist daher von uns ellen loyal mitzutragen? Wem schulden wir diese Nibelungentreue? Den USA, die nur leiten und nicht folgen wollen und schlicht nach ihren nationalen Interessen sehen (what’s in for America?). Oder den Franzosen, die wieder selbstverliebt am atomaren Baukasten basteln? Vielleicht am ehesten den Engländern. Die möchten die Attribute einer Weltmacht ähnlich gerne konservieren wie Deutsche sie wiederbeleben möchten.

 

22.08.1995
NIKKEY WEEKLY, JAPAN; abgedruckt: 28.8.1995

Mititärpolitik;
Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEY WEEKLY of August 14, 1995

I refer to reports on WW II and especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEY WEEKLY of August 14, 1995 (page 6). It is my impression that those two letters offer a unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a merciful decision"). So I would like to show an alternative view,:

It is certainly true, that Japanese military leaders commenced the hostilities against the USA. But the Japanese victims at Hiroshima and Nagasaki were in their vast majority civilians. And although they were victims, I am far from sure they were the real addressees of the bombs as well. There is quite a convincing hypothesis: the drop of the bombs in the first place aimed at impressing the counterparts of Truman at the Potsdam Conference of July/August 1945 - Truman, a just invested and still very uneasy-feeling American president
(to add: according to now opened American files the Nagasaki bomb was also meant to test a completely redesigned ignition system).

The echoes of that demonstration of power strongly outlived that event. We hear them over and over again - from Irak, from France, from China etc. So humanity will never forget those victims, even if some wanted to.

 

29.08.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 1.9.1995

Militärpolitik;
Zunahme der Wehrdienstverweigerung; Kölner Stadtanzeiger v. 28. u. 29.08.1995

Die beklagte Flut von Wehrdienstverweigerern kann nicht getrennt werden von der out-of-area-Diskussion: Ein Maximum von Verweigerern gab es bereits während des Golfkrieges, ein weiteres nun im Gefolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum erweiterten Auftrag der Bundeswehr. Die Bürger - nicht zuletzt die konservativsten - wollen schlicht ihre Söhne nicht riskieren. Da liegt es nahe, sich das Gewissen ein für allemal zu erleichtern und die robustere Aufgabe auf andere zu schieben, auf eine Söldnerarmee.

Nur darf man dann keine "Bürger in Uniform" mehr erwarten, sondern konzentriert solche, die Krieg vergöttern oder zumindest für normal halten. Timothy McVeigh, der Hauptverdächtige nach dem Blutbad von Oklahoma City, ist Waffennarr, militanter Fremdenhasser - und Golfkriegsveteran. Die Vorstellung, bei einem Auslandseinsatz von solchen Geistern vertreten zu werden oder solche Irregeleitete noch staatlich trainieren zu lassen, ruft bei mir erhebliche Beklemmungen hervor. Ich ziehe eine Bundeswehr vor, zu der ich ohne Gewissenskonklikte auch meinem Sohn raten kann.

 

05.09.1995
FOCUS

Militärpolitik; Wehrpflicht;
"Wann fällt die Wehrpflicht?", FOCUS 35/1995

Bürger sind gerne mit dem Bauch anderer mutig. Das gilt für Bürger jeder Couleur. International mit Macht mitmischen, ja – aber doch bitte nicht unter Einsatz der eigenen Söhne! Die scheinbar logische Konsequenz: eine Söldnerarmee.

Das Rekrutierungspotential sind dann aber keine waisenknaben, sondern in hoher Konzentration Outsider vom Schlage eines Timothy McVeigh. Der ist stolzer Fremdenhasser, Waffennarr und Golfkriegsveteran – und Hauptverdächtiger nach dem Blutbad von Oklahoma City: ein fataler Bumerang für die Bürger.

 

17.11.1995
FOCUS; abgedruckt: FOCUS 48/1995 (zweiter Absatz)

Militärpolitik; Soldaten = Mörder?;
Generalinspekteur Naumann in FOCUS 46/1995

Natürlich nimmt Naumann seine Soldaten in Schutz. Die sind ja auch in aller Regel umsetzendes Werkzeug und nur das Auseinanderfallen von Plan und Tat kann sie effizient machen. Ob Naumann oder andere deutsche Politiker-Soldaten oder Soldaten-Politiker, die den Somalia-Einsatz der Bundeswehr auch als militärische Integrationsübung begrüßt und gefördert haben, jemals über persönliche Verantwortung für den Tod zweier Somalis nachgegrübelt haben, der zwei Somalis, die von deutschen Wachsoldaten in Belet Uen – vermutlich wegen eines versuchten Diebstahls – erschossen worden sind. Ob Naumann bei künftigen Fällen nach Art des Kuwait-Konflikts Opfer in der Zivilbevölkerung auch auf eigene Entscheidungen zurückführen würde?

Naumann könnte sich und seinen Soldaten auch mit einer Bibel helfen, die im ersten Weltkrieg in Gebrauch war. Dort war dem Gebot "Du sollst nicht töten" ein Sternchen beigefügt. Die entsprechende Fußnote lautete. "Gilt nicht im Krieg." Heute fehlt das Sternchen. Gedacht wird aber genauso.

 

29.11.1995
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 5.12.1995

Militärpolitik; Demokratie
Kabinettbeschluß zur Beteiligung an der Friedenstruppe in Bosnien; Stadt-Anzeiger v. 29.11.1995

Die Bundesregierung hat mit ihrer out of area –Politik ein ungeschriebenes Grundrecht gekippt. Dieses hatte einmal zum Inhalt: der Staat darf seine Bürger nicht als Werkzeug in den Konflikten dritter Staaten einsetzen - in Konflikten, deren innere Ursachen und Interessenlagen Bürger praktisch nicht überprüfen können. Für die Mehrheit der deutschen Juristen war dies bis zum Jahre 1994 unzweifelhaftes Verfassungsrecht.

Ein weiterer Verfassungssatz ist zum Glück noch anerkannt: für die Bürger einschneidende Maßnahmen dürfen nur auf der Grundlage eines allgemein gültigen Gesetzes angeordnet werden, das Art und Umfang des Eingriffs präzise regelt. Konkret: Es muß verbindlich feststehen, ob wir Menschen wie in Bosnien schützen wollen und/oder Ölrechte wie in Kuwait. Einzelfallentscheidungen sind beguem für eine nach außen gefällige Politik, aber das genaue Gegenteil von Bürgerschutz. Bürger sollten ihre Haut so teuer wie möglich zu Markte tragen: fordern wir von unseren Politikern sehr nachdrücklich eine Regelung zu ,,out of area"!

 

09.01.1996
DIE ZEIT

Militärpolitik;
ZEIT Nr. 2 v. 05.01.1996 (Theo Sommer: "Wenn die Feldpost wieder kommt")

Was spiegelt sich in den neuen Maximen? Wir machen nun mit bei einer auf Weltmaßstab ausgedehnten Monroe-Doktrin: Wir kündigen an, zur Sicherung unserer wohlverstandenen Interessen weltweit auch militärische Macht einsetzen zu wollen. Humanitäres ist in zweiter Linie interessant, wenn es sich denn fügt.

Die Reaktion auf diese einseitige Änderung grundlegender Spielregeln? Früher oder später - wegen der rapiden Abnahme der globalen Distanzen und Ressourcen eher früher - wird der erweiterte Anspruch mit Rechten anderer kollidieren, z.B. im Falle des Islam, dem uralten und wieder wohlfeilen Lieblingsfeind aller Falken. Und im Konflikt werden dann unsere Wehr-Falken dem zerzausten Tauben-Volk selbstgewiß erklären: "Unsere Voraussage hat sich erfüllt, wie immer."

 

25.02.1996
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 1.3.1996

Militärpolitik; Demokratie
Diskussion über die Wehrpflicht (Wiedemann in KStAnz. v. 24.02.1996, S.2. "Brauchen wir die Wehrpflicht")

Vehementer Protest, Herr Wiedemann: Die Berufsarmee ist nicht wünschenswert und sie ist auch nicht unausweichlich.

An deutschen Stammtischen und in deutschen Partei-Biotopen wuchern die out-of-area-Feldherren. Sie würden jederzeit die Haut anderer zu Markte treiben - für Ordnung, Freiheit, Menschenrechte und/oder Rohstoffversorgung. Mit gleicher Entschiedenheit freilich würde die Mehrzahl davon ein persönliches militärisches Risiko verweigern. Eine Söldnerarmee käme gerade recht: sie würde ihnen den inneren Widerspruch ersparen.

Aber eine Demokratie braucht Rückkoppelung, braucht Betroffenheit und das Schmerzgefühl eines militärischen Eingriffs. Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Wehrpflichtige, und wir brauchen Einsatzformen und Einsatzziele, die ein dauerhaftes Engagement aus allen gesellschaftlichen Gruppen möglich machen. Joschka Fischer, Lothar Rühe und Günther M. Wiedemannn könnten die ersten sein.

 

08.03.1996
DIE ZEIT

Militärpolitik; Demokratie
Theo Sommer in der ZEIT Nr. 10 v. 01.03.1996 (Zeit zum letzten Zapfenstreich?)

Die Entscheidung zwischen Wehrpflicht und Berufsheer hat sehr wohl mit Demokratie zu tun und auch mit Moral: Eine Demokratie muß nicht nur repräsentativ planen, sondern sie muß gerade in bedrohlichen Situationen auch repräsentativ handeln. Das altrömische Kopf-und-Glieder-Modell war uns in der Schule zu recht als arrogant erschienen.

Es kann auch hier kein Vorbild sein, etwa nach der Devise: wir brauchen mehr militärischen Biß - und werden schon genug junge Leute dafür finden. Dies würden am ehesten solche sein, denen unsere Gesellschaft keine andere vernünftige Arbeit, keine zivile Perspektive bieten kann oder will. Es wäre ein wenig wie Verleitung zur Prostitution.

 

13.03.1996
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik;
Gesetzesinitiative zum Schutz der Bundeswehr vor Ansehens-schädigenden Äußerungen

Ich stelle mir einmal vor, die Gesetzesinitiative zum Schutz der Bundeswehr vor Ansehens-schädigenden Äußerungen hätte Erfolg. Ich male mir weiterhin aus, die Bundeswehr intervenierte eines schönen Tages in einem arabischen Staat zur Sicherung der ungeschmälerten Ölversorgung und ich schimpfte sogleich in einem Leserbrief über "Kanonenboot-Politik, Söldnertruppen" und dergleichen.

Würde ich meinen nächsten Leserbrief dann im Gefängnis schreiben - an den verantwortlichen Redakteur eine Zelle weiter?

