Azubi-Turnier 2011 in Bad Wildbad / Grußwort BMBF

Liebe Azubis und Schüler, liebe Motivatoren und Animateure,
auch die im öffentlichen Dienst!

Ich darf Sie alle sehr herzlich von meiner Ministerin grüßen, von Frau Prof. Dr. Annette Schavan.

1.    Ich nenne unsere Bundesbildungsministerin gerne unseren obersten deutschen Talentscout. Denn die Förderung herausragender Leistungen ist ein politischer Schwerpunkt ihrer Arbeit, und das seit Jahren. Diese Veranstaltung wäre zwar für eine anständige casting show etwas schräg, aber das heute – und vor allem die Anstrengungen davor – sie haben schon etwas davon.

Frau Schavan hat ein Grußwort an diesen Wettbewerb gerichtet, es steht nun noch nicht auf ihrer facebook-Seite, ist aber im Internet greifbar:

http://www.bundeswettbewerb-fremdsprachen.de/partner/grusswort-ministerin

Sie hat darin, wie man von einer engagierten Ministerin nicht anders erwarten darf, bereits einiges gesagt, was über die Höflichkeiten und Selbstverständlichkeiten hinausreicht: Es geht hier um bedeutend mehr als darum, sich in einer oder mehreren Sprachen richtig auszudrücken oder: möglichst viele wichtige Wortpaare zu lernen. Nein: Das eigentlich lohnende Ziel ist, dabei Neues und die Verschiedenheit zu sehen, sie zu überbrücken und daraus wieder etwas Neues, Gemeinsames zu machen. Es ist genau das, was eine gut vernetzte und zuversichtliche Persönlichkeit weiter voran bringt. „Coming together is progress – working together is success!“ Das habe ich geklaut, von euren Plakatwänden. Aber das Beste ist meistens geklaut.

Was kann ich hinausgehend über das Grußwort der Ministerin noch bieten? Nun, zuallererst einmal: Die Ministerin kann zum Glück nicht überall zugleich sein und ich bin hier. Hiersein ist schon einmal eine gute Voraussetzung für ein Team – und Präsenz ist zwar nicht immer besser als ein chat oder als frei flutende posts – aber manchmal eben doch. Ich kann ein wenig zum Hintergrund dieses Wettbewerbs und andere Turniere sagen und vielleicht auch etwas zum Begriff Talent.

2.    Das Wichtigste zum Bundeswettbewerb Fremdsprachen: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert den Bundeswettbewerb Fremdsprachen durch Projektmittel in Höhe von knapp 700 T€/a; die Mittel stammen aus einer unserer – und eurer – „Spardosen“ mit der Aufschrift „Leistungswettbewerbe und Preise für den wissenschaftlichen Nachwuchs“. Der Bundeswettbewerb Fremdsprachen soll Schülerinnen und Schüler dazu ermuntern, sich in ihren Lebensbereichen inner- und außerhalb der Schule mit weiteren Sprachen zu beschäftigen. Der Wettbewerb soll Impulse zum Erlernen von Sprachen geben und auch die besonders motivierbaren Schülerinnen und Schüler auf Trab bringen, also auch Sie – was offenbar in guter Quantität und Qualität gelungen ist. Der Sprachenwettbewerb ist breit gefächert und zielt u.a. in der Sparte „Kreativ“ auf das Schreiben von Kurzgeschichten, im Segment „EW Spezial“ geht’s um Japanisch und Chinesisch, dann gibt’s die Turniere für verschiedene Klassenstufen, für einzelne Schüler ebenso wie auch für Klassen, Arbeitsgemeinschaften und Gruppen (EW 1 = Stufen 8-10; EW 2 = 9-10 | zusammen 8T/a; EW 3 = Stufen 11-13 | 500/a; Gruppenwettbewerb SI | 1T Gruppen/a; Team Beruf mit dem Azubi-Turnier für 100 Gruppen/a). Zu weiteren Jugendwettbewerben siehe auch:

