Karl Ulrich Voss, Burscheid: Meine Leserbriefe im Jahr 2025

Stand: November 2025; grün unterlegt: lokale/regionale Themen u. Medien

 

(2025/72) 17.11.2025
RGA / Bergischer Volksbote, abgedruckt 22.11.2025
Stadtentwicklung; zu den Berichten von Nadja Lehmann in den Ausgaben v. v. 13., 15. u. 17.11.2025 zur Einweihung des Kulturforums Burscheid („Die Eröffnung naht, die Vorfreude steigt“, „Aushängeschilder rücken für das Festkonzert zusammen“ u. „Jetzt ist geöffnet: Toller Auftakt fürs Kulturforum“)

Doch, es hat sich sehr gelohnt: Innen mit bestechender Akustik, auch mit modernster Ton-Technik, mit klarem Licht statt steter Dämmerung und mit einer Bühne von ganz neuer Tiefe. Draußen scheiden sich eher die Geister: „Grandioser Auftritt!“ Oder aber: „Kulturpalast mit Katzenklappe?“ Ich selbst hätte mir ein Forum mit viel mehr Transparenz gewünscht. Zumal ja das Außenforum auf der Parkseite noch aus dem Exposé - mit seinen attraktiven neuen Spiel-Optionen - leider ein Wunsch bleibt. Das Geld, das Geld!

Soweit die Bel Étage. Aber da ist ja noch das Untergeschoss mit einigen Proben- und Übungsräumen unserer Musikschule. Wieder ein wenig wie oben: Innen toll hergerichtet, helle Flure und Wände, effiziente Schall-Dämmung, moderne Sanitäranlagen. Außen aber: Problematisch. Gerade: das Licht von außen. Denn die auf 140 qm erweiterte Bühne des OG kragt hinten nun weit über die Musikschulen-Fenster hinaus. Dann wuchs noch viel neue Technik davor. An anderen Stellen hat man Lichtschächte höher zugebaut. Vor allem aber hat sich das tonangebende Anthrazit der Hausseiten penibel selbst in alle Lichtschächte ausgedehnt – sie kommen nun als wahre Kohleschächte daher. Ich plädiere für Empathie mit dem Nachwuchs, der dort unten für die große Bühne darüber heranwachsen soll, und würde zur Not auch einen großen Eimer Alpina-Weiß oder Polar-Weiß stiften.

In jedem Fall – und dazu geben sowohl die einführenden Reden als auch konkrete frühere Überlegungen im Stadtrat allen Anlass – ist es nun ein hervorragender Zeitpunkt, mit Burscheids Pfunden zu wuchern: Und nächst der „Blütenstadt“ und der „Klingenstadt“ nun auch die „Musikstadt“ amtlich zu machen. Auch für ein wirksames Stadt-Marketing.

P.S.:
Zum leider nicht realisierten "Außenforum auf der Parkseite" oben im ersten Absatz: 
Tatsächlich hatte die Stadt selbst beim "Save the Date" für den 15.11.2025 noch mit exakt dieser sehr attraktiven, heute aber eben leider überholten Gestaltung (und eben mit einer ganz neuen Dimension der Nutzung) geworben. Auch einer der Förderer mag (u.a.) davon überzeugt gewesen sein, siehe die Abbildung noch derzeit auf der Seite der Regionale 2025 (dort ganz herunterscrollen): 
https://www.regionale2025.de/projekte/3/  Manchmal heißt es halt gerne: Mehr scheinen als sein ...

 

(2025/71) 16.11.2025
Welt am Sonntag
zu Thorsten Jungholts Leitartikel „Gesellschaftsdienst jetzt“ in der Ausgabe v. 16.11.2025, S. 10 der nachfolgende Leserbrief:

"Progressiv" zeigt hier die völlig richtige Richtung an. Ein nur freiwilliger Wehrdienst – für mich ein bereits sprachlicher Widerspruch – der hätte einige derzeit kaum debattierte Haken.

Einerseits: Schon lange vor dem Aussetzen der Wehrpflicht hatte eine repräsentative Umfrage des damaligen Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr belegt: Wahlfreiheit zwischen Wehrdienst und Zivildienst - und insbesondere eine Berufsarmee - das wird das weltanschauliche Profil aktiver junger Soldaten signifikant in Richtung autoritärer Gesellschaftsmodelle verschieben. Zum Zweiten: Wahlfreiheit kann zu einem regional und gesellschaftlich sehr unausgewogenen Beitrag führen – so stellten etwa in den Jahren ab 2000 Landstriche mit höherer Arbeitslosigkeit, dabei insbesondere der deutsche Osten, signifikant mehr Rekruten der Mannschaftsdienstgrade. Also diejenigen, die ihren Dienst dort leisten müssen, wo es besonders weh tun kann. Drittens noch ein gerade links der Mitte wirksamer Effekt: Wahlfreiheit auch contra Wehrdienst koppelt die Exekutive wahltaktisch komfortabel von der Front ab – und die eigene Wahl-Klientel wird mangels Betroffenheit beim nächsten Urnengang nicht so sehr auf- und abgeschreckt. Dieses Kalkül hatte den USA nach Vietnam die Berufsarmee beschert, dito Deutschland in einer Hochzeit der Auslandseinsätze i.J. 2011.

Und bitte nichts gegen das Losverfahren: Schon die alten Griechen schätzten es als demokratisch sehr effiziente, da wenig manipulierbare Prozedur. Hier kann es die oben genannten Effekte wirksam mindern, ist darum keineswegs zu verachten. Das individuelle Recht, den Wehrdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, ist nota bene weiter zu garantieren. Aber völlig richtig: Ein Gesellschaftsdienst für alle sollte unverzügliche Pflicht werden.

Quelle etwa:
Als sich i.J. 1993 die ersten Einsätze „out of area“ abzeichneten, hatte das (damalige) Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr den weltanschaulichen Querschnitt des künftigen Nachwuchses im Rahmen einer repräsentativen Studie untersucht; sie warnt vor zunehmender Attraktivität „für junge Männer, die den demokratischen Zielen kaum oder gar nicht verbunden sind“, vor Bewerbern, die in die Bundeswehr drängen, um eine aus ihrer Sicht zu wenig autoritäre, zu „lasche“ Führung „zu ändern“, siehe Heinz-Ulrich Kohr, „Rechts zur Bundeswehr, links zum Zivildienst? Orientierungsmuster von Heranwachsenden in den Alten und Neuen Bundesländern“, SOWI-Arbeitspapier Nr. 77; München, März 1993. Die vorgenannten Zitate stammen aus der Zusammenfassung unter Nrn. 6.4 und 7 der Studie, daselbst S. 25ff. Die damaligen Befunde dürften heute nicht weniger, sondern eher mehr zutreffen.

 

(2025/70) 30.10.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Türkei-Reise des Kanzlers; Eva Quadbecks Leitartikel „Merz auf rutschigem Parkett“ in der Ausgabe v. 29.10.2025, S. 4

Da stimme ich gerne zu: Deutschland müsste in alle Richtungen für Bürgerrechte und Minderheitenrechte eintreten, hörbar. Allerdings haben wir das selbst bei guter Konjunktur zu selten geschafft – etwa nicht gegenüber dem repressiven Schah-Regime, nicht bei der Junta eines Putschisten Pinochet oder jüngst noch gegenüber besonders brutalen Warlords der Nordallianz Afghanistans. Und natürlich nie hinsichtlich der Schutzmacht selbst, trotz jahrzehntelanger, phasenweise sehr gewaltbereiter Rassentrennung dort. 

Wenn man sich der eigenen Schwächen und Grenzen bewusst bleibt und wenn man Grundsätze nicht nur selektiv anwendet, dann mag man bleibenden Eindruck erzeugen. Und eben nicht ausrutschen.

 

(2025/69) 23.10.2025
RGA / Bergischer Volksbote, abgedruckt 31.10.2025
Einweihung des Burscheider Kulturforums; Artikel von Celine Derigartz in der Lokal-Ausgabe Burscheid v. 17.10.2025, S. 23 („Cat Balou kommt zur Eröffnung des Kulturforums nach Burscheid“)

Der November wird ein funkelnder Auftakt für das KulturForum Burscheid, meine Anerkennung für die Kulturmanagerin Joanna Kischka. Zu beneiden ist sie nicht um den herausfordernden Job –diese große Infrastruktur in einem umkämpften Markt regional übergreifend zu etablieren, bei sich eher verknappenden hochwertigen künstlerischen Angeboten. Ein paar Widersprüche gilt es auch noch zu überwinden: Für die Förderung war die inter-kulturelle Begegnung essentiell. Der langjährige Arbeitstitel „Haus der Kulturen“ hatte konsequent einen Plural im Namen getragen. Wenn nun durch Ratsbeschluss dort nur noch die Einzahl stehen soll – eben „KulturForum“ – dann will ich hoffen, dass das keine Hypothek ist.

Sodann das weitere erklärte Plus für den Förderantrag – die inter-kommunale Kooperation: Die Arbeit am Interkommunalen Kulturentwicklungsplan Burscheid-Wermelskirchen zeigte dann leider auch: Beide Städte haben ein vitales Interesse am Erhalten und Auslasten eigener Kulturstätten. Und schließlich wird es noch innerörtliche Rücksichtnahme brauchen, jedenfalls bei kleineren bis mittleren Zuschnitten.

In diesen Rahmenbedingungen den Erfolgsweg zu finden, das wird gerade für das Anfangsjahr schwer, aber auch auf mittlere Sicht. Zusätzlich hat sich Burscheid quasi selbst ein Ei auf die Schienen genagelt – mit der wohl längerfristigen Unterbrechung einer ökologisch vorteilhaften, niedrigschwelligen Anbindung über die Balkantrasse – und mit dem Wegfall von Parkraum, auch unmittelbar am KulturForum selbst. Also: Man darf der Musikstadt wohl noch einiges Glück herbeiwünschen und das tue ich gerne!

P.S.:
Ggf. kann man noch gesondert auf ein weiteres attraktives Element beim „Einfahren“ des KulturForums Burscheid aufmerksam machen – und zwar auf die bereits für den 4.11.2025 ab 17h anberaumte konstituierende Sitzung des neu gewählten Stadtrats: Im seinem neuen „Wohnzimmer“, mit neuen Köpfen und einer – jedenfalls lokal – neuen Fraktion. Die möglichst zahlreiche aktive Teilhabe der Bürger*innen wäre m.E. ein für alle Seiten konstruktiver und vertrauensbildender Anfang der aktuellen Ratsperiode.