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
11.04.1996

Miltärpolitik; Demokratie
Ronald D. Asmus in der FAZ v. 11.04.1996 (S. 11: "Kein Kult der Zurückhaltung mehr")

Die aktuelle Studie zum Meinungsbild der deutschen Elite zur Außen- und Sicherheitspolitik ist sehr aufschlußreich. Eines der für die Politik wichtigsten Ergebnisse: der eklatante Unterschied in der Bewertung von Kampfeinsätzen der Bundeswehr außerhalb des Bündnisgebietes mit ca. 80% Zustimmung bei der gesellschaftlichen Elite gegenüber nur 20% bei der allgemeinen Bevölkerung.

Es liegt nahe, den Bruch mit dem intensiven top-down-Effekt bei der fundamentalen Änderung der deutschen Außenpolitik zu erklären. Eine breite Diskussion hat es nicht vor der Neuorientierung, sondern höchstens konsekutiv gegeben, in zwei zwischenzeitlichen Bundestagswahlkämpfen hatte das gewichtige Thema keinerlei Prominenz und trotz des Gesetzesvorbehalts unserer Verfassung existiert bis heute keine generelle Regelung der potentiell einschneidenden Tatbestände - nur verteidigungspolitische Richtlinien und ad-hoc-Entscheidungen des Parlaments.

Zumindest das legislative Defizit kann und muß unverzüglich behoben werden, um die Identifikation der Bevölkerung mit den neuen Aufgaben der Bundeswehr in demokratischem Prozeß zu verbessern.

 

17.04.1996
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 31.5.1996

Holocaust; Daniel Jonah Goldhagen ("Hitler's Willing Executioners", Kulturteil des Stadt-Anzeiger v. 12.04.1996, Martin Oehlen: Ein Volk von Antisemiten?)

Goldhagens Botschaft ist schlicht: durchschnittlich anständige Deutsche hatten nichts gegen die soziale und körperliche Vernichtung jüdischer Mitbürger - Details wurden als unappetitlich empfunden, aber das Ziel stimmte. Der Befund ist schlüssig; auch die träge Sprache zeigt es. In unserer Familie wurde bis in die 60er Jahre hinein locker gesagt "bis zur Vergasung", wenn gemeint war "bis zum Überdruß" und die Erklärungsstrategien waren noch ähnlich wie vor 1945: jahrhundertelang verweigerte Assimilation der Juden und undurchschaubare, potentiell konspirative Gruppenbande.

Das verstörende an Goldhagens Ansatz ist nur: Wenn Antisemitismus endemisch und selbstverständlich war - und auch schon vor 1933 gewesen sein müßte -, relativiert dies die Steuerungsfähigkeit und Schuld vieler Deutscher (und vieler kollaborierender Europäer). Es verstärkt den Vorwurf gegenüber denjenigen, die immer einen weiteren, auch grenzüberschreitenden Blick haben, gegen die gesellschaftlichen Eliten aus Administration und Aristrokratie, Kirche und Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft.

 

DER SPIEGEL
19.04.1996

Holocaust; Daniel Jonah Goldhagen ("Hitler's Willing Executioners") im SPIEGEL Nr. 16/1996 (Rudolf Augstein: "Der Soziologe als Scharfrichter")

"Wer da ist ohne Schuld, der ..." Im Nachkriegsdeutschland, aber auch im kontinentalen Nachkriegseuropa wurden nicht gerade viele und nicht gerade große Steine geworfen. Ergo: besonders viel Unschuld hat's in unserer Region vielleicht doch nicht gegeben.

Und der brave Rudolf Augstein hat das ewigmenschliche fest im Blick und baggert seit geraumer Zeit das bißchen Geröll zurück. Siehe auch seinen letztjährigen Essay "Oh, that inhumanity!", wonach der Antisemitismus im Vorkriegspolen vielleicht ausgeprägter war als in Deutschland und der Staat Israel seine Existenz objektiv den Deutschen verdankt!

 

12.07.1996
Kölner Stadt-Anzeiger

Militärpolitik;
Erleichterung von Rüstungsexporten (Stadt-Anzeiger v. 11.07.1996)

Sie berichteten über die weitere Liberalisierung deutscher Waffenexporte. Viele denken heute: Waffen sichern und schaffen eben auch Arbeitsplätze. Aber so ist es gar nicht; das Gewissen wird nutzlos auf Urlaub geschickt:

Waffenexporte sind zunehmend verknüpft mit entgegengesetzten zivilen Warenströmen, sei es durch Kompensationsgeschäfte (Waffen werden ganz oder teilweise mit Waren bezahlt), sei es durch Begleitverträge, sog. offset agreements (Vereinbarung getrennter Warenkäufe des waffenliefernden Staates im Zielland). So kann ein Waffengeschäft "zivile" Arbeitsplätze des waffenliefernden Staates kosten, sogar Arbeitsplätze insgesamt. Folge ist in jedem Fall eine unerfreuliche nationale Spezialisierung: gut in Panzern - ungenügend in Chips. Aber natürlich sind es auch höllisch gute Geschäfte für einzelne!

 

05.11.1996
Frankfurter Allgemeine; abgedruckt: 11.11.1996

Militärpolitik;
Leitartikel in der FAZ v. 02.11.1996 (E.-M. Bader: "Feuer in Afrika")

Um bei dem treffenden Feuerwehr-Beispiel zu bleiben: Es bedarf nicht nur der rechtzeitigen Planung einer Feuerwehr. Mindestens ebenso wichtig ist, die Brandgefahr vorausschauend herabzusetzen und dort, wo es gebrannt hat, die Substanz verbessert wiederherzustellen. Übertragen: Solange ethnische Konflikte einen hochwirksamen Brandbeschleuniger haben in wirtschaftlicher, sozialer und staatlicher Degradation, wird die Konflikt-Feuerwehr in rastlosem Einsatz sein. Wir müssen jede Chance nutzen, zu einem faireren Austausch zu kommen und in diesem fast schon abgeschriebenen Kontinent eigenständige Kompetenz und Wirtschaftskraft zu stärken.

 

16.12.1996
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 20.12.1996

Militärpolitik; Demokratie; Bundestagsbeschluß zur Fortsetzung des deutschen Bosnien-Engagements (Stadt-Anzeiger v. 14./15.12.1996)

Gerne würde ich glauben, die heutige deutsche Wehrpolitik sei Ausdruck eines neuen Mitgefühls für Fremde in Not und nicht Folge eines modernen Selbst- oder Interessebewußtseins, Bosnien sei Motiv und nicht nur geeignete Gelegenheit für den schrittweisen Umbau der Bundeswehr.

Plausibler ist allerdings die nüchterne Deutung: die Wiedervereinigung hat erstmals wieder die Gefahr gebannt, daß Deutsche in Stellvertreterkriegen auf Deutsche treffen - und angeschwollene weltweite Stoff- und Warenströme und aus Deutschland hinausgewachsene wirtschaftliche Interessen legen einen globalen Schutz von Verkehrswegen und Investitionen und die passenden militärischen Werkzeuge nahe.

Ein einfaches und rechtsstaatliches Instrument kann allen Zweifeln abhelfen: ein Gesetz. Jede Einsatzentscheidung greift unmittelbar in elementare Rechte von Deutschen - gleich ob von Wehrpflichtigen oder Berufssoldaten - ein und auch von betroffenen Ausländern. Dies zwingt zu Transparenz und zu generellen Regelungen, ad-hoc-Beschlüsse reichen nicht aus. Das Gesetzgebungsverfahren muß die gesellschaftlich mitgetragenen Einsatzgründe und Entscheidungsgremien in einem offenen Prozeß herausarbeiten. Außenpolitik ist keine Ausnahme von Demokratie.

 

17.12.1996
DER SPIEGEL

Militärpolitik; Bundestagsbeschluß über die Fortsetzung des deutschen Bosnien-Engagements

Auf eine berechenbare gesetzliche Fixierung der neuen Aufgaben der Streitkräfte warten wir wohl vergeblich, ad-hoc-Beschlüsse des Bundestags sind für eine kreative Politik eine doch deutlich bequemere Alternative. Dann aber - bitte, bitte - wenigstens ein Preisausschreiben, und zwar für die aktualisierte Amtsbezeichnung unseres Herrn Rühe; "Verteidigungsminister" liegt ja nun schon lange deutlich neben der Sache.
Ich biete: "RKRK" oder "Riesen-Krisen-Reaktionskraft".

 

17.12.1996
Westdeutsche Zeitung

Militärpolitik; Bundestagsbeschluß über die Fortsetzung des deutschen Bosnien-Engagements und Ihrer Kommentierung (WZ v. 14.12.1996: "Beschränkt tauglich" v. Wolfgang Radau; "Die Bundeswehr wird zur normalen Bündnisarmee" v. Klaus Bering)

Ein langer Weg bis zur Entscheidung des Bundestags am 13.12.1996 - aber kein demokratisches Lehrstück!

Die deutsche Militärdoktrin wurde in den letzten fünf Jahren völlig umgekrempelt, ohne daß die politisch gewollten Einsatzziele in einem Wahlkampf zur Abstimmung gebracht oder in einem Gesetz klargestellt worden wären. Doch Entscheidungen mit Auswirkungen auf grundlegende Rechte von Bürgern oder Ausländern - neben dem deutschen Opfer in Kambodscha sollten auch zwei Somalis vermerkt werden -, setzen in einem Rechststaat nun einmal eine konkretisierende gesetzliche Grundlage voraus. Parlamentarische ad-hoc-Beschlüsse, deren jeweilige tatsächliche Basis wir Bürger realistischerweise nicht überprüfen können, sind kein dauerhafter Ersatz.

Bürger mögen von lokalen Fragen etwas mehr verstehen als von Außenpolitik. Aber wir sind davon betroffen. Insofern ist Außenpolitik mindestens ebenso intensiv demokratiepflichtig wie eine kommunale Abwassersatzung.

 

08.07.1997
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 11.7.1997

Militärpolitik; Bundeswehr - "Horrorvideos"

Rühes Zorn erscheint mir etwas aufgesetzt. Ich kenne die Geisteshaltung der beteiligten Soldaten zwar nicht. Zweierlei erscheint mir aber plausibel: Erstens: Im Vorfeld des i.J. 1996 noch wenig kalkulierbaren Jugoslawien-Einsatzes werden handfeste Ängste aufzuarbeiten gewesen sein; eine Äußerungsform mag das bizarre Rollenspiel gewesen sein. Zweitens: Die neuen Aufgaben der Bundeswehr wirken selektierend und damit auch konzentrierend bei der Auswahl derer, die sie umsetzen wollen und sollen. Ein Mädchenpensionat mußte man nicht erwarten, sondern - neben vielen durchschnittlichen jungen Männern - eher Bengel als Engel.

Dies sind weitgehend mechanische Folgen politischer Entscheidungen; sie sind im Rahmen der inneren Führung nur wenig korrigierbar. In einem extremen Fall kann das neue militärische Selbstverständnis zu einem für die Bürger tödlichen Bumerang werden: erst der Einsatz im Golfkrieg könnte seinerzeit Timothy McVeigh, dem nun verurteilten Bombenleger von Oklahoma City, den letzten Schliff gegeben haben.