http://www.bmbf.de/de/432.php = Jugendwettbewerbe

Wir haben gemeinsam mit der EU aber noch mehr für Sie auf Lager: Mit dem EU-Mobilitätsprogramm LEONARDO DA VINCI und den zweiseitigen Austauschprogrammen des Ministeriums wird fast die Hälfte des laufenden internationalen Austauschs gehebelt (45%). Das waren i.J. 2010 ca. 11.500 Förderungen der EU und 2.400 rein national / bilateral (bei letzteren übrigens Schwerpunkt F = 2T, daneben GB, NOR, NL mit zusammen ca. 400). Näheres zu den Konditionen und zur Kontaktaufnahme findet ihr auf unserer homepage www.bmbf.de unter

http://www.bmbf.de/de/919.php = EU-Bildungsprogramm für lebenslanges Lernen (PLL) mit Info zu LEONARDO, COMENIUS, GRUNDTWIG

http://www.bmbf.de/de/894.php = bilaterale Programme

Ich weiß (wieder von euren Plakatwänden): “It’s nice to be a Preiß, but it makes higher to be a Bayer!” Aber man kann ja nicht ewig in Preußen bleiben, nicht einmal in Bayern. Darum nutzt die Chance zum Austausch! Lernt Preußisch.

Ihr seid hier, weil ihr viel Initiative gezeigt habt – oder weil ihr im entscheidenden Augenblick nicht „Nein“ gesagt habt. Die Nicht-Widersprecher sind vielleicht sogar die meisten und das Nicht-Widersprechen ist gar nicht zu verachten: Im entscheidenden Augenblick keine massiven Widerstand zu leisten, das ist nicht nur eine kräfteschonende Strategie für Judokas, es hat schon einige gute Partnerschaften / Ehen gestiftet und ist absolut unverzichtbar für Team-Arbeit – man stelle sich vor, alle kämpften unablässig und erbittert um die jeweilige Alpha-Position – und es ist die Grundvoraussetzung für Offenheit und damit für Wissenszuwachs. Also: Verachtet mir die Ruhigen, Milden und Netten nicht. Ohne sie geht nichts voran. Aber man muss die Rollen auch immer tauschen können – wollen und dürfen.

3.    Und jetzt sind wir endgültig weg von der Pflicht und bei der Kür, bei dem, was eigentlich spannend ist: Was ist das denn eigentlich, was Sie hier zusammengeführt hat – und was der dahinter stehende Verein „Bildung und Begabung“ so einprägsam im Schilde führt? Was ist das, Bildung und Begabung, was ist das, Talent? Ich habe schon bei vorangegangenen Gelegenheiten eine etwas anarchistische, aber eigentlich sehr ermutigende Lesart vorgetragen: Begabung ist im Wortsinne etwas Gegebenes, etwas, was im Laufe Ihres Lebens sozusagen ge-downloaded wird, was sehr viel mit Offenheit und Interaktion und mit Bildung in den verschiedensten Formen zu tun hat, ob in Bildungseinrichtungen wie in Kindergärten, in der Schule und per Bildungsmedien wie Twitter oder Youtube (das war jetzt nur teilweise ein Scherz: auch das sind heute Bildungsmedien!), früher mal in stärker in der Kirche, oder ob in Familien, unter Freunden oder beim Selbst-Lesen, Selbst-Sehen, Selbst-Hören oder Selbst-Experimentieren. Die Probleme sind meist klar – aber die Lösungen dazu liegen in aller Regel in der cloud, wenn ich’s mal neudeutsch sagen darf.

Die aktuelle Forschung bestätigt eine solche – ich nenne sie hier einmal – plastische Intelligenz, sogar ein teils plastisches Erbgut: Wir können durch unsere eigene Lebensführung zu einem Teil mitgestalten, was von unseren Anlagen abgelesen wird und was stummgeschaltet bleibt – und unsere Umgebung gestaltet unablässig mit und wir gestalten unsere Mitmenschen, bei jedem Gespräch. Ich tue das gerade –ihr müsst es mal hinnehmen. Just vor Kurzem gab’s einen elektrisierenden Artikel in Nature, dem führenden naturwissenschaftlichen Fachblatt. Dort wies eine Hirnforscherin, Sue Ramsden v. University College London,

http://www.nature.com/journal/vaop/ncurrent/full/nature10514.html

auf unerwartet heftige IQ-Sprünge bei Teenagern nach, die noch dazu mit messbaren hirnorganischen Veränderungen einher gingen. Ich zitiere mal die abschließenden Sätze der Einleitung: „Ganz allgemein bekräftigen unsere Ergebnisse die Wahrscheinlichkeit, dass die Intelligenz eines Heranwachsenden (ich ergänze: wohl auch die eines Erwachsenen) signifikant schwanken kann. Das mag die ermutigen, deren intellektuelles Potenzial ausbaufähig ist, und wäre ein warnender Fingerzeig für Wunderkinder, dass sie sich nicht in Sicherheit wähnen sollten.“