 

(2025/68) 23.10.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, Ausgabe Leverkusen, abgedruckt 27.10.205
Einweihung des Burscheider KulturForums; Thomas Kädings Bericht in der Ausgabe v. 22.10. auf S. 24 der Lokalausgabe Leverkusen („Voller Vorfreude“ auf das Kulturforum)

Wenn der erwähnte Vogelkot auf der strahlend weißen Fassade der „Kleinen Oper“ übertüncht ist und wenn dann noch etwas Weiß übrig ist: Dann müsste der Hausmeister viel lichtschluckendes Anthrazit ersetzen - in den Lichtschächten unserer im Zuge des Umbaus  im Untergeschoss weiter verbunkerten Musik- und Orchesterschule.

Goethe hätte schon dort unten sein „Mehr Licht!“ gestöhnt. Und freudige Götterfunken wären seinem Freund Schiller hier kaum in den Sinn gekommen. Immerhin: Da soll doch Nachwuchs für die schöne obere Etage wachsen. Mit möglichst viel Licht und Luft geht es wohl am besten.

P.S.
Vielleicht können Sie noch gesondert auf einen besonders nahen und niedrigschwelligen Einweihungstermin hinweisen, im Gegensatz zur Regionale-Gala am 14.11. ganz ohne Einladung, Anmeldung & Kleiderordnung und gerne auch mit Begleitung:

Schon am 4.11.2025, 17h wird ja der Rat zu seiner konstituierenden Sitzung in seinem neuen „Wohnzimmer“ zusammentreten. Ich denke, es wäre für beide Seiten eine gute demokratische Geste, wenn möglichst viele Bürgerinnen und Bürger davon ganz aktiv Notiz nehmen würden. Zumal man ja auch eine (hier) ganz neue Fraktion in Augenschein nehmen kann. Ggfs. sehen wir uns dort.

 

(2025/67) 1.10.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Kommunalwahlen NRW; Redaktionsbeitrag zum regionalen Muster der Kommunalwahl („Kein guter Abend für Amtsinhaber“, Ausgabe v. 30.9.2025, S. 28)

Es ist auffällig: Sehr viele Rathäuser im Westen wurden in typischerweise sehr knappen Wahlen erstürmt, einige wurden – dann ebenso knapp – verteidigt. Es liegt nahe, in diesem Muster eine breite Unentschlossenheit, Unzufriedenheit oder Verwirrung zu erkennen, den Ausweis einer tief verwurzelten Krisenstimmung. Und selbst den Siegerinnen oder Siegern wird eher mulmig zumute sein, angesichts der massiven ungelösten und bei gleichbleibender Finanzausstattung wohl auch nicht lösbaren Problemlagen vor Ort.

Ohne einen seriösen und fairen Kassensturz von Bund, Ländern und Kommunen wird diese Wunde weiter schwären und könnte sogar zum Ende der zweiten deutschen Republik führen.

 

(2025/66) 22.9.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Waffenmesse in der Ukraine; Can Mereys Bericht „Testfeld für Hightechwaffen“ in der Ausgabe v. 22.9.2025, S. 7

Klar: Unter den zahlreichen Waffenmessen der neueren Zeit ist eine in der Ukraine besonders herausfordernd und spannend. Keiner der Beteiligten aus dem militärisch-industriellen Komplex – wie ihn die scheidende US-amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower am 17.1.1961 sehr hellsichtig skizziert hatte – wird auch daran interessiert sein, diesen riesigen in-vivo-Waffenübungsplatz so schnell als eben möglich aufzugeben.

Und die, die es am meisten angehen würde, die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger: Sie werden nicht über Krieg und Frieden abstimmen können. Bevor der blutige Krieg nicht von anderer Hand endet. Noch eine Anmerkung: Deutsche Panzer oder Panzerhaubitzen sind offenbar nicht mehr das Tagesgespräch; sie gehörten wohl schon vor Jahren auf die Resterampe.

 

(2025/65) 9.9.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Kommunalfinanzen; zum Interview mit Achim Brötel in der Ausgabe v. 9.9.2025, S. 6 („Die Migrationswende wirkt“)

Klafft da nicht ein sehr schwer zu erklärender Abgrund? Achim Brötel hat doch ohne jeden Zweifel recht, wenn er endlich verlässliche und auskömmliche Steuerquellen für die Kommunen fordert. Aber hat das irgendjemand von Gewicht während der Bundestagswahl aufs Tapet gebracht? Vernehmlich und mit einem beruhigenden Zeitplan? Oder – da wäre es ja endgültig angesagt gewesen – nun im Kommunalwahlkampf? 

Es mag eine der Lebenslügen unserer repräsentativen Demokratie sein: Die lokale Ebene ist zwar unsere staatliche Basis, auch zum Rekrutieren des politischen Nachwuchses auf Landes- oder Bundesebene. Aber dann sticht der Ober ganz schnell den Unter, gerade wenn es um das Verbrauchen der fiskalischen Ressourcen geht.

Vielleicht nutzt ein Blick über den Gartenzaun: Die Schweizer kontrollieren in Volksabstimmungen sogar ihre Steuern und Abgaben. Und stehen damit erschreckend gut da.

 

(2025/64) 2.9.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Wehrpflicht für Frauen; Bericht, Kommentar und Pro-/Contra-Debatte in den Ausgaben v. 1. /2.9.2025 (Steven Geyer: „Koalition findet Wehrpflicht für Frauen gut“ und „Dem Land dienen“; Joachim Frank und Claudia Lehnen: „Debatte ‚Wehrpflicht auch für Frauen?‘ “; Ausgabe v. 1.9.2025, S. 1 u. 4, Ausgabe v. 2.9.2025, S. 4)

Für die Wehrpflicht bin ich sehr. Das überzeugendste Argument bleibt das politisch wirkungsvolle Erden und Entschleunigen der Außen- und Sicherheitspolitik. Die USA kamen in bzw. nach Vietnam auf das Berufsheer, Deutschland in einer Hochphase der Auslandseinsätze. Zur Demonstration: Mit Wehrpflichtigen hätte ISAF eine ganz andere Halbwertzeit gehabt. Und mit einigen weiblichen „casualties“ womöglich eine noch viel kürzere, ähnlich dem abrupten Ende von UNOSOM II, nach dem black-hawk-down-Ereignis. Dann müsste ich ja sogar dafür votieren, sozusagen präventiv. Aber jetzt kommt die Gretchenfrage: Brauchen wir eigentlich einen weiteren Eskalationsschritt bei der Militarisierung unserer Gesellschaft? Um den Preis, dass dann – gerade in der heutigen Regierungskonstellation – weit mehrheitlich Männer über die auswärtige Gewalt mit und an Frauen entscheiden? Contra!

Und ging es beim Entdecken der robusten Weiblichkeit nicht um etwas ganz anderes, jedenfalls in signifikanten Anteilen? Steven Geyer erwähnt es ganz nüchtern: Eine Art Pflicht-Ehrenamt, das als collateral advantage riesige und schwärende Lücken im Sozialbereich mit jungen weiblichen Arbeitskräften fluten würde? Ohne sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse? Eine weitere Krücke für unsere mühsam dahinhumpelnde Volkswirtschaft? Auch so kann man sich Reformen ersparen. Aber nur zeitweise; es ist ein falscher, ein systemintelligenter Weg.

Quelle:

Kant empfiehlt in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ (Text etwa hier) die effiziente Rückkopplung durch das vitale, fühlbare Verknüpfen von Planung und Folgen als ein besonders effizientes Instrument zum Steuern von Gemeinschaften, siehe dort insbesondere im "ersten Definitivartikel zum ewigen Frieden", Reclam-Ausgabe S. 12f:

'Wenn ... die Beystimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg seyn solle, oder nicht, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten [als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Uebermaße des Uebels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, wegen naher immer neuer Kriege nie zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen], sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.'

Im zweiten Definitivartikel unterstreicht er diesen Ansatz, wenn er den „Kampf der Häuptlinge“ lobt, mit seiner unmittelbaren und lehrreichen Einheit von Plan, Umsetzung und Schmerz in jeweils einer Person (in der Reclam-Ausgabe S. 16f mit Fußnote auf S. 17). Alles das bezeugt m.E., hätte man denn Kant gefragt, den Vorteil einer Wehrpflicht- gegenüber einer Berufs-Armee – die Kant insbesondere als stehendes Heer („miles perpetuus“) sogar gerne ganz ausgeschlossen hätte, 3. Präliminarartikel (Reclam S. 5). 

Für mich bleibt als Votum: Unbedingt für Wehrpflicht. Und für entschlossene gesellschaftliche Debatte und Evaluation der auswärtigen Gewalt. Aber gegen einen auch nur leichten gesellschaftlichen Druck auf Frauen, sich mit Waffe zu engagieren. Die massiven männlichen Traumata nach einer im Ergebnis sinnlosen Operation ISAF sind brutal genug; weibliche Horrorbilder hätten das definitiv nicht ergänzen müssen.

 

(2025/63) 27.8.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Auto- und Rüstungskonjunktur; dpa-Meldung „Autobranche streicht über 50.000 Jobs“ und Bericht von Stefan Winter „Granaten werden zur Massenware“ (Wirtschaftsteil der Ausgabe v. 27.8.2025, S. 7 u. 9)

Ein bemerkenswerter Strukturwandel – eine blitzartige Konversion in nun umgekehrter Richtung. Nach einem Motto wie „Kotflügel zu Patronen umschmieden“: Die Autobauer bauen ab, die Rüstungsbetriebe rüsten hoch. Was sich nebeneinander so schlüssig anhört, dürfte den Standort nicht nur viele zivile Arbeitsplätze kosten, sondern auch viele Arbeitsplätze insgesamt. Rüstung ist hoch wertschöpfend und dazu hoch automatisierbar. Der Bericht zeichnet das repräsentativ nach, wenn er einleitend einen Füllvorgang beschreibt: „Still verrichtet der Roboter seine Arbeit hinter der Schutzwand.“ Maschinelle Integration ist es aber nicht allein, mindestens ebenso Arbeitsplatz-kritisch sind spezielle Usancen des Waffengeschäfts, nämlich das verbreitete „Bezahlen“ von Waffen oder Waffenkomponenten mit gegenläufigen zivilen Warenlieferungen des Empfängerlandes in sogenannten offset agreements – die dann zu den entsprechenden Inlandswaren in Konkurrenz treten und sie substituieren können.