 

11.7.1997
Rheinischer Merkur; abgedruckt: 1.8.1997

Militärpolitik; Horrorvideos (Rhein. Merkur v. 11.7.1997 "Spiegelbild")

In einem stimme ich zu: Rühes starke Empörung über das schon betagte Video wirkte etwas aufgesetzt. Verstanden als Krisenmanagement und Mittel der Schadensbegrenzung machte sie jedoch wiederum Sirin - denn niemand, dem das eigene Fortkommen in der Bundeswehr lieb ist, konnte sich von Stund an als Videokonsument outen.

Zutreffend ist auch, daß Auswahl und Erziehung nur begrenzt verbessert werden können. Aber die titelgebende Bewertung ("Spiegelbild") ist Wunschdenken; die Bundeswehr ist nur im Ideal Spiegelbild der Bevülkerung, ohnehin ja höchstens der männlichen Hälfte. Mit erweiterten Aufgaben ist es die Bundeswehr weniger denn je. Bereits vor einigen Jahren warnten interne Studien vor wachsender Attraktivität der Bundesehr für gewaltbereite junge Bürger mit autoritärem Staatsverständnis. Schon damals bekannte sich mehr als; die Hälfte der Wehrpflichtigen und mehr als zwei Drittel der Freiwilligen (!) zu der eindeutig undemokratischen Einstellung, ,,es ware für unsere Gesellschaft ganz gut, wenn soldatische Tugenden wie Disziplin und Gehorsam auch unter Bürgern mehr vertreten waren".

Man darf die Exzesse daher ganz nüchtern als begünstigt ansehen durch die politische Entscheidung über die neue Aufgabenstruktur der Bundeswehr, nicht bloß – wie der Kommentar – als letztlich unvermeidbare menschliche Fehlleistungen.

 

13.8.1997
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 26.8.1997

Militärpolitik; Fremdenfeindlichkeit bei der Bundeswehr (Kölner Stadt-Anzeiger v. 12. u. 13.8.1997)

Entgegen Rühes Weltbild ist seine Bundeswehr alles andere als der Spiegel der Gesellschaft. Wie bei allen Berufen wirken Aufgaben selektierend und spezialisierend. Die neuen Aufgaben der Bundeswehr wirken nochmals prägend auf das Bewerberspek-trum zurück. Für eine abenteuerlustige und potentiell gewaltbereite Bevölkerungsgrup-pe ist es allemal schicker, für einen netten kleinen Wüstenkrieg fit gemacht zu werden - vielleicht einmal gegen Moslems und jedenfalls auf der waffentechnisch überlegenen Seite -, als in der Lüneburger Heide triste Mann-Löcher zu buddeln.

Zur Entzauberung dieser Phantasien ist nötig und lange überfällig, die neuen Militär-Aufgaben auf die gesamtgesellschaftlich offenbar konsensfähigen Fälle humanitärer Hilfe zu konkretisieren und dies gesetzlich zu fixieren. Heute wird allerorten das Wesentlichkeitsgebot unserer Verfassung hervorgekramt, um ein Gesetz für die Rechtschreibreform anzumahnen. Das gilt aber umsomehr für neue militärische Handlungs-formen: Leib und Leben von In- und Ausländern wiegen ungleich schwerer als der wie auch immer geartete Einsatz von Komma oder ,,ß".

 

29.12.1997
DER SPIEGEL

Militärpolitik; rechtsradikale Tendenzen in der Bundeswehr (SPIEGEL 52/1997 S. 28f u. 50/1997 5. 28)

Völlig überraschen können die rechtsradikalen Tendenzen der Bundeswehr nicht - allerdings müssen wir Ministern und Ungedienten wohl einen überdurchschnittlich blinden Fleck zubilligen.

Die Bundeswehr greift nicht auf das Bewerberpotential von Priesterseminaren oder Mädchenpensionaten zu. Die Aufgabe prägt stringent die Struktur der Interessenten und der Aktiven und kennzeichnet gleichzeitig die Meinungen, die ungezwungen geäußert werden können. Gerade deshalb sind die heute erweiterten militärischen Aufgaben spezifisch für eine neue Bundeswehr: die Ölzufuhr freizukämpfen und vielleicht sogar einmal ein paar frechgewordene Muslime mit staatlichem Segen in den Boden zu rammen - das ist nach dem Geschmack einer besonderen Klientel und nichts für den typischen Bürgersohn. Die Tendenz gilt für alle Laufbahnen. Darum ist der neue Ton und Geruch der Bundeswehr nichts wirklich verwunderliches. Und auch nichts, was man durch Auswahl, Bildung oder innere Führung hinwegpudern kann.

 

15.05.1998
Frankfurter Allgemeine; abgedruckt: 20.5.1998

Militärpolitik; indische Atomversuche; Leitartikel in der FAZ v. 14.05.1998
W.A. "Unwillkommen im Klub"

Mit atomarer Macht ist es wie mit dem Alkohol: Prohibition schürt das Verlangen und schafft zudem einen wunderschönen grauen Markt. Zur Qual wird der große Durst, wenn Nachbarn und Nachrangige ganz ungeniert aus der Quelle der Erkenntnis saufen. Kein Wunder, daß auch ein deutscher Kanzler einmal intensiv über die atomare Bewaffnung nachgedacht hat.

Das Intelligenteste wäre die vollständige Beseitigung dieser Waffenart, und - da das Intelligenteste auf diesem Planeten offenbar gleichzeitig das Unrealistischste ist - die nächstbeste Lösung vermutlich die allseitige Verbreitung.

 

10.8.1998
Frankfurter Allgemeine

Wehrpolitik; Berufsarmee

Fischer verspricht die Abschaffung der Wehrpflicht und lockt seine Klientel. Aus meiner Sicht ist das nicht konsequent und - nach allerdings verbreitetem Vorbild - nicht sonderlich demokratisch:

Bündnis9OIDlE GRÜNEN unterstützen mit stetig wachsender Tendenz humanitär begründete Missionen der Bundeswehr, innerhalb der Fraktion bereits sehr konstant. Bei Licht betrachtet ist dies nicht einmal neu. In einem politischen Teilspektrum, das auch in die GRÜNEN eingegangen ist, sind seit Jahrzehnten militärische Handlungsformen akzeptiert, wenn sie denn nur den richtigen Zielen dienen (z.B. Befreiungskriege, ein bellum justum dieser Seite).

Genau das ist der Punkt: nur dasjenige Handeln erscheint mir demokratisch vertretbar, das eine Gruppe mit einem repräsentativen, möglichst nach generellen Regeln aus-gewählten Teil der eigenen Gemeinschaft auch persönlich umzusetzen bereit ist. Das gilt für den Staat insgesamt wie für jede Partei. Betroffenheit ist das einzig wirksame Korrektiv menschlichen Handelns. Völlig unerträglich wäre dagegen folgende Vorstellung: In politischen Hinterzimmern wird ein militärischer Einsatz für gut befunden, von dem man dort weiß, daß ihn eine professionelle Truppe schon folgsam exekutieren wird, genauer: daß für den guten Zweck gesichtslose Menschen ins Feuer geschickt werden. Also: grüne Missionen setzen die Wehrpflicht und - auch - viele grüne Soldaten voraus.

 

21.8.1998
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 28.8.1998

Militärpolitik;

Luftschläge der USA in Afghanistan und im Sudan; Stadt-Anzeiger v. 21.8.1998

Die militärischen Interventionen der USA in Afghanistan und im Sudan erzählen von der kurzatmigen Außenpolitik einer waffenhandelnden Großmacht:

Vor Jahrzehnten haben die USA den noch alliierten Iran - Anrainer des damaligen kommunistischen Hauptfeindes - militärisch aufgepäppelt. Kurze Zeit später kamen Nachbarländer des mittlererweile islamistischen Iran in den Genuß üppiger Waffenlieferungen, Irak und dann auch Afghanistan, letzteres vor allem, um den sowjetischen Einfluß zurückzudrängen. Wieder einen Schritt später werden Nachbarn des inzwischen frech gewordenen alten Freundes Saddam ertüchtigt und schickt man Saddam und nun auch den ehemaligen Geschäftspartnern in Afghanistan cruise missiles in den Pelz.

Macht das alles großen Sinn? Eher scheint es, daß wir uns unsere Feinde und Konflikte selbst schaffen - insbesondere das moderne Feindbild Islam, das seit dem Ende des Kommunismus begeistert herbeigeredet wird und das gleichzeitig das Feindbild ,,Westen" nährt. Daß sich der Islam im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeihung entwickelt, ist nicht verwunderlich. Ich denke, dem amerikanischen Präsidenten ist auch kaum bewußt, welche Eskalation er riskiert: Was er mit cruise missiles anrichtet, können in unseren offenen Gesellschaften viele mit dem billigeren tödlichen Inhalt eines alten Koffers leicht wiederholen. Die Zutaten bekommen sie bei uns und wie man's macht, haben sie längst gelernt.

 

13.04.1999
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 20.4.1999

Kosovo-Einsatz (u.a. KStA v. 12.4.1999: "Verteidigungsminister lobt Rolle Deutschlands")

Der Verteidigungsminister vermerkt einen "großen Sprung nach vorne, was das internationale Ansehen und die internationale Verläßlichkeit Deutschlands angeht", wir seien nun "endgültig in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien angekommen"; der Kanzler sieht "die Stellung im westlichen Militärbündnis grundlegend geändert" und Deutschland als eine "erwachsen gewordene Nation".

Und was ist wirklich passiert? Die NATO-Staaten haben das Völkerrecht mit der Begründung verletzt, der Zweck heilige die Mittel, und führen einen unerklärten Krieg. Die zentralen politischen Ziele der Bombardierung: Entlastung der albanischen Bevölkerung des Kosovo, Zustimmung zu Rambouillet, auch: Destabilisierung von Milosevic. Wegen einer katastrophalen und eher unmündig wirkenden Fehleinschätzung bzgl. des Denkens und der subjektiven und objektiven Handlungsspielräume der Gegenseite sind diese Ziele jedoch nicht nur verfehlt worden, sondern nun in das dramatische Gegenteil verkehrt.

Wir sind gar nicht erwachsener geworden, seit wir uns in die vorderste Front des westlichen Militärbündnisses eingereiht haben – eher wohl haben wir an Souveränität verloren und tragen aus Nibelungentreue jede den Sieg versprechende Ausweitung des Friedens-Feldzuges mit. Selbständiges Denken haben wir verlernt. Sonst wäre früher aufgefallen, daß konsensfördernd allein eine Schutztruppe mit maßgeblich russischer Beteiligung sein kann und Unparteilichkeit höchstens der UNO bzw. der OSZE, nicht aber der NATO zugetraut wird.