Nun war ich schon immer recht skeptisch hinsichtlich der Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit von IQ-Messungen – schlechter Schlaf kostet mich regelmäßig 20 Punkte und eine Tasse Kaffee oder ersatzweise gute Gesellschaft wie hier bringt mir mindestens 10 davon wieder zurück – aber richtig scheint mir in jedem Fall: Lasst euch nicht irgendeine IQ-PS-Zahl für den Rest der Tage auf die Stirn gravieren. Die Kraft ist in euch – lasst sie sie zu uns heraus!

4.    Da komme ich kurz auf eine Marotte von mir zu sprechen, oder auf die Frucht davon. Ich schreibe seit Jahren mit zunehmender Freude Leserbriefe. Einer davon wurde n „Psychologie heute“ abgedruckt und er dreht sich um das legendäre „gute Gespräch“. Im Grunde meint er genau das, was hier in den nächsten Tagen geschehen kann und sollte:

Da ist es wieder, das Seligkeitsding, das gute Gespräch. Aber was ist es wirklich? Für mich ist es nicht vermessbar, nicht terminierbar, nicht protokollierbar, ist auch nicht zu coachen. Es entscheidet nichts, kann aber für Entscheidungen öffnen. Es therapiert nicht, denn es funktioniert erst jenseits der Jammerphase. Im Grunde ist es ein kleines Austrittserlebnis, bei dem sich im Kreuzfeuer der Spiegelneuronen Rollen und Hierarchien jeder Art auflösen, Resonanz entsteht und sich die von Richard Dawkins "erfundenen" Meme neu arrangieren können. Viel häufiger wohl als gemeinhin angenommen hat eine – von uns bevorzugt individualisiert geortete – intelligente Leistung ihre Ursache in einer inspirierenden Kommunikation, die die Dinge ganz neu gewürfelt hatte.

An einem schönen Sommertag saß vielleicht eine kleine Gruppe Menschen an einer Quelle oder auf einem Bergrücken am großen Grabenbruch und gab erstmals dem Gedanken Laut: "Afrika ist beileibe nicht alles!" Das ist es, was ein gutes Gespräch den Beteiligten immer wieder klar macht: Die erfrischende Unfertigkeit dieser Welt.

aus: PSYCHOLOGIE HEUTE, abgedruckt im Februar-Heft 2010

Das ist es: Genießen Sie die Unfertigkeit dieser Welt; nehmen Sie nichts automatisch so, wie es Leute meines Alters sagen.

Noch eine drei abschließende Fragen – oder: Wer hat’s gesagt?

-       „Menschen werden niemals fliegen, denn Fliegen ist den Engeln vorbehalten.“ Milton Wright, Vater der Brüder Wright, 1903

-       „Es gibt nicht das geringste Anzeichen, dass Atomenergie jemals verfügbar sein wird.“ Albert Einstein, 1932

-       „Internet ist nur ein Hype.“ Bill Gates, 1995

Ich wusste das auch nicht. Es stand in einem höchst interessanten Heft: Le Monde Diplomatique 2010 „Nano. Gen. Tech. – Wie wollen wir leben?“ Von Le Monde Diplomatique gibt’s noch mehr umwerfende Hefte, z.B. den Geschichtsatlas „Das 20. Jahrhundert“ oder das Heft „Cola, Reis und Heuschrecken – Welternährung im 21. Jahrhundert“ – alles TOP-Tipps, falls die Oma fragt, was es denn zu Weihnachten sein darf.

Für die nächsten Tage aber, und dann bis zum Jahresende: Alles Gute! Und insbesondere für die Jahre, die dann folgen: Bearbeitet euch! Und seid nett zueinander!

K. U. Voss