Komplexe Mechanismen wie diese haben allerdings in den lobpreisenden Sonntagsreden unserer Politiker wenig Platz. Und es tritt schnell in den Hintergrund: Eine Jahresproduktion von 50.000 Granaten muss zwar nicht, kann aber leicht 50.000 Tote und Verwundete bedeuten, weit weg natürlich. Bei geschultem Einsatz werden es deutlich mehr.

Weitere Anm.:

Nach der heutigen Nachrichtenlage soll Armin Papperger, Vorstandsvorsitzender von Rheinmetall, ausdrücklich den amtierenden Verteidigungsminister Boris Pistorius gelobt haben: Jener habe ihm per Handschlag (!) das verlässliche Signal für den schnellen Ausbau der Produktion gegeben. Das sind freilich nicht die Praktiken, die ich bei Geschäften dieser Art und Tragweite von einem seriösen Staatswesen erwarten würde. Immerhin: Die Rechtsprechung billigt der Regierung spätestens seit der Pershing-Entscheidung v. 18.12.1984, die das Streitkräfteurteil v. 12.7.1994 inhaltlich aufgreift, einen ausgedehnten parlamentarisch nicht beeinflussbaren Bereich „exekutivischer Handlungsvollmacht“ zu, der etwa auch eine solche Prozedur mit abdecken dürfte.

 

(2025/62) 26.8.2025
Frankfurter Allgemeine
Friedensmission für die Ukraine; zu Berthold Kohlers Leitglosse „So schnell marschieren die Preußen nicht“ in der Ausgabe v. 21.8.2025 der nachfolgende Leserbrief:

Wer in Kategorien denkt und Muster verfolgt, der wird Berthold Kohler schnell Recht geben und zu sehr verhaltener Gangart raten: Die Ukraine könnte leicht zum Präjudiz für Gaza reifen. Noch genereller: Wir denken hier laut über einen neuen Auslandseinsatz nach – und nüchtern betrachtet haben wir diese häufig überschätzte Form der äußeren Gewalt bis zum heutigen Tage nicht bewältigt, siehe nur ISAF.

Tatsächlich sind andere Formen der aktiven Unterstützung eines Friedensprozesses denkbar, ohne Waffen in der Hand oder Waffen auf dem Postweg. Selbst das aber würde voraussetzen, dass wir mit zwei Lebenslügen aufräumen: 

Natürlich haben wir im Osten keine Entspannungs-, sondern ganz bewusst und zu unserem Vorteil Spannungspolitik vorangetrieben, vor wie nach der russischen Invasion, und mit dem offen erklärten Ziel, Russland zu schwächen.  Mit zumindest bedingtem Vorsatz auch: den Russen zu schaden. Zu Recht spricht man auch über einen Stellvertreterkrieg. Das sollten wir als ebenso fruchtlos wie ehrlos aufgeben. Zum Zweiten übersehen wir seit Jahren geflissentlich einen ganz realen, auch für uns historischen inner-ukrainischen Konflikt, für den auch wir nun eine faire Lösung unterstützen können. 

Bis dahin aber, und dann wieder ganz mit Berthold Kohler: Mögen die Preußen in Reserve ruhen.

 

(2025/61) 19.8.2025
Kölner Stadt-Anzeiger Leverkusen, abgedruckt 1.9.2025
Kommunalfinanzen; Thomas Kädings Bericht „Wo Leverkusen nicht gut verwaltet wird“ (Lokalausgabe Leverkusen v. (19.8.2025, S. 21)

Zur Gewerbesteuer offenbart die Gemeindeprüfungsanstalt erstaunliche Einsichten: Ein Erhöhen vom heutigen Leverkusener Mini-Niveau könne das Aufkommen erhöhen – oder aber die Wirtschaft zu sehr belasten. Na toll! Kein Wort dazu, dass das von Monheim vorgemachte und von Leverkusen unlängst nachgeahmte Steuer-Dumping die Nachbarschaft rücksichtslos kannibalisiert, dass es tendenziell zu immer niedrigeren Erträgen auf breiter Front führt. Und zu immer mehr Abhängigkeiten von Förderungen, zu sachfremden Einflussnahmen und zu cleveren Deals aller Art. Das ist die von dem Psychotherapeuten Paul Watzlawick genial beschriebene „Anleitung zum Unglücklichsein“ in der besonderen Ausprägung des „Mehr desselben“.

Seien wir ehrlich: Eine Abkehr der Gemeindefinanzierung von der Gewerbesteuer, die gerade in Zeiten des Strukturwandels hoch volatil und zu leicht zu manipulieren ist, sie ist seit Jahrzehnten überfällig. Aber weder Bundes- noch Landespolitiker wollen auf ihren komfortabel abgesicherten Teil der Staatsknete verzichten. Machen Sie mal die Probe auf’s Exempel: Fragen Sie in den kommenden vier Wochen Ihre Kommunalwahl-Kandidaten nach deren speziellen Initiativen zur nachhaltigen Gemeindefinanzierung. Fügen Sie vielleicht noch hinzu: Genau hier berühren die Bürgerinnen und Bürger den Boden. Und genau hier entscheidet sich, ob die bürgerliche Mitte sicher, zufrieden und stabil bleibt.

P.S. / Quelle

Paul Watzlawick analysiert in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" eine Beharrlichkeit, die in immer weitere Verstrickung führt, treffend unter "Mehr desselben". Das Syndrom, das er ebenso einfühl- wie unterhaltsam beschreibt, ist das einer doppelten Blindheit:

"Erstens dafür, dass die betreffende Anpassung eben nicht mehr die bestmögliche ist, und zweitens dafür, dass es neben ihr schon immer eine Reihe anderer Lösungen gegeben hat, zumindest nun gibt. Diese doppelte Blindheit hat zwei Folgen: Erstens macht sie die Patentlösung immer erfolgloser und die Lage immer schwieriger, und zweitens führt der damit steigende Leidensdruck zur scheinbar einzig logischen Schlussfolgerung, noch nicht genug zur Lösung getan zu haben. Man wendet also mehr derselben "Lösung" an und erreicht damit genau mehr desselben Elends." (Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, Piper, 16. Aufl. 1997, S. 28f).

 

(2025/60) 18.8.2025
RGA / Bergischer Volksbote, abgedruckt 22.8.2025
Stadtentwicklung; Nadja Lehmanns Bericht „Wie steht es um Burscheids große Bauprojekte?“ (Lokal-Ausgabe Burscheid v. 7.8.2025, S. 21)

Danke für den übersichtlichen Sachstand zu unseren Baustellen! Er wirft auch ein Schlaglicht auf ein altes Übel von Stadtentwicklungs-Konzepten – die teils jahrelang gebundenen Hände. Etwa aus Leverkusen ist sie schmerzlich bekannt, die schwierige und extrem zähe Kommunikation mit Projektentwicklern und/oder Alt-Eigentümern; aber auch aus Altena, das in mancher Hinsicht ein Burscheider Vorbild für sein Integriertes Entwicklungs- und Handlungskonzept war. Das nämliche Defizit zeigt sich an anderer Stelle in Burscheid, bei der Lindenpassage, mit einem über Jahre immer wieder angekündigten weiteren Drogeriemarkt. Und mit dem Risiko eines schwärenden Schandflecks.

Leider offenbart sich in der Montanussstraße auch das große Risiko, ortsfremde Interessen zum eigenen Schaden zu bedienen. Hier etwa: Die mit erheblichen öffentlichen Mitteln hergerichtete Balkantrasse bis zum Sankt-Nimmerlein-Tag weiter und weiter unterbrochen zu halten. Beruhigend ist sicher nun gemeint, dass die Verwaltung in dem Essener Projektentwickler für unsere „Neue Mitte“ jedenfalls keine „Heuschrecke“ sieht.

P.S. zu Altena

Dort ist das Problemkind das sog. „Stapel-Center“. Es steht nach Auszug eines früheren Toom-Marktes m.W. nach wie vor zu sehr großen Teilen leer; die Altenaer Stadtverwaltung hat (ebenfalls) größte Probleme, mit dem niederländischen Eigentümer der Liegenschaft zu kommunizieren. Soweit bekannt, zeigt er keinerlei Interesse an teuren Sanierungsmaßnahmen; die noch eingehenden Mieten für Wohnnutzung sollen für ihn mehr als kostendeckend sein. 

Stapel- und Linden-Center sind recht parallele Beispiele für in die Jahre gekommene Versorgungseinrichtungen mit rapide wachsendem Sanierungsstau und negativer Wirkung auf das Umfeld. Es wäre sicher sinnvoll gewesen, sich weit früher um die Erhaltung zu kümmern. Weitere Anm.: Wenn die "Neue Mitte" kommt, dann wird sie auch als Sargnagel für das Linden-Center kommen.

 

(2025/59) 4.8.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Wahlverfahren; zu den Berichten bzgl. der Personalia Caroline Bosbach und Frauke Brosius-Gersdorf (Matthias Niewels: „Erneute Vorwürfe gegen Bosbach“ und Markus Scjhwering: „Aufgekündigter Konsens der Demokratie“, Kölner Stadt-Anzeiger v. 2.8.2025, S. 22 / 23)

Zwei Wahlämter, zwei Frauen, zwei Shitstorms. Und ganz unabhängig vom jeweiligen Ausgang hat die bürgerliche Identifikation mit ihrem Staat bereits weiter gelitten, in einem ohnedies zunehmend verwirrten Gemeinwesen. Es scheint, diese Republik zeige trotz ihrer vergleichsweise geringen Lebenszeit schon deutliche Zeichen der Altersdemenz. Vielleicht braucht es nun einen Jungbrunnen aus entweder ganz altem oder ganz neuem Denken:

Ganz alt: Staatliche Funktionen durch Los vergeben, wie die alten Griechen in den meisten Fällen. Denn die fernen Väter unserer Demokratie wussten es schon lange: Wahlen sind viel anfälliger für Korruption und sie garantieren keineswegs eine Bestenauslese.

Ganz neu: Wiederum durch Los ein Gremium aus Bürger*innen formieren, die dann die eigentliche Wahl treffen. Solche „Bürgergutachten“ kämen zwar wegen des organisatorischen Aufwands nur für wenige, eher hochkarätige Staatsämter in Betracht, könnten dort aber für besondere Akzeptanz bürgen.

 

(2025/58) 18.7.2025
Spektrum der Wissenschaften
Militärisch ausgerichtete Forschung; Ralf Nestlers Kommentar „Zeitenwende in der Wissenschaft“ in SPEKTRUM Nr. 8/25, S. 27f

Die Überschrift „Zeitenwende in der Wissenschaft“ sähe ich gerne mit Fragezeichen versehen, und das nicht nur für die Physiker. M.E. ist es schwer zu verkennen: Die Industriestaaten – darunter insbesondere auch die westlichen oder westlich geprägten – sie haben am Niedergang der globalen kollektiven Friedenssicherung den wesentlichen Anteil; sie profitieren davon wohl auch am meisten. 