 

14.4.1999
Rheinischer Merkur; abgedruckt 23.4.1999

Kosovo-Konflikt (Rhein. Merkur Nr. 15 v. 9.4.1999, S. 1; "Der Krieg auf der Kippe")

Alle unmittelbaren Zutaten des Krieges sind hochprofessionell und von tödlicher Effizienz: die Entwicklung und Bereitstellung modernster Waffensysteme, die militärische Planung, die Befehlsstruktur und die Umsetzung. Völlig unprofessionell, teilweise naiv und kindlich explorativ ist das verbindende Element, das dieser Maschinerie Recht, Moral und System geben müßte: die Politik. Was unsere nationale Politik und unsere gesellschaftlich bedeutenden Gruppierungen betrifft, sie sind über den Status von Objekten bisher nicht hinausgekommen. Und die militärisch treibenden Teile der westlichen Allianz werden von dem nun drohend an der Wand stehenden Fehlschlag und Ansehensschaden in eine weitere Eskalation getrieben.

Martin Luther King hat gesagt: Es gibt keinen Weg zum Frieden, wenn nicht der Weg schon Frieden ist. Die ersten Schritte auf diesem Wege sind, Legalität im internationalen Bereich herzustellen, indem UNO und OSZE in ihre Stellung vor der NATO wiedereingesetzt werden. Auch die nationale Legalität liegt im argen. Ein Naturgesetz der Demokratie ist der Gesetzesvorbehalt: jede Maßnahme des Staates, die in wesentliche Bürger- und Menschenrechte eingreifen kann, bedarf der vorherigen abstrakten Festlegung. Hier:
welche Interessen wollen wir unter welchen Randbedingungen mit welchen militärischen Handlungsformen schützen? Gehören dazu zB ungeschmälerte Versorgungs- und Absatzwege, zB Deutsche im Ausland in Not? Militärische Ad-hoc-Entscheidungen des Bundestages, die unter einem inzwischen notorischen Zeit- und Geheimhaltungsdruck stehen, können diese rechtsstaatliche Garantie nicht ersetzen. Die Kirche muß mit ihrer ethischen Expertise initiativ an der Rechtsgrundlage mitbauen, will sie nicht schuldig werden.

 

14.04.1999
DIE ZEIT

Kosovo (Richard Herzinger in der ZEIT Nr. 15 v. 8.4.1999: "Aus einem fernen, fremden Krieg")

Die NATO ist eine Art moralischer Dienstleistungsbetrieb und gibt uns genau das, was wir wollen? Nett gesagt, aber schräg. Richtig ist, daß sich die NATO um ihr Überleben sorgt, nach siegreicher Bewältigung der Kernaufgabe auch sorgen muß. In bester marktwirtschaftlicher Manier stellt sie ein Produkt, das keine fundamentale Änderung des Vormodells erzwingt, jedoch mit einem schöngeistig-humanitärem Outfit um Abnehmer wirbt. Dabei hat sie zwei Zielgruppen: Die Regierungen, denen sie erweiterte Handlungsoptionen oder – so der nach Reife und Anerkennung strebenden Bundesrepublik – ganz neue Mitwirkungsfelder suggeriert. Und die Zielgruppe der verunsicherten Demokraten, der sie für alle Fährnisse der komplexen neuen Welt einen erweiterten Sicherheitsbegriff beschert und neue Feindbilder wie aus dem Katalog.

Das Dumme ist nur: neben der fast verspielten Militärtechnik sind Analyse und Kompetenz derjenigen Instanzen nicht mitgewachsen, die sich dieser Werkzeuge in ethnischen Konflikten bedienen sollen. Die westliche Politik vertraut neuerdings mehr auf die Hochglanzprospekte des Militärs als auf Völkerrecht und auf realistische Verhandlungsziele. So sehr, daß alle primären Kriegsziele des Jugoslawien-Einsatzes – Entlastung der albanischen Bevölkerung des Kosovo, serbische Zustimmung zu Rambouillet, auch: Destabilisierung von Milosevic – nicht nur nicht erreicht, sondern in das groteske Gegenteil verkehrt worden sind. Die NATO steht in dieser Situation selbstverständlich gerne zur Verfügung, ein neues Kriegsziel – Erhaltung des Ansehens des Westens – durch weitere militärische Eskalation zu fördern. Das ist zwar gutes Marketing, aber nicht das, was ich will.

 

15.04.1999
DER SPIEGEL; abgedruckt Nr. 17/1999

Kosovo-Einsatz (SPIEGEL 15/1999, insbes. Mohr: "Krieg der Köpfe" und die Stellungnahmen deutscher Schriftsteller: "Ein Territorium des Hasses") folgender Leserbrief:

Mohr erledigt alle gewaltkritischen Zielkonflikte mit der Lehrmeisterin Realität: hinschauen - Wahrheit identifizieren – notfalls zuschlagen, auch ohne Recht, wenn mit Moral. Das Problem, das viele heute flimmern läßt, liegt genau in der Mitte, bei der Wahrheit und damit auch bei der Moral. Es gibt sie bei der internationalen Konfliktlösung nicht, es gibt nur ausdeutungsbedürftige, wechselhaft gewichtete Interessen. Und auch im selbstgewissen Westen sind diese Interessen nicht verläßlich nach humanitären Prioritäten geordnet.

Der realpolitische Ansatz ist durch Realität bereits wieder überholt: Die neue deutsche Lesart war: Krieg sei die ultima ratio der Politik; die fortgeschrittene Sicht: Krieg sei schon zu spät über Belgrad gekommen, um guten Erfolg zu haben. Die brandneue Interpretation ist: Weil Krieg zu spät gekommen sei, ist Politik nun wieder die ultima ratio des Krieges. Das wäre fast versöhnlich, lägen nicht zig zivile Opfer in allen Teilen Jugoslawiens dazwischen und die Zerstörung von Milliardenwerten und von jahrzehntelanger Entwicklung. Macht sich jemand Gedanken zur persönlichen Verantwortung derjenigen, die seit 1990 so unbekümmert an der Weltsicherheitsordnung herumbasteln, gleich als wäre dies ein unverbindlicher Stabilbaukasten?

 

16.04.1999
Frankfurter Allgemeine

Bundestagsdebatte über das Kosovo (FAZ v. 16.4.1999, "Breite parlamentarische Unterstützung für die Bundesregierung"; Kommentar von P. G. Hefty, "Hilfsdienste und Wegweisungen")

Hefty zitiert Lamers zurecht: der Balkan ist eine andere Welt. Das kratzt an der selbstgewissen Moral der Bundestagsdebatte v. 15.4. Man darf durchaus annehmen: der Westen hat die objektiven wie subjektiven Handlungsgrenzen von Milosevic fahrlässig verkannt, als die NATO ultimativ Zustimmung zu einer Besatzung im Kosovo verlangte. Und: die NATO hat durch das Verdrängen der OSZE aus dem Kosovo und durch den aus Sicht der Serben schlüssigerweise ungesetzlichen und parteilichen Militäreinsatz die folgenden Gewalttaten voraussehbar begünstigt. Milosevic trägt Schuld, aber die NATO und viele ambitionierte Architekten einer ungetesteten Sicherheitsordnung haben Mitschuld. Sie werden es kaum erkennen, noch weniger zugeben.

Mit der Moral ist es ohnehin so eine Sache: Ist denn das, was wir über Milosevic hören, auch nur annähernd so brutal wie das, was wir von Truman wissen: das Opfer von hunderttausenden japanischer Zivilisten - Männer, Frauen, Greise wie Neugeborene - für einen in damaligen Kriegsstadium ganz und gar sinnlosen Atombombentest? Nun sage niemand, daß in einer für uns unbegreiflichen Dimension das Staatsmännische beginne.

 

19.04.1999
STERN; abgedruckt Nr. 18/1999

Kosovo-Einsatz (STERN Nr. 16 v. 15.4.1999, "... und morgen in das Kosovo")

Ein rationaler Verhandlungsansatz liegt auf der Hand, der gleichzeitig Vertrauen und Legitimität schafft: 1.) eine sofortige internationale Schutzmacht für das Kosovo unter Einbeziehung bisher nicht involvierter NATO-Staaten wie Norwegen, 2.) maßgebliche Mitwirkung Rußlands, 3.) Hoheit der UNO, die der voraussichtlich langwährenden Operation auch nicht nur einen Tarnanzug verleiht, sondern die selbst planerische und kontrollierende Verantwortung trägt und Weltöffentlichkeit schafft.

Solange die NATO ultimativ die Kapitulation eines dämonisierten Belgrads fordert, verkündet sie als primäres Kriegsziel an jugoslawische Ohren: die NATO will sich als von der UN losgelöste überstaatliche Macht in Europa durchsetzen. Das einzige Ziel – und die einzig denkbare Rechtfertigung von Gewalt gegen Souveränität – ist aber, den gequälten, bedrängten und verjagten Kosovaren zu helfen. Jede Minute eines verhandlungslosen Krieges türmt hohe Schuld auch auf den Westen und seine selbstgewissen und/oder ambitionierten Politiker.

 

12.05.1999
Kölner Stadt-Anzeiger u. FAZ; abgedruckt jeweils 18.5.1999

Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad (KStA/FAZ v. 10./11.5.1999)

Ich hatte zunächst angenommen, die militärische Komponente der Luftschläge gegen Jugoslawien sei mit einer gewissen Bandbreite professionell – es hapere nur an einer naiven westlichen Politik, die die Handlungsoptionen des Gegners völlig falsch eingeschätzt hatte und darum das Gegenteil der eigenen Ziele verursacht hat.

Nach dem "Fehlschuß" auf die chinesische Botschaft allerdings deutet alles darauf, daß auch die militärische Umsetzung extrem abenteuerlich und riskant ist. Das Katastrophale der Entwicklung ist nicht etwa, daß China nun der Verhandlungslösung für das Kosovo einen deutlichen Stempel aufdrücken wird: hier kann sogar gehofft werden, daß China der von der NATO düpierten UNO zu ihrem Recht verhilft.

Das wirkliche Katastrophale ist: der Westen kann vor Milliarden Menschen als blindwütiger, unglaubwürdiger Aggressor dargestellt werden und Menschen- und Bürgerrechte sind auf lange Zeit von der Tagesordnung abgesetzt. Völlig abgesehen von einer plötzlich veränderten geopolitischen Konstellation, in der Rußland und China ein gemeinsames Gegengewicht gegen den militärisch ambitionierten Westen formieren. Der Rüstungswettlauf hat wieder Konjunktur.

 

04.10.1999
Kölner Stadt-Anzeiger

Rückblick in der Wochenendausgabe zur V 2 - Entwicklung (zu "Sternenträume" von Lutz-P. Eisenhut, KStA v. 2./3.10.1999, Moderne Zeiten S. 6)

Die Geschichte der A 4 sollte mit ein paar Internet-Informationen etwas ernüchternd vervollständigt werden:

Die V 2 war eine gegen Menschen gerichtete Großwaffe, die nicht nur Sternenträume, sondern überwiegend Alpträume, Tod und Zerstörung gebracht hat. Sie war auf eine "Nutzlast" von nahezu einer Tonne hochbrisanten Sprengstoffs konstruiert und konnte damit große Gebäude in Schutt und Asche legen. Es gab keinerlei Abwehr- oder Schutzmöglichkeit: der Überschallknall deckte sich mit dem Einschlag selbst. Bis Kriegsende wurden etwa 10.000 V 2 gebaut, davon wurden ab September 1944 ca. 1.000 Raketen auf London, Norwich und Ipswich, ca. 2.000 Geschosse auf kontinentale Ziele abgefeuert, konzentriert auf Antwerpen. Fast nebenbei: bei Produktionsvorbereitung und Produktion herrschten unmenschliche Arbeitsbedingungen und mehr als 10.000 Zwangsarbeiter kamen ums Leben.

Die Funktion der A 4 / V 2 war den Entwicklern völlig bewusst. Bereits im November 1932 hatte Wernher von Braun einen Vertrag mit der Reichswehr zur Entwicklung von Raketenwaffen unterzeichnet. Die V 2 ist die Vorstufe aller modernen Raketen geworden, der zivilen und militärischen Träger, wobei die letzteren nach wie vor die Entwicklung prägen. Ich denke es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass aggressive und destruktive Interessen diese Technologie vorantreiben und dass das Wissensdurstige, Träumerische bestenfalls für Aushängeschilder und Überschriften taugt.

 

21.10.1999
Frankfurter Allgemeine; Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt KStA v. 29.10.1999

Waffenlieferung an die Türkei - Entscheidung des Bundessicherheitsrates v. 20.10.1999 über die Test-Stellung eines Leopard-Kampf-panzers (zu FAZ u. KStA v. 20. u. 21.10.1999)

Viele spielen in Vorfreude auf das opulente Waffengeschäft schon mal flugs die Arbeitsplatz-Karte, ohne allerdings die wirtschaftlichen Strukturen näher zu erläutern.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich - und das hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach realisiert: Rüstungsexporte dieses Kalibers können zivile Arbeitsplätze kosten. Ist das paradox? Keineswegs. Die Türkei hat die geschätzten 31 Milliarden natürlich nicht auf der hohen Kante. Entsprechend völlig gängiger Praxis wird sie ein großes Segment im eigenen Land in Lizenz fertigen. Und von dem Rest wird sie einen wiederum maximierten Anteil durch sogenannte offset agreements mit gegenläufigen Material- und Warenströmen "finanzieren" und kräftig aus der Türkei nach Deutschland liefern.

So frisst der Rüstungsarbeitsmarkt einen Teil des zivilen Bereichs. Wegen der höheren Wertschöpfung der Rüstungssparte kann der Austausch auch einen deutlichen Netto-Verlust von Arbeitsplätzen auslösen. Diese Form der Spezialisierung ist nicht wünschenswert, oder?

 

03.11.1999
DIE ZEIT

Lieferung von deutschen Panzern an die Türkei (zu ZEIT Nr. 44 v. 28.10.1999, S. 1, 5, 28; insbesondere zu W. Hoffmann, "Die Panzerfalle")

Zwei Anmerkungen zu der von Krauss-Maffei-Wegmann geschätzten Sicherung von 6.000 Arbeitsplätzen, die bei vielen Zeitgenossen jegliche humanitäre Anwandlung blitzartig schwinden lässt.

Erstens geht es nicht um neue Arbeitsplätze, sondern eben nur um die später kaum nachweisbare/widerlegbare Sicherung vorhandener Stellen.

Zweitens spricht die Firma aus gutem Grund nur von Effekten im eigenen Betrieb und gerade nicht von den gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungswirkungen. Denn die Bilanz kann bei einem Waffen-Geschäft dieses Kalibers im Saldo kräftig negativ ausfallen: Im Waffenhandel ist gang und gäbe, dass die Konkurrenten die noch unentschlossenen Kunden mit attraktiven "offsets" umwerben. Dies sind gegenläufige Geschäfte, bei denen die selten besonders finanzstarken Käuferstaaten die Waffen und/oder Lizenzen mit zivilen Warenströmen oder zugelieferten Komponenten "bezahlen" dürfen. Die "offsets" können das Volumen des Waffendeals sogar deutlich übersteigen. Ca. 150% des Waffenwertes sollen sie bei einem Verkauf im Werte von 2,3 Mia. Dollar i.J. 1992 betragen haben, hier ging es primär um die Lieferung von F/A-18-Kampfbombern aus den USA an Kanada und im Gegenzug um Büromöbel, touristische Leistungen und Zulieferungen. Daher verursacht ein solches Waffengeschäft zumindest eine nationale Spezialisierung zugunsten der Herstellung/Planung rüstungstechnischer Güter und zulasten ziviler Produktion; wahrscheinlicher kommt es zu einem Netto-Verlust von Arbeitsplätzen, forciert durch die überdurchschnittliche Wertschöpfung der Rüstungsindustrie und insbesondere bei Abgeltung von Lizenzkosten durch Warenlieferungen.

Anm.: Die Informationen zu dem zitierten US-kanadischen Waffengeschäft sind einem Artikel von Lora Lumpe und Paul F. Pineo in Intersect 1994, S. 18 entnommen ("Do U.S. arms sales cost American jobs?"); Lumpe u. Pineo leiteten das Arms Sales Monitoring Project der Federation of American Scientists.
Siehe zu offsets i.Ü. auch
http://worldpolicy.org/arms/natocost.html.

 

12.01.2000
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 17.1.2000

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes bzgl. der Gleichstellung von Mann und Frau beim Dienst an der Waffe (KStA v. 12.01.2000)

Zwei Bemerkungen zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 11.1.2000, die Mann und Frau an und vor der Waffe gleichstellt:

Ich halte den Vorgang für demokratisch schwer gewöhnungsbedürftig: Ein Europa, das keinerlei Legitimation durch eine konstitutionelle Volksabstimmung erfahren durfte und praktisch die Geburt der Verwaltungen der Mitgliedstaaten ist, kann aus meiner Sicht schwerlich die Verfassung und damit das grundlegende Recht eines seiner Völker gestalten.

Die Bündnis-Grünen sehen nun die Wehrpflicht als nicht mehr haltbar an. Ich kann dem nicht folgen, denn ich halte nur eine authentische Politik für eine gute Politik. Die Grünen haben gerade die militärische Gewalt als im Einzelfall sinnvolles, ja moralisch gebotenes Handeln entdeckt. Zur politischen Glaubwürdigkeit rechne ich aber auch, dass die politischen Mütter und Väter eines Auslandseinsatzes den kühnen Plan mit einer gewichtigen Zahl ihrer Parteiangehörigen oder Wähler auch handfest verwirklichen helfen. Auf eine willig verfügbare Söldner-Truppe lässt sich locker delegieren. Aber vielleicht meldet sich nun eine große Zahl grüner Frauen freiwillig und setzt energisch und nachvollziehbar die neue grüne Militärpolitik in die Praxis um. Dann gäbe ich mich geschlagen.

 

14.01.2000
Frankfurter Allgemeine; abgedruckt 20.1.2000

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes bzgl. der Gleichstellung von Mann und Frau beim Dienst an der Waffe (FAZ v. 12.01.2000, Kommentar Nm auf S. 14)

Der Europäische Gerichtshof hat am 11.1.2000 den deutschen Mann und die deutsche Frau an und vor der Waffe gleichgestellt; hierzu zwei Bemerkungen:

Die Entscheidung macht einerseits das deutsche Verfassungsgericht arbeitslos, darauf hatte die FAZ hingewiesen. Das bereitet mir auch einige demokratische Kopfschmerzen: Unser Grundgesetz mag zwar mangels anfänglicher Bestätigung durch das Volk nicht als Musterbeispiel demokratischer Verwurzelung gelten. Aber - so jedenfalls die überwiegende Betrachtung - das Volk hat es durch eine Abfolge von vielen demokratischen Wahlen zu seinem eigenen gemacht. Nun schickt sich Europa an, das Grundgesetz und damit das grundlegende Recht eines seiner Völker zu gestalten. Ein Europa, das nach ebenso überwiegender Auffassung bisher nur eine schwache demokratische Legitimation besitzt und bei den Bürgern am ehesten als Veranstaltung der nationalen Administrationen bekannt ist.

Der zweite Punkt betrifft die fast reflexhafte Reaktion der Bündnis-Grünen und vermittelt gleichzeitig die Tiefenwirkung der Luxemburger Entscheidung: Nun aber endlich auch die deutsche Wehrpflicht abschaffen! Ich kann dem nicht folgen. Haben die Grünen nicht eben erst die staatliche militärische Gewalt als im Einzelfall sinnvolles, ja moralisch gebotenes Handeln entdeckt? Authentische Politik heißt für mich, als politische Ziele nur diejenigen zu präsentieren, die man selbst - mit einer beeindruckenden Zahl der eigenen Leute oder Wähler - vor Ort umzusetzen bereit ist. Ich sehe das als eine Ausprägung des Kant'schen kategorischen Imperativs an in Verbindung mit dem elften Gebot, das Moses über seinem beschwerlichen Abstieg von Gott zum Volk menschlicherweise wieder vergessen hatte: Du sollst nicht Wasser predigen und Wein saufen!

 

25.05.2000
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt: 29.5.2000

Vorstellung des Kommissionsberichts "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" (FAZ v. 22./24.5.2000)

Im Rahmen der Möglichkeiten hat die Weizsäcker-Kommission einen runden Bericht präsentiert. Aber es ist gerade der Rahmen, genauer: der Aufgabenkreis der neuen Bundeswehr, der die ernsten Fragen hervorruft. Ein solcher Rahmen in der rechtsstaatlich gebotenen Qualität ist die zwingende Basis einer Wehrstrukturreform. Er steht nach zehn Jahren des Herantastens immer noch aus.

Der Kommissionsbericht deutet dieses Aufgabenspektrum vage an. Er nennt in seiner Nr. 17 sicherheitspolitische Ziele, u.a. den leiblichen Schutz der Bürger, die Bewahrung der staatlichen Ordnung, den Schutz zentraler Interessen, die Förderung von Demokratie und – neuer, aber auch nicht konkreter – von Humanität. Ergänzend und mit vergleichbar dehnbarer Formulierung sind unter Nr. 63 die Überlegungen der Bundesregierung zum Bundeswehrauftrag von 1992 zitiert. Dies genügt weder im Verfahren noch im Inhalt einem Strukturprinzip der modernen Verfassungen: dem im Wesentlichkeitsgebot verdichteten Vorbehalt des Gesetzes.