Es scheint sogar, als würden wir darauf brennen, die schlüssigste Erklärung des SETI-Paradoxons as soon as possible zu verifizieren: Habitable Welten erkennen wir heute zwar mehr als genug, nur keinerlei messbare Kommunikation. Absolute Funkstille. Offenbar, so lautet die Erklärung, weil sich technische Zivilisationen sehr schnell selbst annihilieren, lange vor jeder Kontaktaufnahme.

Die Fähigkeiten der Forschung sähe ich lieber darauf verwandt, den hoch riskanten status quo zu überwinden. Allein die Titel der beiden letzten Friedensgutachten von BICC, IFSH, INEF und PRIF geben allen Anlass dazu. 2024: „Welt ohne Kompass“. 2025: „Frieden retten!!“.

Quellen etwa:

Dipesh Chakrabarty, der sich in seiner hervorragend belegten Betrachtung „The Climate of History in a Planetary Age“ (Chicago/London 2021) u.a. mit der zu vermutenden engen zeitlichen Begrenzung unseres gegenwärtigen „Anthropozäns“ auseinandersetzt, zitiert auf S. 172 zustimmend:

„A critical unknown,“ to recall the words of Langmuir and Broecker we have already encountered in chapter 3 (Langmuir & Broecker, How to Build a Habitable Planet: The Story of Earth from the Big Bang to Humankind, Princeton 2012) „is the fraction of planetary lifetime that a technological civilization exists. Does such a civilization self-destruct in few hundred years or last millions of years? For such a civilization to last, the speciesmust sustain planetary hability rather than ravage planetary resources.“ 

Zur weiteren Illustration unserer Weltsicht zwei Visualisierungen, einmal aus den Kölner Stadt-Anzeiger zum Karneval 2023, bei dem sogar "Hammer und Sichel" recycelt werden (!!!). Zum anderen aus dem Kladderadatsch aus dem Juni 1923, zur Zeit der Ruhrgebietsbesetzung;. Letzteres Bild koppelt dann nochmals zurück zu dem von den Alliierten zu Anfang des Ersten Weltkrieges propagandistisch verstärkten "Rape of Belgium", siehe etwa https://de.wikipedia.org/wiki/Rape_of_Belgium, ferner das apologetische "Manifest der 93" = https://de.wikipedia.org/wiki/Manifest_der_93 und die von Einstein mitgezeichnete Reaktion darauf "Manifesto to the Europeans" https://en.wikipedia.org/wiki/Manifesto_to_the_Europeans.

Ich denke, wir befinden uns derzeit einmal wieder - sogar als ganze Staaten- oder Interessengruppen - in einem von manichäischen Feindbildern dominierten psychotischen Zustand. Dieser bedürfte der nüchternen Objektivierung und Behandlung, nicht der Verstärkung und Beschleunigung mit Mitteln der Wissenschaft.

 

(2025/57) 16.7.2025
RGA / Bergischer Volksbote
„Musikstadt Burscheid“; zu Nadja Lehmanns Reportage „Orchesterverein Hilgen: Burscheid wird musikalischen Leiter besonders auszeichnen“ (Lokalausgabe Burscheid v. v. 14.7.2025 , S. 21)

Die Chancen für ein offizielles Bekenntnis Burscheids zur „Musikstadt“ stehen wohl so gering wie eh und je in den letzten 14 Jahren. Bereits Bürgermeister Caplans Ratsvorlage vom 20.10.2011 hatte warnend, vielleicht gar drohend darauf hingewiesen: „Andere Bereiche, z.B. Sport, Künstler, Naturfreunde usw. (könnten sich) nicht ausreichend gewürdigt oder ausgeschlossen sehen.“

Das ist schade. Unsere kommunalen Nachbarn Blütenstadt und Klingenstadt haben die identitätsstiftende Option nach § 13 unserer Gemeindeordnung entschlossen genutzt, auch wenn dort nicht alles aus Blüten und Klingen besteht. Damit die gute Initiative für Burscheid nun aber nicht vollends zur Farce gerät, könnte der Rat doch einmal die Bürgerinnen und Bürger um Rat fragen.

Nach meiner Erinnerung hatte der Volksbote zu den ersten hiesigen Initiativen eine spontane Umfrage organisiert. Es war damals sicher nicht ganz repräsentativ - aber nach Stand Januar 2012 war dabei die konkurrierende Variante „Sportstadt“, die in Ratsvorlagen und Ausschuss-Debatten so gerne ins Feld geführt wurde, nur knapp über der Messbarkeitsgrenze angekommen, bei einem Prozent. 

Eine Bürger-Beteiligung könnte man nun breiter aufsetzen, auch mit Positionieren der Parteien vor der September-Wahl, nicht wahr? Es ist unsere Zukunft.

 

(2025/56) 30.6.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 8.7.2025
Spahn zur atomaren Bewaffnung Deutschlands: Bericht „Scharfe Kritik an Spahns Vorstoß zu Atomwaffen“ u. Harald Stuttes Interview mir Herfried Münkler „Es gibt keinen Hüter der Regeln“ (Ausgabe v. 30.6.2025 auf S. 1 u. 9)

Jens Spahn und Herfried Münkter liegen voll im globalen Trend: Das Sprechen habe sich als zwecklos erwiesen – sich schlagen oder jedenfalls schlagen können, das sei das Gebot nicht nur der Stunde, sondern der absehbaren Zukunft. Regeln – wer bitte braucht das denn noch? Und Werte sind am besten an ihrem Barwert zu messen. Das erinnert mich an Barry McGuires schauerlichen 1965er Hit mit diesen markanten Zeilen „But you tell me over and over and over again, my friend, how you don’t believe we’re on the eve of destruction“.

Eine solche Vision mag für den sprichwörtlichen "player with the biggest stick“ Sinn machen. Aber genau den wird es, wie es Münkler sicherlich richtig einschätzt, auf absehbare Zeit nicht mehr, vielleicht auch nie mehr geben. Alles das ereignet sich in einer zunehmend engen, knappen und mit Energie-Technik und explosiven Knowhow im Expresstempo aufgeladenen Welt. In wenigen Jahren mag es dann schulterzuckend heißen: Dumm gelaufen!

Quelle etwa:

Dipesh Chakrabarty befasst sich in seiner hervorragend belegten Betrachtung „The Climate of History in a Planetary Age“ mit der ggf. sehr engen zeitlichen Begrenzung unseres gegenwärtigen „Anthropozäns“. Auf S. 172 zitiert er sehr zustimmend:

A critical unknown,“ to recall the words of Langmuir and Broecker we have already encountered in chapter 3 (Langmuir & Broecker, How to Build a Habitable Planet: The Story of Earth from the Big Bang to Humankind, Princeton 2012) „is the fraction of planetary lifetime that a technological civilization exists. Does such a civilization self-destruct in a few hundred years or last millions of years? For such a civilization to last, the speciesmust sustain planetary hability rather than ravage planetary resources.

Für die erstgenannte Alternative ("just a few hundred years of anthropocene") spricht das bekannte SETI-Paradox: Wonach die völlige Ergebnislosigkeit der jahrzehntelangen, höchst aufwändigen Suche nach extraterrestrischer Intelligenz – trotz der astronomisch heute sehr gut belegten Annahme einer großen Anzahl habitabler Welten - am schlüssigsten mit der vergleichsweise rapide zu erwartenden Selbstauslöschung aller technischen Zivilisationen zu begründen ist. Und diese Wahrscheinlichkeit nimmt derzeit wohl exponentiell zu.

Es sei denn: Wir finden zu einem Verhandlungsansatz zurück, wie ihn etwa Egon Bahr und Willy Brandt in ihrer seinerzeit revolutionären Ostpolitik erfolgreich angewandt haben und der heute das u.a. von Ralf Stegner, Norbert Walter-Borjans und Rolf Mützenich gezeichneten SPD-Friedens-Manifest von Juni 2025 kennzeichnet (Wortlaut z.B. unter https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/spd-manifest-russland-100.html) – bedauerlicherweise ist dies aber selbst in der traditionell Diplomatie-freundlichen SPD nun hoch umstritten.

 

(2025/55) 29.6.2025
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT am 3.7.2025
https://www.zeit.de/leserbriefe/2025/27
NATO-Gipfel; Leitartikel „What the f****!“ von Anna Sauerbrey (Ausgabe No. 27 v. 26.6.2025, S. 1)

What the f****? Offenbar besitzt Europa weder das Souveräne eines Netanjahu noch die Chuzpe eines Putin, um Donald Trump zu berechnen und zu manipulieren. Es sei denn: Wir werten es als ausgebuffte Strategie unserer höchsten Repräsentanten, den Speichel fässerweise zu lecken, Schutzgeld in Schiffsladungen zu geloben und sich gleichzeitig zu gerieren, als ersetze die Nato künftig VN und Sicherheitsrat, im Zweifel ohne jede hinderliche demokratische, rechtsstaatliche oder völkerrechtliche Bindung. Alles das aber, um den alten Narziss nun auf neue, grundstürzende und gerade für uns nützliche Wege zu locken?  

Vielleicht leide ich auch nur unter einer finalen kognitiven Dissonanz. Mein kleiner Trost: Zumindest 6 Milliarden Humanoide außerhalb des christlichen Abendlandes dürften es sehr ähnlich sehen, als demoralisierenden Rücksturz in ein finsteres Erdmittelalter, Jahrmillionen vor jeder Aufklärung. Als Zeitenrückwende. Aber immerhin mit strammer Führung.

 

(2025/54) 26.6.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 3.7.2025 (nicht in unserer Lokal-Ausgabe LEV *)
NATO-Gipfel; Heiko Sakurais Cartoon „Der Nato-Gipfel huldigt Donald Trump“ und Kristina
Dunz
‘ Leitartikel „Zeit für eine neue Nato“  (Ausgabe v. 26.6.2025, S. 4)

Heiko Sakurai persifliert es zu Recht: Der Kotau kann nicht das Ritual einer Wertegemeinschaft sein. Und Kristina Dunz formuliert es zu Recht: Die Nato braucht speziell in ihrer europäischen Mehrheit entscheidend mehr Resilienz und Eigenverantwortung. Was dann Schritt für Schritt eigene Ressourcen in der Waffentechnik erfordert, aber zumindest ebenso einen selbstbestimmten Weg beim Austarieren von Abschreckung und Diplomatie, orientiert am Völkerrecht.