Das Wesentlichkeitsgebot schützt den Bürger vor administrativer Willkür und zwingt den Staat, jeden Eingriff in zentrale Rechte durch abstrakte und generelle Regeln anzukündigen. Ist eine intensivere Grundrechtsbetroffenheit als die derjenigen Menschen vorstellbar, die durch einen militärischen Einsatz berührt werden?

Ad-hoc-Entscheidungen eines Parlaments gewährleisten hier keinen annähernd ausreichenden Schutz, selbst Plebiszite vermöchten dies nicht. Es ist eine sehr politische Pflicht, die neuen Einsatzfelder der Bundeswehr rechtsstaatlich sauber festzulegen und daran die internationalen Bindungen zu orientieren: Erst dann ist eine seriöse Wehrstrukturreform möglich.

 

29.05.2000
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt: 1./2.6.2000

Kommissionsbericht "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr"

Am Bericht der Weizsäcker-Kommission fällt mehreres auf: Zum einen enthält der Bericht zwar vage skizzierte sicherheitspolitische Ziele wie z.B. den Schutz zentraler deutscher Interessen (Nummer 17) und die ebenso wenig konkreten Überlegungen der Bundesregierung zum Bundeswehrauftrag aus dem Jahre 1992 (Nummer 63). Aber er entwirft keine präzise Aufgabenstellung, die dem staatsrechtlichen Gebot genügen könnte, wesentliche Eingriffe in die Rechte der Bürger ausschließlich gesetzlich zu regeln. Das vor zwei Jahren von der SPD angekündigte Bundeswehraufgabengesetz scheint also wieder von der Tagesordnung zu sein. Dies ist ein rechtsstaatlich wie demokratisch sehr kritischer Punkt.

Sodann der so häufig genutzte, betörende Gegensatz Material / Mensch: Wie schon seit einigen Jahren bei den Streitkräften der USA ist die attraktive Beschaffung von high tech offenbar nur durch drastische personelle Einsparungen zu "finanzieren", Einsparungen, die auch den zivilen Bundeswehr-Bereich und über die starke Verringerung von Standorten auch die umgebende Wirtschaft und Bevölkerung treffen. Das beseitigt sehr viele dauerhafte Arbeitsplätze und ungewollt gilt von Weizsäckers Satz gerade hier: "Sparen kostet". Die Gästeliste der Kommission in Anhang 2 des Berichts liest sich in weiten Teilen wie ein "who is who in Wehrtechnik und Beschaffung".

Der Bericht betont sehr stark die außenpolitischen Verpflichtungen. Sie prägen schon den Titel ("Gemeinsame Sicherheit..."), sie wurden von Weizsäcker bei der Vorstellung hervorgehoben und scheinen jeden Gedanken an eine inhaltliche Mitgestaltung der Wehrverfassung zu verbieten. Nur: außenpolitische Verpflichtungen sind das Ergebnis nationaler Willenserklärungen und auch diese müssen demokratisch legitimiert sein. Diplomatie ist keine Ausnahme von Demokratie. Und: es ist ein sehr würdiges diplomatisches Ziel, Deutschland und vielleicht auch weitere Staaten des Westens durch eine konkretisierte, unmissverständliche Wehrverfassung für andere Staaten berechenbarer zu machen. Nach einer Phase ambitionierten Hinausschiebens unseres militärischen Aktionskreises muss dies entspannend und konfliktmindernd wirken.

 

29.05.2000
DIE ZEIT

Kommissionsbericht "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" (DIE ZEIT Nr. 22 v. 25.5.2000: M. Geis "Scharpings Stunde der Wahrheit"; J. Joffe "Mut, Herr Minister")

Die Weizsäcker-Kommission greift dort zu kurz, wo es staatsrechtlich brisant wird. Sie stellt das neue Aufgabenspektrum der Bundeswehr – die Basis aller folgenden Überlegungen zu Umfang, Struktur und Finanzierung – praktisch als gegeben dar, ohne diejenige inhaltliche und verfahrensgebundene Konkretisierung, die ein Rechtsstaat bei wesentlichen Eingriffen in die Rechte von Bürgern und auch von Ausländern zu leisten hat:

Der Kommissionsbericht nennt einige sicherheitspolitische Ziele, u.a. den leiblichen Schutz der Bürger, die Bewahrung der staatlichen Ordnung, den Schutz zentraler Interessen, die Förderung von Demokratie und von Humanität. Auch zitiert er vergleichbar dehnbare Überlegungen der Bundesregierung zum Bundeswehrauftrag aus dem Jahre 1992. Das ist zu wenig – es ist für den Rechtstaat sogar ohne Relevanz. Ein tragendes Element demokratischer Verfassungen ist der Vorbehalt des Gesetzes, eine Forderung schon der Aufklärung. Der Gesetzesvorbehalt schützt den Bürger vor obrigkeitlicher Willkür und intransparenten Interessen. Er zwingt den Staat, jeden Eingriff in zentrale Rechte vorab durch abstrakte und generelle Regeln zu definieren – für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen und Adressaten. Kurz: alle wesentlichen Eingriffe sind dem Gesetzgeber und der Form des Gesetzes vorbehalten. Vom Wesentlichkeitsgebot hörte man häufig bei der Rechtschreibreform (!) und noch im vergangenen Jahr hat der Verfassungsgerichtshof NRW die Verschmelzung von Innen- und Justizministerium gerade am Wesentlichkeitsgebot scheitern lassen. Menschen, die im Inland oder Ausland von einer militärischen Einsatzentscheidung berührt werden, sind unzweifelhaft sehr intensiv in ihren Grundrechten betroffen. Zum Vergleich: Bei der Vorstellung des Kommissionsberichts hat von Weizsäcker auch schon die Frage der bloßen Wehrpflicht als "scharfen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des jungen Mannes" gewertet.

Was exakt steht nun neben der traditionellen Verteidigung des Staates auf der Tagesordnung: Soll die Bundeswehr bei humanitären Krisen eingreifen? Mit welchem Grad internationaler Legitimation? Soll sie weitgespannt die Versorgung sichern und die Absatzwege? Noch weitergehend: Versorgung und Absatz zu uns sinnvoll erscheinenden wirtschaftlichen Konditionen? Erst nach diesen Festlegungen, an denen insbesondere die Bündnis-Grünen intensiv interessiert sein sollten, ist eine seriöse Wehrstrukturreform möglich. Einzelfall-Entscheidungen eines Parlaments gewährleisten hier keinen annähernd ausreichenden Schutz.

Merz dringt auf eine breite öffentliche Debatte und hat Recht damit. Zur Historie muss man allerdings nüchtern ergänzen: Bereits seit Anfang der Neunziger Jahre – und ohne jedes demokratische Fundament – laufen die langfristigen Investitionen der Bundeswehr auf die Unterstützung "krisenreaktiver Kräfte" zu, namentlich im Flottenbauprogramm: Der damals neue Flottenbefehlshaber Admiral Boehmer bestand schon im Frühjahr 1993 auf "einem begrenzten Auftrag bei unbegrenztem Horizont". Die Schiffe dafür wurden und werden mit Volldampf gebaut.

 

20.02.2001
Frankfurter Allgemeine
zu den Luftangriffen im Irak (Bericht in der F.A.Z. v. 19.2.2001 sowie Kommentar von Klaus-Dieter Frankenberger: "Donnergrollen am Golf")

Ein König – jung, neu im Amt und nur um Haaresbreite gekürt – drischt mit seinem funkelnden Szepter auf die Umgebung ein. Respekt-heischend, seine Berater hatten’s ihm geraten. Berater, die auf die Rezepte der letzten Jahrtausende schwören und die den archaischen Teil der Bibel ohnehin für den politisch korrekten halten; Fundamentalisten halt.

Ein paar sterben. Bei einem Täter von Normalmaß käme uns billigende Inkaufnahme der Tötung von Menschen in den Sinn, und zwar Tötung aus niedrigen Beweggründen. Mord. Aber nicht bei einem König. Nicht bei Bush dem Zweiten.

 

22.02.2001
Kölner Stadt-Anzeiger

Haltung von Joschka Fischer zum amerikanischen Militärschlag gegen den Irak (Stadt-Anzeiger v. 21.2.2001)

Es ist nicht unsere Sache, die USA zu kritisieren? Fischers diplomatischer Knicks liegt psychologisch nahe bei den Demutshaltungen, die in den Dreißiger Jahren dem aufkeimenden Faschismus gutbürgerlich-passiv den Weg bereitet haben.

Apropos Schwäche. Schwäche mag wie bei dem angeschlagenen Fischer auch bei dem jungen, nur um Haaresbreite ins Amt gelangten und Respekt-heischenden Bush mitgewirkt haben. Demonstrationen staatlicher Macht gehen häufig einher mit persönlichen Defiziten und Komplexen. Clinton – grell ausgeleuchtet bis unter die Gürtellinie – hatte zum militärischen Doppelschlag gegen den Sudan und gegen Afghanistan ausgeholt. Es heißt, sogar die Menschen in Hiroshima wären einem solchen Mechanismus zu Opfer gefallen. Der wie Bush gerade erst ernannte und sich noch unsicher fühlende Präsident Truman verhandelte zu jener Zeit in Berlin über die Nachkriegsordnung – mit einem äußerst selbstbewusst auftrumpfenden Stalin. Truman sei beraten worden, aus einer Position unangreifbarer Stärke zu verhandeln. Und er gab aus seinem Berliner Quartier, dem "Little White House", den Befehl zu einem atomaren Einsatz, der gegenüber dem bereits militärisch daniederliegenden Japan keinen strategischen Sinn mehr machte.

 

23.02.2001
DIE ZEIT, abgedruckt: 8.3.2001

Luftangriff auf den Irak (DIE ZEIT Nr. 9 v. 22.2.2001; Josef Joffe: "Weltpolitik ohne Partner")

Es ist recht einfach festzustellen, dass Europas Abstand zu den USA kleiner ist als der in Richtung Irak. Allerdings würde ich bei dem atlantischen Zusammenhalt weniger auf übereinstimmende, positive Hauptwerte hinweisen
– denn das müsste Legalität einbeziehen – sondern auf gemeinsame Haupt-interessen einschließlich ganz nüchterner ökonomischer und sicherheitspolitischer Ziele.

Gerade an Legalität hapert es in der neueren westlichen Außenpolitik. Die Flugverbotszonen im Norden und Süden des Irak sind nicht durch die VN genehmigt. Der Verteidigungsausschuss des britischen Unterhauses erkannte sie im Jahre 2000 schlicht als rechtswidrig. Einige wollen das Recht hier ein wenig verflüssigen: Die Zonen hätten zwar keine solide Rechtsbasis, könnten aber als "politisch-moralisch vertretbar" eingestuft werden, ein auch von anderen Einsätzen bekanntes Argumentationsmuster. Nur: der Einsatz galt im konkreten Fall nicht dem Schutz hier und jetzt bedrohter ethnischer Minoritäten, sondern nur der Perpetuierung der Missionen selbst. Und ganz akut gefährdete Minderheiten sind rund um den Globus auszumachen, auch widergespiegelt in vielen VN-Resolutionen.

Dies wäre doch ein lohnendes Projekt gemeinsamer atlantischer Kultur: die nach Ende der Blockkonfrontation noch rohen neuen Formen der internationalen Politik zu regeln und hierzu einen internationalen Konsens zu schaffen. Und zu verhindern, dass das Völkerrecht durch Interessenpolitik im Gewand von selbst ausgerufenen "politisch-moralisch vertretbaren" Eingriffen weiter erodiert.

 

22.06.2001
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 29.6.2001

PDS-Klage gegen die NATO-Strategie (KStA v. 20.6.2001, S.2: "NATO-Strategie vor Gericht")

Bal paradoxe: die vom Verfassungsschutz umschwirrte PDS führt einer progressiven Bundesregierung vor, was Verfassungspatriotismus bedeutet. Im Ernst, die PDS hat hier wirklich einen gewichtigen Punkt. Wenn sich militärische Handlungsformen des Staates quasi von selbst, ebenso unmerklich wie unweigerlich zu einer ganz neuen Qualität entwickeln, wenn plötzlich unter aktiver Mitwirkung Deutschlands Ausländer im Ausland zu Tode kommen, stimmt im Staate etwas nicht. Dann ist der Souverän – die Gesamtheit der Bürger – um ein wichtiges Mitwirkungsrecht in zentralen Fragen verkürzt worden.

Noch in der Opposition hatte es die SPD auch so gesehen, hatte gar eine rechtsstaatliche Regelung des neuen Militärauftrags erwogen ("Konkret für welche Werte will Deutschland eigene oder fremde Leben auf’s Spiel setzen?"). Einmal gut im Amt, ist die Gruppendynamik eines Bündnisses und eine freie Handlungsmacht offensichtlich verführerischer. Der Preis der Bündnisfähigkeit ist demokratische Diät.

 

21.06.2001
Frankfurter Allgemeine

Klage der PDS gegen die Nato-Strategie (F.A.Z. v. 20.6.2001, S. 2: "Fischer verteidigt Zustimmung zum Nato-Konzept")

Spannende Frage: Darf das Bundesverfassungsgericht auf eine Gruppe hören, die vom Verfassungsschutz umkreist wird? Es sollte, es muss hier sogar! Provozierenderweise hat die PDS hier einen starken Punkt. Noch dazu im Kernbereich der demokratischen Mitwirkung - und mit intensiver Auswirkung auf grundlegende Menschen- und Bürgerrechte: es geht ja um den Einsatz staatlicher Gewalt. Tiefer kann der Stachel also kaum sitzen.

Jeder weiß: der Westen "lebt" eine neue Militärpolitik. Gehören zu Fischers Wegmarken im Strom nicht auch eine erhebliche Zahl von Menschenleben? Und ist der Staat - gleich ob Parlament oder Regierung - nicht mit dem normalen rechtsstaatlichen Verfahren im Verzug? Dies erfordert jedenfalls in unserer Verfassung bei in den Kernbereich eingreifenden staatlichen Handlungsformen ein öffentlich begleitetes parlamentarisches Verfahren zur generellen, abstrakten Fixierung der Handlungsgrenzen. Das Problem sitzt daher noch erheblich tiefer als bei einem einfachen Kompetenz-Scharmützel zwischen Administration und Legislative. Es geht um die Demokratie selbst.

 

21.06.2001
Süddeutsche Zeitung

PDS-Klage gegen die NATO-Strategie (Süddeutsche v. 20.6.2001; H. Kerscher: "Der feine Unterschied zwischen Vertrag und Erklärung"); P. Münch: "Hüter von Stabilität und Sicherheit")

Im Organstreit der PDS geht es um außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung. Schwächlich erscheint mir Fischers Angst-gestützte Argumentationslinie, nur bei größtmöglichem politischem Spielraum sei die Bundesrepublik bündnisfähig und sicher; die USA seien sensibel und allzu leicht zu verschrecken - etwa wie der sagenhafte Karlsson vom Dach. Tatsächlich verlagert diese Linie die grundlegenden langfristigen Entscheidungen in Lebensfragen aus der öffentlichen, rückkopplungsfähigen Demokratie in die abgeschirmte Zonen der übernationalen Militärbündnisse, die von institutionellen, persönlichen und nicht zuletzt von ökonomischen Interessen regiert werden.

Das führt zu dem zweiten und nun intensiv rechtsstaatlichen Defizit, das im Organstreit kaum sichtbar wird: Seit der ambitionierten Neuorientierung der westlichen Militärpolitik ist der Staat mit einer abstrakten, generellen Regelung im Verzug, die den Einsatz der neuen Machtmittel konkretisiert und eingrenzt, auch im Interesse der Soldaten. Die SPD hatte sich im letzten Wahlkampf ein Bundeswehr-Aufgabengesetz vorgenommen, dies auf dem Feldherrnhügel aber wieder aus den Augen verloren. Ein wenig wie vor langer Zeit der Sonnenkönig: Gesetze sind schön, solange sie das Regieren nicht behindern.

 

10.7.2001
Kölner Stadt-Anzeiger

Überstellung von Slobodan Milosevic an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (Stadt-Anzeiger v. 7./.8.2001, S.2, Markus Schwering: "Ein Schritt zum ewigen Frieden")

Den ewigen Frieden sehnen die Verletzlicheren unter den Menschen seit Hunderttausenden von Jahren herbei. Ein internationales Gericht, blind, ohne Eifer und Zorn jede Menschenrechtsverletzung einer jeden Gesellschaftsform gleichermaßen erfassend: Das ist eine bewegende Vision. Aber darauf zu warten, war und ist hoffnungslos, ebenso wie das Warten auf das Ende der Geschichte.

Auch Milosevic‘ Überstellung war ohne die Einwirkung massiver Interessen nicht denkbar. "Might made right". Ein Gericht aber, das je nach Nutzen ein- oder ausgeschaltet werden kann, ist Werkzeug. Eine einfache Simulation: Ist in der Praxis anzunehmen, dass Funktionsträger des Westens oder insbesondere der USA dort auch nur angeklagt werden könnten? Bei der sehr geringen Neigung der USA, in militärischen Angelegenheiten eigene Staatangehörige fremden und sei es supranationalen Strafgerichten zu unterwerfen, können wir dies getrost ausschließen.

Für mich bleibt ein schlechter Nachgeschmack: Milosevic – sicher kein Mann von Skrupeln – wird als prominente Figur genutzt, um alle Makel des Kosovo-Krieges von allen anderen Beteiligten abzuwaschen. Schwamm drüber!

 

10.07.2001
DIE ZEIT

zur Überstellung von Slobodan Milosevic an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (DIE ZEIT Nr.28 v. 5.7.2001, S.2: ,,Strafjustiz für Staatschefs?")

Carla del Ponte ist nicht alt und nicht rachsüchtig. Aber Parallelen zum Besuch der alten Dame fallen in den Blick: Das heruntergekommene Güllen, der rettende Milliarden-Cheque der Claire Zachanassian alias Kläri Wäscher, Preis für den Kopf von Alfred Ill, Kläris früherem Liebhaber. Jeder Güllener wird Millionär und dafür geht der Service noch etwas weiter als der der Serben: die Güllener bereiten Ills zuletzt stark terrorisiertem Dasein ganz persönlich ein Ende.

Ich habe keine Sympathien für Milosevic. Aber Milosevic hat nationale Ziele wohl nicht mit signifikant größerer Gewissenlosigkeit - etwas umgänglicher heißt das auf andere angewendet: Kaltblütigkeit - verfolgt als mancher glühend verehrte Staatsmann. Und mag es auch Komplexität für uns angenehm reduziert haben, es bleibt ein trügerisches Bild: Milosevic hat seine Politik weder innerhalb noch außerhalb Serbiens allein gebraut. Das ursprüngliche Ziel, Jugoslawien zusammen zu halten, hat ihn zum lange hofierten Partner des Westens gemacht; denn vor Veränderungen auf dem Balkan haben die am status quo orientierten Regierungen Europas seit Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag traumatische Angste.

Was mich wirklich stört, ist die fast rituelle Wirkung des Haager Verfahrens. Indem Milosevic wie ein Voodoo-Püppchen aufgespießt wird, reinigen sich alle Beteiligten, Serben wie westliche Staaten, von den hässlichen Flecken des Kosovo-Krieges, waschen die Hände in neuer Unschuld und gehen zur Tagesordnung über. Tagesordnung ist der Aufbau nach den Blaupausen des Westens; damit ist das Kopfgeld leicht zu refinanzieren.

 

13.9.2001
Kölner Stadt-Anzeiger

Terroranschläge in den USA und die möglichen Folgen

Nach allen Indizien der letzten Tage wird der Westen den grausamen Massenmördern von New York, Washington und Pittsburgh einen kalkulierten Dienst erweisen: Er wird massive Rache üben und dabei auch unbeteiligte Opfer in Kauf nehmen. Der Gegenschlag ist bei den Tätern erwartet und sogar willkommen, denn er kann terroristische Gewebe nicht ernsthaft schädigen und er facht den bereits stark entflammten Hass zwischen den Kulturen weiter an: Schulterschluss auf beiden Seiten und bombastischer Autoritätsgewinn für die Warlords.

In den letzten zehn Jahren hat sich die scheinbare Effizienz militärischer Problemlösungen in unser Denken zurück geschlichen. Gelöst hat sich aber rein gar nichts, insbesondere nicht das wirtschaftliche und soziale Gefälle. Verbunden mit dem intensiven kulturellen Druck der Westens, der vielfach als Überfremdung erlebt wird, ist dies die natürliche Basis von Fundamentalismus und Terrorismus. Wer hier nichts ändert, will keine gleichberechtigte Existenz.

 

2.11.2001
SPIEGEL

zu Arundhati Roy: "Krieg ist Frieden", SPIEGEL Nr. 44 v. 29.10.2001, S. 182 ff

Für alle drei gilt das Familien-Motto derer von und zu Bush: "Next to no one!" Und alle drei sind Prachtstücke unserer ohnehin schon kampfkräftigen Cro-Magnon-Linie: George, Arundhati und Usama. Täten sie sich einmal zusammen, wäre das unser GAU.

Von den drei Zwillingen ist Arundhati die mit Abstand begabteste. Sie ist die sprach-mächtigste, diejenige mit der größten kulturellen und emotionalen Spannweite und Arundhati ist am meisten engagiert, unsere explodierende Welt zusammenzuhalten und die Schöpfung zu bewahren. Ich wünsche ihr einen schnellen, klaren Sieg nach Punkten. Und ich wünsche uns allen ein sofortiges Ende des unerklärten Tötens in Afghanistan, das Gerechtigkeit für die Opfer verhindert und mit jedem Schuss neue Opfer sät.