*) Anm.: Der KStA druckt die allgemeinen Leserbriefe nicht zwingend in allen Lokalausgaben ab, etwa dann nicht, wenn gerade im konkreten lokalen Heft Platz für andere redaktionelle Inhalte benötigt wird. Drum bekam ich hier erstmals einen Scan per Mail als „Belegexemplar“ Wunder über Wunder.

 

(2025/53) 18.6.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Krieg zwischen Israel und Iran; Markus Deckers Kommentar „Wegsehen ist keine Option“ u. Bericht „Merz: Israel macht für uns die ‚Drecksarbeit‘ “ (Ausgaben v. 16.6.2025, S. 4, und v. 18.6.2025, S. 1)

Man könnte meinen, Kanzler Merz habe den Stadt-Anzeiger-Kommentar v. 16.6.2025 verinnerlicht: Besser ein schnelles Ende mit Schrecken im Iran als ein Schrecken ohne Ende – besser aus unserer Perspektive, besser selbst aus der Sicht „vieler“ Iraner und „vieler“ Exil-Iraner. Allerdings fällt dabei ein wenig aus dem Blick: Sehr ähnliche „Drecksarbeit“ gab es bereits, mit kausalen Folgen für die heute extrem verfahrene Situation dieser Region. 

I.J. 1953 hatten der US-amerikanische Dienst CIA – der später intensiv mit der für blutige Praktiken bekannten Geheimpoliizei Savak kooperieren sollte – und der britische Auslandsdienst MI6 einen am Ende erfolgreichen Staatsstreich gegen den bürgerlichen iranischen Ministerpräsidenten Dr. Mossadegh organisiert, um die Öl-Rechte der AIOC, später BP, vor der angekündigten Verstaatlichung zu bewahren.

Den späteren Sturz des mit dem Westen kooperierenden, zunehmend autokratischen und verhassten Schah-Regimes und das folgende Ausrufen der Islamischen Republik dürfen wir heute getrost als praktisch mechanische Konsequenz dieser Arbeit von eigennützigen Zauberlehrlingen einordnen, als ein in die genaue Gegenrichtung ausgeschlagenes Pendel – und sehr ähnlich kontraproduktiv verlief es später in Afghanistan (zweimal!) und im Irak. Ebensolche tausendfache Erfahrungen der Historie mit Interventionen, Strafexpeditionen, Koalitionen der Willigen und ähnlicher power projection hatten das Gebot nationaler Souveränität und Nichteinmischung geformt, den Kernsatz der VN-Charta. Ein Recht, das wir ganz selbstverständlich für uns selbst in Anspruch nehmen, als einen kategorischen Imperativ.

Vielleicht sehen wir es aber schlicht mit der Chuzpe besonders selbstgewisser Eliten: Wer die Formen beherrscht, der kann sie übertreten. Und allemal für eine elastisch definierte Staatsräson.

Quellen etwa
https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Ajax
https://de.wikipedia.org/wiki/Krieg_in_Afghanistan_2001%E2%80%932021
https://de.wikipedia.org/wiki/Irakkrieg

 

(2025/52) 16.6.2025
Frankfurter Allgemeine
Angriff Israels auf den Iran; Nikolas Busses Kommentar „Ein absehbarer Krieg“ (Ausgabe v. 14.6.2025, S. 1)

Die Schlagzeile „Ein absehbarer Krieg“ klingt in meinen Ohren lakonisch, schulterzuckend, fast apologetisch: Ja, so mag sich der hier scheinbar unbeteiligte Zeitgenosse sagen, so musste es wohl kommen und nolens volens wird es exakt so weiter gehen. Tatsächlich aber sind wir nicht etwa nur auf dem Weg in eine manichäische Welt. Wir stecken mitten darin fest: Den einen trauen wir schon lange keinen konstruktiven Beitrag zur Entwicklung der conditio humana zu. Den anderen sehen wir auch massive Regelbrüche nach und klauben fadenscheinigste, gerne pragmatisch genannte Rechtfertigungen zusammen. Etwa, dass der einseitige Besitz von Massenvernichtungswaffen eine ausgewogene und konfliktfreie Zuteilung von Lebenschancen garantiere.

Zugegeben, als Angehöriger eines Lagers bin ich ebenso ratlos, wie die inzwischen diversen, teils kausal verknüpften Eskalalations-Spiralen noch vor einem Armageddon zu erden wären. Eine wenn auch vage Chance könnte immerhin in einem unkonventionellen Ansatz liegen: Wir kasernieren hundert namhafte Historiker aus allen Kontinenten mehrere Wochen und lassen sie in einem Essay zwei Grundfragen bearbeiten. Erstens: Was sind die relevanten Herausforderungen für das Leben und Überleben der Menschheit im kommenden Jahrhundert? Zweitens: Wie können in einem weltweit fairen Maßstab die dafür erforderlichen Ressourcen aufgebracht werden? Vielleicht erübrigt sich dann eine dritte Frage: Können wir uns in einer engeren und technisch weit entwickelten Welt Kriege überhaupt leisten und hat die Zivilgesellschaft den größten Vorteil davon?

 

(2025/51) 15.6.2025
Süddeutsche Zeitung
Israels Angriff auf den Iran; zum Kommentar „Nach dem Debakel“ von Tomas Avenarius in der Ausgabe v. 14./15.6.2025, S. 4

In meinen Ohren klingt der Kommentar-Ton zumindest im Auftakt falsch: klammheimlich hämisch und schadenfroh zu Lasten der attackierten, geschädigten und paralysierten Iraner. Und zu Gunsten eines Israel, das unter massivem Regelbruch einen weiteren Punktsieg eingefahren hat.

Aber das jedenfalls für einen guten Zweck? Wohl kaum. Richtig: eine wirkungsvolle konventionelle Revanche ist kurzfristig kaum zu erwarten; das israelische Staatsgebiet hat in einen bisher vergleichsweise effizienten Schutz investiert. Und Israel hat vorsorglich weltweit seine Botschaften geschlossen. Aber gewöhnliche Sterbliche jüdischen Glaubens hat die Netanjahu-Administration nun rund um den Globus in signifikant größere Gefahr gebracht. Nicht zu vergessen: Das Märtyrertum rechnet in weiten Teilen des Nahen und Mittleren Ostens quasi zur Staatsreligion, gerade im Iran. Der israelische Besitz der Atombombe gewährt exakt gegen inbrünstiges Selbstaufopfern keinerlei Sicherheit. Die nuklearen Fähigkeiten mögen im Gegenteil dauerhaft aufreizen, als ein als ungerecht und unausgewogen empfundenes Machtmittel, als Schirm auch für etwaige weitere Landnahme.

Der Ausklang des Kommentars zeigt zu Recht einige der nun wahrscheinlichen Eskalationsrisiken auf. Die größte und nachhaltigste Gefahr dürfte allerdings die rapide weitere Erosion einer auf den kategorischen Imperativ gegründeten internationalen Ordnung sein. „Nach dem Debakel“ mag gleichzeitig „vor dem Debakel“ meinen.

 

(2025/50) 6.6.2025
RGA / Bergischer Volksbote, abgedruckt 11.6.2025
Stadtentwicklung; zu Nadja Lehmanns Artikel „Montanusquartier: Im August soll es laut Investor losgehen“ (Burscheider Volksbote v. 5.6.2052, S. 21) der nachfolgende Leserbrief:

Wie es scheint, fiebern wir alle der funkelnden Einweihung einer neuen Burscheider Stadtmitte entgegen: Die Bürgerinnen und Bürger für ein zunächst noch ungewohntes Shopping-Abenteuer. Und der Stadtrat in Erwartung dringend benötigter Steuereinnahmen. Aber: Nach den insoweit eindeutigen ökonomischen Daten kann beides leider nicht zugleich gelingen und jeder Tag ohne ein neues großes Einkaufszentrum ist ein guter Tag für die öffentlichen Kassen, insbesondere für unsere Stadtkasse.

Denn Steuern von dort sind wegen millionenschwerer Abschreibungen auf Jahre nicht zu erwarten – bei der bereits ansässigen Konkurrenz stehen dagegen merkliche Einbußen an, wegen der bereits prognostizierten deutlichen Umsatzverlagerungen. Burscheid hat bekanntermaßen bereits heute viel zu viel Vollsortimenter-Marktfläche. Noch mehr verbrauchen werden wir weder können noch wollen. Dieser Kuchen kann genau einmal aufgegessen werden. Einen smarten Projektentwickler muss alles das nicht schrecken, er bekommt sein Geld ohne jede Erfolgsgarantie, nach der aktuellen Städtebauförder-Richtlinie sogar als erster. Drum werden täglich neue hübsche Pläne für Malls, Outlets, Superstores und weitere „städtebauliche Herausstellungsmerkmale“ gezeichnet, für die rastlose Konkurrenz auch unter den unterfinanzierten Kommunen.

P.S.:
Vinzenz Jakob von Zucclamaglio dürfte sich beim heutigen Verbinden seines Künstler-Namens Montanus mit dem französisch-stämmigen Ausdruck „Quartier“ in raschen Volten im Grabe herumdrehen. Er hatte sein Leben und gerade auch seine Schriftstellerei einem wesentlichen Ziel gewidmet – dem donnernden Hass auf alles Französische. Er gehörte damit zu den Wegbereitern der sehr blutigen deutsch-französischen Auseinandersetzungen. Vielleicht war das auch ein spezielles Vater-Sohn-Ding, denn Vater und Großvater waren Bewunderer Napoleons, der Vater (gleichzeitig Gründer der Burscheider Musicalischen Academie von 1812) war ja sowohl Maire als dann nach der Franzosenzeit kontinuierlich Bürgermeister. Das hier nebenbei; man könnte das später noch vertiefen.

P.P.S.
An das Montanusquartier werde ich erst glauben, wenn ich es sehe. Aber Herr Bürgermeister Runge wird sehr daran interessiert sein, den ersten Spatenstich noch vor der Wahl als werbewirksamen "point of no return" zu markieren und zu "inszenieren", wie Herr Hamerla es gerne ausdrückt. CDU u. BfB dito.

 

(2025/49) 5.6.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Titelthema „Steueroasen" in der Ausgabe v. 5.6.2025 (Gerhard Voogt: „NRW will Steueroasen austrocknen“ und Gerhard Voogt, Corinna Schulz und Niklas Pinner: „Steueroasen den Kampf angesagt“, S. 1 u. 7)

Was das Land NRW hier anwenden will, das ist dünne weiße Salbe. Und es wird vermutlich eher neue Beschwerden schaffen. Ja, die Steuertricks sind halbseiden, unsozial und sie kannibalisieren die Nachbarschaft! Ganz unbestritten. Aber gerade im Falle Leverkusens sind sie nichts als ein Symptom jahrzehntelanger Fehlsteuerung und Unterfinanzierung, im tagtäglichen Kampf gegen den Strukturwandel.

Was es brauchen würde, aber wozu auch die Bundesparteien und namentlich der Koalitionsvertrag offenbar keine Kraft aufbringen: Eine Steuerstrukturreform, die den Kommunen einen größeren und verlässlicheren Anteil am Kuchen zuweist; die es ihnen erlaubt, sich von der volatilen Gewerbesteuer nachhaltig zu emanzipieren. Finanziert werden könnte und müsste das in wesentlichen Teilen aus der energischen Reduktion von Förderung aus Bundes- und insbesondere Landesprogrammen. Gerade der unseligen Städtebauförderung sollte es an den Kragen gehen: Sie beschert zwar bestimmten Branchen exklusive Vorteile, verführt aber die  hungerleidenden Kommunen zu einem aberwitzigen Wettrennen: Um zu wenig bedarfsgesteuerte und zu kurzlebige Malls, Outlets, Superstores und dergleichen mehr, um die sogenannten "städtebaulichen Herausstellungemerkmale

Kommunale Selbstverwaltung braucht die auskömmliche und selbstbestimmte Finanzkraft – und hier in den Kommunen berühren die Bürger*innen den Boden. Oder die Schlaglöcher.

P.S.
Wenn der Koalitionsvertrag das Kapitel 4.3 (ab Zeiten-Nr. 3609) mit „Kommunen, Sport und Ehrenamt überschreibt, so nennt er, sicher unwillentlich, ein weiteres Symptom: Das Ehrenamt hat vor Ort heute die typische Funktion eines Notstopfens. Es muss  – nota bene ohne sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsformen – den Lebenswert der Kommunen bestmöglich kolorieren und aufrechterhalten. Die Aussagen des Abschnitts 4.3 zur Stabilisierung der kommunalen Finanzen bleiben nach dem Sprachcode des KV dagegen i.d.R. auf Absichtserklärungen, Prüfvorbehalte und unverbindliche Ausblicke beschränkt.

 

(2025/48) 30.5.2025
Kölner Stadt-Anzeiger Lokalteil Leverkusen, abgedruckt 11.6.2025
Burscheider Umwelt; zu Thomas Kädings anspornenden Bericht aus dem Burscheider Umweltausschuss („Es soll weniger gemäht werden“, Lokalteil Lev. v. 30.5.2025, S. 24)

Große Anerkennung für den unbeirrt engagierten Rolf Brombach – und für die Stadt, der offenbar nun ein grüner Daumen gewachsen ist. Das zeigt sich etwa auch hier in Kuckenberg, auf einem Margeriten-Blühsaum auf dem Straßengartenland direkt an der Schulbushaltestelle. Letztes Jahr war da noch ein tonnenschwerer Gleisketten-Mähroboter darüber gedonnert – nicht von der Stadt wohlgemerkt; der Panzer hatte sich wohl etwas verirrt, von Flächen des Kreises. Danach war eher gepflügt als gemäht, wie von einer Kompanie Wildschweine. Aber in diesem Jahr hat die Stadt sorgsam aufgepasst und das kleine Biotop konnte sich tapfer erholen. Danke an alle Beteiligten!

Ach ja: Auch in Dierather und Kuckenberger Gärten greift es um sich: Man lehnt sich zurück, lässt es bunt und mit viel Gesumm blühen. Anstelle von stumpfer und stummer Grasnarbe.

 

(2025/47) 22.5.2025
Psychologie heute
Titelthema „Pause für`s Pflichtgefühl“ in der Juni-Ausgabe 2025 (Jochen Metzger: „Pause für`s Pflichtgefühl“ und Interview mit Jörg Bernardy "Ich dachte: Genießen darf man erst, wenn man etwas geleistet hat")

Kann es überraschen? Für Balance und Resilienz brauchen wir ab und zu den kleineren oder größeren Profit. In den Sechzigern des letzten Jahrhunderts hatten die spontanen Epikureer das Motto nicht gesittet als "trait hedonic capacity" postuliert, sondern drastischer: „Do it now!“ 

Und andererseits scheint es recht schlüssig, dass die von den Advokaten des Marshmallow-Tests pointierte Selbstkontrolle einen statistisch guten sozialen und materiellen Erfolg verspricht, vielleicht gar extra Lebenszeit: Selbstdisziplin formt sich wohl entlang der zeitgenössischen gesellschaftlichen Anforderungen, recht berechnend und deterministisch, ist ein Element davon und ein Schlüssel: Habe dich zur rechten Zeit im Griff und es folgt mehr Erfolg. Der Test, selbst ein Erfolgsmodell, konnte sich wie eine petitio principii selbst bestätigen.

Hier könnte sich noch eine Parallele ergeben: Ebenso wie die klassischen Werkzeuge moderner Intelligenz-Messung wurde der Marshmallow-Test an der Stanford-Universität entwickelt. Und etwa zum legendären Stanford-Binet-Test soll der Überlieferung nach das - frühere - Interesse des Eisenbahnmagnaten Leland Stanford Anlass gegeben haben, seine Bewerber-Auswahl sehr zielgerichtet zu optimieren. Auch dort mag dann ein technik-affines Fähigkeitsprofil sehr normativ für den hoffnungsvollen Nachwuchs geworden sein, sogar für den Nachwuchs und für das Geschäftsmodell aller Industriegesellschaften - Stanford ist heute ubiquitär.

Ich befürchte nun: Die atemlose aktuelle Konkurrenz führender globaler Gruppen und ihr betont technokratischer Pfad wird heute wieder deutlich weniger Zeit für Pausen einräumen.

 

(2025/46) 13.5.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Anpassung der Wirtschaft an Trump-Ideologien; zu Johanna Apels Beitrag „Gleichberechtigung ade“ in der Ausgabe v. 13.5.2025, S. 9

„Haltungsfreie Anpassung“, dieser Ausdruck hätte das Zeug zum Modewort des Jahres 2025. Allerdings ist „haltungsfrei“ hier noch eher beschönigend zu verstehen, drückt es doch wohl mehr den Austausch von bisheriger Haltung oder Meinung gegen eine wieder urtümlich unbekümmerte Männlichkeit à la Trump & Co. aus. Oder eine ab jetzt betonte Nachlässigkeit gegenüber Bürgerrechten, auch und gerade gegenüber der Umwelt.

Das Dumme ist nur: Die Umwelt selbst ist tatsächlich haltungsfrei. Sie baut sich einfach weiter um, ohne jegliche Rücksicht auf unsere Bedarfe. Und dies deutlich schneller, als wir den Prozess je rückabwickeln könnten. Jede und jeder mag das beobachten – am besten in Waldstücken, die man 20 Jahre lang nicht betreten hat, vielleicht im Hochsauerland. Aber das kann man eigentlich nur mit Haltung ertragen.

 

(2025/45) 7.5.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
zur Kanzlerwahl am 6.5.2025, insbesondere zu Eva Quadbecks Kommentar „Beschädigt ins Kanzleramt“ in der Ausgabe v. 8.5.2025, S. 4

Gut, auch ich habe diese wohligen Erinnerungen an strähnige Wochenschau-Filmchen in schwarz-weiß, mit Limousinen und vielen weißen Mäusen. Wenn man mal wieder in perfekter Choreographie einen deutschen Kanzler inthronisiert hatte. Aber besonders volksnah oder vital demokratisch fand ich diese zu 100% berechenbaren Rituale nie. Ein Ritual hilft auch kaum über fehlende oder stark erschütterte Substanz hinweg. Und hier liegt vermutlich das Problem, das am 7. Mai zum Durchfallen im ersten Aufzug hinführte: Wir waren noch so davon beseelt, eine existente, unter dem Strich sogar verblüffend zielorientierte Herrschaft zu kippen, dass die folgende und vielfach ähnliche Administration ähnlichen Aggressionen und Zweifeln begegnete.

Und im Gegensatz zu den frühen Jahren der Republik mit ihrem überwiegenden Vektor nach rechts oben, mit ihren festen geographischen Landmarken und innig verfolgten Wachstumshoffnungen sind Richtungen und Werte heute beliebig geworden. „Alles wird umgewertet“ würde ein Nietzsche wieder sagen. Die Kirchen, die Gewerkschaften, die Parteien, die Medien, selbst die Umwelt – allesamt zunehmend unscharf, wenn nicht in Auflösung begriffen. Verbündete – eigentlich nur noch lose gebunden, gerne volatil, häufig in aggressivem Wetteifer.

Die Einwohner der früheren DDR werden eine solche metamorphe, als wirr und als machtlos empfundene Phase noch höchst genau erinnern, manche sogar zweifach. Genau da könnte die Remedur eines Kanzlers Merz liegen: Nicht nach alter Väter Sitte machtvoll durchregieren, nicht die nachhaltig verbundenen Eliten als erste bedienen und auf ein späteres trickle down auf den großen Rest hoffen. Sondern einen betonten bottom-up-Ansatz wagen, mit mehr ermutigenden und aktivierenden Diskursen, mit besserer Sensorik für die Bedarfe der Bürgerschaft vor Ort. Oder auch: die vorherrschenden Schwarm-Phobien durch Schwarm-Intelligenz mit hohem demokratischem Wirkungsgrad ersetzen.

P.S.
Das eigentlich Desaströse scheint mir die Beliebigkeit zu sein, mit der einige – vergleichbar ja hoch privilegierte – Abgeordnete einmal so, dann wieder anders entschieden haben oder intensiv zu einer solchen Entscheidung gedrängt wurden. Insgesamt fügt das dem Ansahen des Parlaments einen m.E. hohen Schaden zu. Tatsächlich bin ich gefragt worden, warum aus demokratischer Sicht überhaupt die zweite Wahl des nämlichen Kandidaten Sinn mache – es sei denn mit rein pragmatischer (TINA-) Begründung: Gewählt werde halt mehrfach, bis das „sinnvolle“ Ergebnis formal erreicht sei. Mehr konnte ich dazu auch nicht beisteuern.