 

08.11.2001
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 13.11.2001

zur Ankündigung von Herrn Bundeskanzler Schröder, dass sich Deutschland mit einem Kontingent von 3.900 Soldaten aktiv an dem Krieg in Afghanistan beteiligen wird

Die Nachkriegszeit ist also vorbei. Die Vorkriegszeit auch schon fast wieder. Und Bundeskanzler Schröder will gleich eine Abmagerung der Verfassung: Der Bundestag soll künftig lediglich über die Bereitstellung von Personal und Material der Bundeswehr entscheiden, nicht mehr über den konkreten Einsatz. Die Bundeswehr wird vom Parlamentsheer – so noch 1993 das Bundesverfassungsgericht – zum Kanzlerheer. Eine kleine Anleihe machen kann Schröder bei einem markigen Vorgänger, Otto von Bismarck, der im vorvorigen Jahrhundert bereits wusste: "Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut!"

Weltweit geachtet haben die Deutschen viele Jahre mit einem nicht geschriebenen Grundrecht gelebt: Die Aufgabe der Bundeswehr war strikt begrenzt auf Verteidigung gegen einen unmittelbaren militärischen Angriff. Jeder Krieg, in dem Deutsche hätten kämpfen müssen, hätte eine eindeutig nachvollziehbare Ursache gehabt. Derzeit führt Amerika einen vollgültigen Krieg gegen eines der ärmsten Länder der Welt. Es beruft sich dabei auf die Tat eines ehemaligen Bundesgenossen, ohne dass wir die Zusammenhänge wirklich bewerten können. Wir wissen auch nicht, wohin die Expedition gehen wird – welche weiteren Länder auf der Basis welcher Erkenntnisse in den Konflikt einbezogen werden – und wie lange der erklärte Weltkrieg gegen den Terror anhalten soll, der das bisherige Völkerrecht praktisch außer Kraft setzt. Ich halte für klüger und nachhaltiger, den Dialog und den Ausgleich zu suchen, als mit jedem Geschoss neue Todfeinde zu säen. Und ich sähe mich dabei nicht als feiger Trittbrettfahrer, sondern als entwickelter Mensch.

 

15.07.2002
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 18.7.2002

zur Freistellung US-amerikanischer Bürger von Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofes (F.A.Z. v. 15.7.2002, Titelbericht S. 1 "Erleichterung über den Kompromiß"; Kommentar K. F. S. 10: "Nach dem Kompromiß")

Der Westen steht in einem Krieg um die Köpfe - und es ist ein Krieg um die Werte. Da findet Amerika keine bessere Strategie, als seine Bürger für legibus absoluti gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof zu erklären?

Wir haben uns angewöhnt: Unsere neue Außen- und Militärpolitik ist die denkgesetzliche humanitäre Weiterentwicklung des Völkerrechts - vielleicht nicht ständig am traditionellen Regelwerk orientiert, aber auf Stärkung von Menschenrechten optimiert. Wir haben so gedacht, auch wenn einige Einsätze zumindest dual-use waren und zusätzlich, wenn nicht zuförderst, nationalen und/oder wirtschaftlichen Interessen dienten. Militärische Einsätze sind Handlungen der Exekutive, und zwar der Lebens-bedrohendsten Art. Die Exekutive soll in unserem Wertesystem durch Legislative und Judikative im Zaum gehalten werden. Bereits die Legislative meldet hier Fehlanzeige: Unter normalen Umständen schreibt sie generell, abstrakt und vorausgehend die erlaubten exekutiven Eingriffsrechte fest - im Bereich der Militärpolitik jedoch haben sich national wie supra-national Einzelfall-Entscheidungen durchgesetzt. Hinsichtlich der Judikative ruhten große Hoffnungen des Schutzes der Menschenrechte auf dem Internationalen Strafgerichtshof. Wenn die USA ihre Bürger vor Gerichtshof abschirmen, ist der objektive Erklärungswert: Wir werden uns nicht fesseln lassen hinsichtlich der Option nicht-humanitär orientierter militärischer Gewalt.

Merke: Wer nichts zu verbergen hat, braucht den Richter nicht zu fürchten. Das richterliche Privileg für die USA kann man mit dem FAZ-Kommentar als abgeklärte Anpassung an die Realpolitik akzeptieren. Müssten wir aber nicht konsequent auch dem Vergewaltiger die Einrede von "Realsexualität" zubilligen? Im Krieg um die Akzeptanz unserer Werte ist mehr als eine Schlacht verloren.

 

17.07.2002, abgedruckt 26.7.2002
Kölner Stadt-Anzeiger

Zur Ausklammerung u.a. der USA bei künftigen Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofes (Berichterstattung im KStA v. 15.7.2002 S. 6; Kommentar v. Andreas Zumach "Die USA lenken nur formell ein" im KStA v. 12.7.2002, S. 4)

Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist aussichtsreich nur als Kampf um die Köpfe der Menschen der Dritten Welt – mit konsensfähigen Werten aus unserer Kultur. Im Kontrast zu den totalitären Zügen einiger islamischer Staaten müssen wir mit den Leitbildern Rechtsstaatlichkeit, Durchschaubarkeit, Gleichbehandlung und der Wahrung von Menschenrechten werben.

Die USA haben nun erreicht, dass ihre Politiker und Militärs von einer neutralen juristischen Bewertung schwerster Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verschont bleiben. In der Außenwirkung ist das eine unheilvolle Demonstration von Machtpolitik. Die USA haben ihre am amerikanischen Kontinent entwickelte Monroe-Doktrin zwischenzeitlich zu einem Anspruch auf jederzeitigen Eingriff rund um den Globus ausgeweitet. Vor allen Rückwirkungen sichern sie sich nun ab durch ein "legibus absolutus", durch eine Ausnahme von der Geltung des für alle anderen geltenden Rechts – eine Parallele übrigens zu dem Raketenschirm, der militärisch unanfechtbar machen soll.

Eine Erfolg versprechende Strategie gegen lebensbedrohliche Konfrontation ist das offensichtlich nicht: Was der Islam am Westen kritisiert, ist ja nicht die andere Religion. Vorgeworfen wird uns vielmehr: Der westlichen Politik fehlten jegliche religiösen oder ethischen Fundamente, Materielles zähle mehr als Mitmenschlichkeit und die Menschen seien auf narzisstische Weise selbstgerecht. Diese Vorurteile bestätigen wir mit allen Kräften.

 

31.07.2002
Sh'ma
http://www.jewishdiversity.com/may02/nathan.htm

re: Nathans Lewin’s article "Detering suicide bombers"

As a German, I am deeply shocked by Nathan Lewin’s proposals of deliberately killing parents, brothers and sisters of Palestinian suicide bombers. I might not be entitled to any moral condemnation because it were Germans who could have destroyed or at least harmed Mr. Lewin’s youth in Poland and most probably hurt or even killed members of his family. So I would like to question just the effectiveness of his ideas – sheer effectiveness being the core of his initiative anyway.

Guess the Lewin proposals would have been implemented and even the warnings were advertised. Most probably a suicide killer would turn up, whose family would have disappeared just in time. Or there would have been recruited even a ‚suicide bomber family‘ or a part of it – just to publicly stage and plainly prove gross inhumanity and immorality of the Israel adminstration. You amplify the pressure and you just have to wait for an even more devastating explosion. Which you only may contain by even more brutal politics: e.g. by deportation of any Palestinian population from first Israel, then Gaza and the Westbank, a development already quite near to the Nazi "Bevölkerungspolitik" in Europe.

So we have arrived at the very root of the problem, which is not at all adressed in the Lewin paper: The Palestinian side certainly feels justified for a struggle for land and entiteled to any means efficient (!) to defend their rights – eagerly awaiting a Palestinian "Independance Day". And in the scale of values of the Palestinian people – same of the Jewish –land, independence and a glorious future have a much higher ranking than the life of an individual, of a familiy or even a tribe. So the long term solution never lies in detering actions against commonly perceived injustice – and these people read the Bible not the way Nathan Lewin does – but in coexistence and even cooperation of people, who are not so different in looks, habits and some archaic customs as it may seem.

Lewin’s ideas were perfectly fit for the abrahamitic days, when strong, intelligent and often ruthless leaders brought the people of Israel through deserts and dangers to a promised land and where short peroids of peace relied on heavy and immediate retaliation, on deterrence and even aggression. His ideas are not at all fit for times, when land and ressources have shrunk dramatically and we have to cooperate on the basis of live and let live, human rights – and law!

 

7.8.2002
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt: 16.8.2002

deutscher Irak-Einsatz (KStA v. 31.7.2002 S. 1 "Klose: Deutscher Irak-Einsatz ist möglich"; KStA v. 6.8.2002 "Kurswechsel in der SPD bei Irak-Einsatz", KSTA v. 7.8.2002 "Kritik an Schröders Irak-Wende":

Okay - es ist schon seltsam, dass die SPD so kurz vor den Wahlen Themen und Lösungen entdeckt, die uns Bürger offenbar stark bewegen: z.B. Arbeitslosigkeit und die militärische Seite der Außenpolitik. Aber besser spät als nie. Jedenfalls halte ich nichts von der These, militärische Fragen hätten im Wahlkampf nichts zu suchen. Das habe ich noch aus dem Jahre 1994 im Ohr, damals von Außenminister Kinkel, der die Neuorientierung der Bundeswehr aus dem Wahlkampf heraus halten wollte - und so kam es dann auch und blieb bisher genau so.

Müssen aber nicht Fragen zu Tod und Leben erst einmal im vertrauten Kreis der Verbündeten auszuklamüsert werden, bevor man den Souverän, uns Volk, einweiht? Nein! Demokratie ist am besten im eigenen Land. Und ich kann mich nicht erinnern, einen Abgeordneten für meine Vertretung in der NATO gewählt zu haben.

Wenn der Kanzler Demokratie und Rechtsstaat ernst nehmen will - und dafür würde ich ihn glatt wählen - dann regelt er endlich, in genau welchen Fällen Deutschland militärische Gewalt einsetzen will: z.B. zur Beendigung nachgewiesener massiver Menschenrechtsverletzungen, vielleicht zur Sicherung der Versorgungs- und Absatzwege (?), zur Rettung deutscher oder verbündeter Staatsangehöriger aus unwirtlichen Gefängnissen (?) oder zur Terror- oder Rüstungskontrolle (?). Vorsicht aber, es rüsten sich viele. Würden wir die Aufgaben der Bundeswehr genau aufschreiben, wie auch Immanuel Kant es sicher gerne gesehen hätte, wären wir um einiges berechenbarer - und wären in besserer Verfassung.