 

(2025/44) 5.5.2015
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 8.5.2025
AfD-Debatte; zur Frage, wie eine wachsende Zustimmung für die AfD unterbunden oder gar zurückgeführt werden kann, insbesondere zu Steven Geyers Kommentar „Finanzierungsstopp für die AfD prüfen“ in der Ausgabe v. 5.5.2025, S. 4

Ein Finanzierungsstopp für die AfD wirkt logisch. Denn wer wollte bestreiten, dass politische Öffentlichkeit auch hier in Deutschland Funktion verfügbarer Ressourcen ist. Dennoch führt es wohl in die Irre. 

Weltanschaulich betrachtet hat die Rechtsaußen-Partei ja längst den Fuß in der Türe: Indem sie für alle Stammtische gut sichtbar das fast singuläre Thema der Februar-Wahl stiften konnte: Migration und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte – als ausdrückliches Problem. Je mehr nun die CDU versucht, der AfD hier weiter den Rang abzulaufen, desto mehr werden sich Stammtische bestätigt fühlen, in messbaren Umfragewerten. Ganz von selbst, auch ohne teure Eigenwerbung der AfD.

Eine Lösung kann für mich daher nur in einer inhaltlichen Debatte liegen; sie muss sehr nüchtern die Nachteile und die nach allen Erkenntnissen klar überwiegenden Vorteile humaner Mobilität ausbuchstabieren. Und nicht zuletzt auch die von uns höchstpersönlich gesetzten Ursachen der Migration. Nur Mut!

 

(2025/43) 1.5.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
bemannte Raumfahrt; Titelthema „Weltraumzentrum Köln“ der Ausgabe v. 30.4.2025 (Der Weg ins All führt über Köln“ und „Köln wird zum Weltraumzentrum“ von Thorsten Breitkopf, KStA S. 1 u. 3)

Dieses Gefühl beschleicht mich schon seit Jahrzehnten: Unser Köln könnte ein – vermutlich sogar uralter – Hub des intergalaktischen Reiseverkehrs sein. Und der Dom eine Art Tower im Orion-Arm. Danke, dass Sie das jetzt bestätigen und weiterführen. Für mich fehlt nun eigentlich nur noch Will Smith als Escort Service für Passagiere mit besonderen Ansprüchen. So könnten wir auch den Zustrom begeisterter junger Astronautinnen weiter stärken.

 

(2025/42) 25.4.2025
RGA / Bergischer Volksbote, abgedruckt 30.4.2025
Kommunalwahl 2025; Nadja Lehmann „Kommunalwahl: So will die CDU die Burscheider von sich überzeugen“ (Ausgabe Burscheid v. 24.4.2024, S. 21)

Für den 14. September hat unsere CDU wieder ein umfassendes Wahlprogramm vorgelegt. Vorausschau ist dabei naturgemäß interessant – für Konsistenz und Nachvollziehbarkeit ist allerdings auch die nüchterne Rechenschaft für die nun ablaufende Ratsperiode wichtig, gerade auch die "lessons learnt". So enthielt schon das 2020er Wahlprogramm auf S. 11 ein zentrales Kapitel, das auch die Medien fortlaufend beschäftigt: „Attraktivität der Innenstadt weiter steigern“. 2020 hieß es hierzu u.a.: „In der Montanusstraße favorisieren wir einen Vollsortimenter und Drogeriemarkt nebst Parkplatz sowie seniorengerechte Wohnangebote. Auf der anderen Seite unserer Innenstadt ist der Bereich Haupt-/ Mittel-/ Luisenstraße weiter zu modernisieren. Ein einladendes „Tor zur Innenstadt“ wird geschaffen.“

Schön. Aber unser traditioneller Siedlungskern musste zwischenzeitlich ja aus dem – bereits frühzeitig ausgeschöpften – Förderkonzept ausgekoppelt werden; eine künftige Finanzierung ist ganz unsicher, wäre aber in jedem Fall empfindlich einzukürzen. Auch das Montanus-Projekt liegt, mit Vorsicht formuliert, weit hinter dem Zeitplan; würde es realisiert, dann soweit bekannt auch ohne die zuvor beworbenen „seniorengerechten Wohnangebote“.

Die Glaubwürdigkeit eines neuen Programms würde m.E. gestärkt, könnten Sachstand und Prioritäten im Wahlkampf offen aktualisiert werden. Müsste man dabei frühere Planungen revidieren - kein Problem: Auch die lokale Politik mag, wie es Adenauer einmal sagte, „alle Tage dazulernen“. Aber man müsste es dann auch klar ansprechen; alles andere muss eher ratlos wirken.

Quellen:

CDU-Wahlprogramm zur Kommunalwahl 2020 = https://www.cdu-burscheid.de/fileadmin/user_upload/Wahl_2020/Wahlprogramm-2020.pdf bzw. speziell zur Stadtentwicklung https://www.cdu-burscheid.de/programm/attraktivitaet-der-innenstadt-weiter-steigern.html

2025https://www.cdu-burscheid.de/fileadmin/user_upload/bilder/aktuelles/2025/2025-CDUWahlprogramm-8Apr25.pdf

 

(2025/41) 20.4.2025
Süddeutsche
Kriegsende 1945 und deutsch-russisches Verhältnis; Kommentar „Schwieriges Gedenken“ von Joachim Käppner (Ausgabe v. 19./20./21.4.2025, S. 1)

Eine klassische kognitive Dissonanz: Einer objektiv geschundenen Nation müssten wir nach wie vor Anerkennung zollen, zumindest weiter für Vergebung werben. Aber dazu müssten wir ein aktuelles, sehr eindeutig definiertes Feindbild durchbrechen.

Aber vielleicht ist es gar keine Dissonanz, jedenfalls keine neue, überraschende. Zwar bestanden unmittelbar nach dem Mai 1945 nirgendwo in Europa Zweifel, welche Nation als erste und welche unter den größten Qualen und Opfern einem mörderischen Nazi-Deutschland entgegen treten musste. Und welche Nation am Ende auch den größten militärischen Anteil an der deutschen Niederlage hatte – unstrittig Russland. Aber das Bild wandelte sich im Westen extrem schnell, klar vor dem Ende der Sowjetunion oder gar vor dem russischen Überfall auf die Ukraine: In den Medien und in den Köpfen drängte sich der D-Day ganz nach vorne, als die zentrale Wortbild-Marke für Heldentum und konsequent folgenden Sieg.

Für eine ausgewogene und an Frieden orientierte Geschichtspolitik sollten wir vielleicht aber zwischen 1945 und 2022 unterscheiden. Oder zumindest in Betracht ziehen, dass 2022 nicht ohne 1945 und nicht ohne eine bereits seit Jahrzehnten unbeirrt wieder intensivierte Geo- und Spannungspolitik zu verstehen ist. Womöglich hilft für ein kleines Reset der Gedanke: Bei Kenntnis der heutigen Situation könnte sich ein Reinhard Gehlen vergnügt und selbstgerecht die Hände reiben: „Habe ich’s nicht immer schon gesagt?

 

(2025/40) 16.4.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Waffenexporte; Berichterstattung und Kommentar bzgl. einer etwaigen Lieferung des Waffensystems „Taurus“ an die Ukraine in der Ausgabe v. 16.4.2025 („Pistorius bei Taurus-Lieferung skeptisch“ und Kommentar „Nicht sattelfest“ von Markus Decker, S. 1 u. 4)

Man könnte heute erfolgreich daran anknüpfen: Deutschland hatte sich schon mit der Flügelbombe, auch Höllenhund genannt und zur „Vergeltung“ u.a. gen England in Marsch gesetzt, einen Namen gemacht, hatte damit die Mutter aller Cruise-Missiles erfunden. Immerhin konnte diese "Wunderwaffe" bereits ca. 800 Kilo Sprengstoff über bis zu 250 km ins Ziel tragen; da ist der Taurus ein würdiger Nachkomme.

Sollte man noch offen sagen, welche russischen oder ukrainischen Ziele unser modernster Marschflugkörper erreichen und bekämpfen könnte? Oder wäre das eher unklug? Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter, gerne gesehener Gast in den allgegenwärtigen Talkshows, der hatte indessen schon im letzten Jahr auf die Frage, ob etwa zu liefernde Kampfjets auch gegen Nachschubwege in Russland einzusetzen wären, geradezu entwaffnend offen, fast aufgebracht ausgerufen: „Ja, warum denn nicht?“ Drum scheinen mir Merz‘ Aussagen zur Taurus-Lieferung recht unwichtig zu sein, jedenfalls keine überraschende Neuigkeit.

Quelle etwa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fieseler_Fi_103

 

(2025/39) 15.4.2025
Kölner Stadt-Anzeiger Lokal-Ausgabe Leverkusen, abgedruckt 22.4.2025
Stadtentwicklung; Thomas Käding: „Mehr Dauerstellplätze und mehr Kontrollen“ (Lokal-Ausgabe Leverkusen v. 15.4.2025, S. 24)

Die Burscheider Politik tanzt um einen riesigen rosa Elefanten herum und gibt tapfer vor, ihn gar nicht zu sehen. Wenn nun gar zusätzliches Personal eingestellt werden müsste, um den deutlich geschrumpften und heute tatsächlich arg knappen Parkraum nach Recht und Ordnung zu bewirtschaften, so hat das doch nur eine, dabei völlig offenbare Ursache: Diese von emsigen Projektentwicklern ausgebrütete Vision einer „Neuen Mitte“. Für die auch bereits massive Opfer gebracht worden sind: Vorleistung von Infrastruktur, Abriss des intakten Bahnhauses, des Kiosks und der – in der alten Mitte unbeirrt weiterhin beworbenen – öffentlichen Toilette, dito Abort einer leistungsfähigen grünen Lunge. Von einem ehemals komfortablen Busbahnhof gar nicht erst zu sprechen. Und eben von Parkraum.

Dieser pralle rosa Elefant, der schon länger breite Schatten vorauswirft, auch mit dem sehr ärgerlichen Hindernis auf der früher mal gefeierten Balkantrasse: Er entbehrt laut allen eingeholten Marktgutachten der letzten Jahre sogar jeder ökonomischen und fiskalischen Vernunft. Zumindest Verkaufsfläche für Nahrungs- und Genussmittel bietet Burscheid bereits bis Unterkante Oberlippe, bereits übersättigt, sehr deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt.

Ich rege das umgehende Umbenennen der Kommune in BUR-SCH-ILDA an sowie den freiwilligen Verlust der Stadtrechte: Zur Kosteneinsparung und zum Finanzieren der gebotenen engmaschigen Kontrollen.

 

(2025/38) 13.4.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Anwerben von US-Forschern; Maria Gambino: „Wettstreit um US-Spitzenforscher“ (Ausgabe v.12.4.2015, S. 3)

Ein Wettstreit um US-Forscher hätte zumindest nicht den ganz so üblen Geruch des Brain-Drain, so wie der Wettlauf um medizinisches Personal aus Entwicklungsländern. Aber ist der Plan denn überhaupt realistisch? 

Die Trump- und Musk-kritischen hellen Köpfe aus den Küsten-Universitäten im Westen wie im Osten der USA werden zumeist eher als Tauben eingeordnet denn als Falken. Sie denken vermutlich häufiger mit der Friedfertigkeit eines Martin Luther King als an die Kriegsfähigkeit, die unser amtierender und wohl auch andauernder Verteidigungsminister nimmermüde fordert. Ob US-Forscher sich dann in ein Land gezogen fühlen, das sich seit mehreren Jahren politisch und ökonomisch immer stärker auf Aufrüstung fokussiert? Wo konsequent auch die Forschung immer häufiger zu „Defence“ beitragen muss und wo die seit den Achtziger Jahren gewohnte Zivilklausel vieler deutscher Hochschulen – keine millitärisch nützliche Forschung und Entwicklung – zunehmend unter Druck gerät? So, wie es auch unser voraussichtlich werdender Kanzler bereits  i.J. 2022 ausdrückte - die Zivilklauseln seien doch nicht mehr zeitgemäß?

Gut, eine zumindest für mich sympathische Perspektive könnte sein: Transatlantische helle Köpfe hatten schon in den Sechzigern unsere Friedensbewegung intellektuell ganz wesentlich herausgefordert und gefördert. Vielleicht könnte heute wieder etwas für unseren kollektiven Brain abfallen. Und das importierte Talent würde sich an Universitäten anreichern, die ihre Zivilklausel unbeirrt hochhalten.

Quelle etwa: https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilklausel

 

(2025/37) 3.4.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Raumfahrt; zu den Raumfahrt-bezogenen Berichten in der Ausgabe v. 2.4.2025 (Susanne Rohlfing „Müll im All gefährdet die Raumfahrt“ u. Christina Horsten / Wolfgang Jung „Die erste deutsche Frau im All“, S. 3 u. 14) der nachfolgende Leserbrief:

Vor etwa drei Monaten standen wir bei wunderbar sternklarem Himmel draußen – und waren irritiert. Dass man bei uns die Milchstraße auch im Winter schon seit Jahrzehnten nicht mehr sehen kann, geschenkt. Auch die Andromeda nicht, unsere Nachbargalaxie. Zu viel Lichtverschmutzung, man weiß das ja. Aber in der Nähe des Zenits gab’s nun ein völlig neues und sehr schräges Sternbild – viele wie auf einer Perlenschnur aufgereihte helle Lichtpunkte gleicher Größenklasse. Unheimlich. Einer wusste die Erklärung: Es ist Musks Starlink-Kette, die unter bestimmten Umständen einige Zeit nach Sonnenuntergang noch Licht abbekommt und zu uns reflektiert. Und da beginnt der Wahnsinn: Tausende Satelliten, die ein Mensch dorthin hängt, unbeirrt immer weiter. Einige werden zu Müll und können andere Satelliten oder gar die Erdoberfläche gefährden. Der Himmel hängt voller und voller. Für was genau?

Andere Akteure fühlen Torschlusspanik, wollen möglichst schnell nachziehen. Das sind nicht unbedingt demokratisch kontrollierte Staaten, es sind gerne auch private Unternehmen. Sollten wir aber nicht auf eine generelle, internationale Kontrolle hinwirken? Kamikaze-Satelliten, die hier und da ein wenig Weltraum-Schrott umklammern und per gravity erden können, die scheinen eher putzig wie früher mal WALL-E („Der letzte räumt die Erde auf“). Sie sind aber offenbar keine Lösung eines asymptotisch wuchernden Problems.

Quelle etwa:
https://www.swr.de/wissen/wie-starlink-satelliten-am-himmel-sehen-100.html

 

(2025/36) 26.3.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur; Frank-Thomas Wenzel / Stefan Winter „Rheinmetall blickt auf Autowerke“ und Felix Huesmann „Die Wirtschaft und der Ernstfall“ (Ausgabe v. 26.3.2025, S. 9)

Wir tarnflecken gerade sehr dynamisch unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft; auch Zivilklauseln aus der Forschung und Entwicklung wirken nun schwer durchzuhalten oder wie Fossilien.

Ein Wermutstropfen bleibt indes. Da verschiebt sich nicht nur das Verhältnis von zivil zu militärisch ausgerichteten Arbeits- und Forschungsplätzen und auch die wechselseitige Abgrenzung wird sehr diffus. Nein, was viele Sonntagsredner entweder nicht wissen, nicht sagen oder nicht wissen wollen: Ein wachsender Anteil militärischer Produktion kostet sogar insgesamt Arbeitsplätze, und zwar wegen der bei "Defense" deutlich höheren Wertschöpfung, und besonders merklich bei Waffenverkauf ins Ausland. Denn das Ausland „bezahlt“, schon um dortige Devisen zu schonen, die Militaria sehr gerne mit gegenläufigen zivilen Produkten und Halbfertigprodukten. Die man dann hier nicht mehr fabrizieren muss.

Klar, unsere Geschichte hält viele leuchtende Beispiele für eine besondere zivil-militärische Konversion oder Kohabitation bereit: Käfer/Kübel, Ford-Lastwagen als logistisches Rückgrat der Besetzung des Sudetenlandes, diverse Produkte der Luft- und Raumfahrt. Das Dumme: Ernste Diplomatie käme vermutlich signifikant preiswerter, vertrauensbildender und nachhaltiger. Deren offensichtlicher Nachteil wiederum: Sie ist sehr schlecht zu industrialisieren.

P.S.:
Anm. zur beigefügten Quelle (Lumpe / Pineo: "Do U.S: Arms Sales Cost American Jobs?", Intersect May 1994, p.18) bzw. zu meinem beruflichen Hintergrund: 

Ich war - im BMBF - u.a. mit der Förderung von Nachhaltigkeit sowie Friedens- und Konfliktforschung befasst. Aus dieser Zeit sind mir die Forschungen insbesondere von Lora Lumpe vertraut. Ich denke, dass der im Leserbrief dargestellte Wirkungszusammenhang nur wenigen deutschen Politikern bekannt oder bewusst ist. Sollte Sie der vollständige Artikel von Steve Usdin ("Dealers in Destruction") interessieren, in den der Beitrag von Lumpe u. Pineo eingebettet war, kann ich ihn gerne ergänzend einscannen. Ich denke, die damalige Phase in den Neunzigern hat zur heutigen Zeit Parallelen, die sehr betroffen stimmen können.

 

(2025/35) 25.3.2025
DER SPIEGEL
Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur; Titel der Ausgabe Nr. 13 v. 22.3.2025

Da ist gerade etwas passiert, das man mit seiner Million Millionen getrost als präzedenzlosen Staatsstreich eines Ancien Régime einordnen könnte. Oder als finanzpolitischen Tanz der Toten und Untoten. Und der Spiegel? Macht als "100-Bücher-Wurm" auf. Die Magazin-Konkurrenz? Fokussiert gleichzeitig auf 25 Kurz-Traumreisen, vielleicht Leser-Reisen. 

Wenn ich eine Summe bilden darf: Gepflegter Eskapismus.

P.S.:
Eine akzeptable Alternative wäre ja gewesen :Die Deutschen müssen das Geldverbrennen lernen“, siehe Titel Ihrer Nr. 47 v. 19.11.2006 bzw.
https://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2006-47.html

 

(2025/34) 23.3.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, Regionalteil Leverkusen
Stadtentwicklung; Thomas Käding „Drogeriemarkt ist nicht in Sicht“ (Ausgabe v. 21.3.2025, S. 24)

Das ist ein sehr guter Impuls. Das Linden-Center kann einen Drogeriemarkt leicht aufnehmen und würde der Hauptstraße damit den ersehnten neuen Schwung geben. Erhaltung ist auch viel nachhaltiger als ein Neubau. Vor allem als ein Neubau mit einem weiteren Vollsortimenter, für den nach dem letzten Marktgutachten schlicht die Nachfrage fehlt, in Burscheid ebenso wie im näheren Einzugsbereich. 

Gut ist vor allem, dass man nun an Alternativen denkt. Denn ob der Projektentwickler, mit dem man im Gespräch war, nach heutigen Bedingungen tatsächlich noch bauen will, das ist zumindest fraglich. Richtig: Wir sollten jetzt handeln. Wer live und in Farbe einen vernachlässigten großen Einzelhandelskomplex erleben möchte, der mag sich in Altena, das bisweilen als städtebauliches Vorbild Burscheids zitiert wurde, das traurige Stapel-Center ansehen.

 

(2025/33) 22.3.2025
RGA / Bergischer Volksbote, abgedruckt 26.3.2025
Stadtentwicklung; Nadja Lehmann „Lindenpassage: BfB will, dass dort ein Drogeriemarkt einzieht“ (Lokal-Ausgabe Burscheid v. 19.3.2025, S. 23)

In diesen wirren Zeiten ist das doch ein sehr inspirierender Plan für den lokalen Standort – unser Linden-Center zu stabilisieren und zu erhalten. Das hätte so viele Vorteile: Zuallererst das Stärken und Beatmen der Hauptstraße, nach wie vor die Lebensader „em Dorp“. Der Umwelt nutzt das Sanieren von Hunderten Raummetern Stahlbeton auch deutlich mehr als das Neu-Anrühren an anderem Ort. Längs der Montanusstraße können nun mehr junge Familien bezahlbar und stadtnah wohnen; die Balkantrasse kann bald wieder ohne Pfropf pulsieren und gesperrter Parkraum wird wieder frei. Die Schützeneich behält Licht und Luft, für jung wie alt. Zu guter Letzt muss die Kommune auch keinen neuen „öffentlichen Platz“ teuer pflastern und unterhalten. Also: Nichts wie los!

 

(2025/32) 19.3.2025
Süddeutsche Zeitung
Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur; zur Behandlung der letzten Sitzung des 20. Deutschen Bundestags am 18.3.2025  in der Ausgabe v. 19.3. (Bericht von Markus Balser et al. „Und sie haben Ja gesagt“; Kommentar von Claus Hulverscheidt „Es geht um alles“, daselbst S. 3 u. 4) der nachfolgende Leserbrief:

Am historischen Umfang und am Mut, in noch großer Ungewissheit kühn aufzubrechen, mag man sich berauschen. Aber das Ergebnis, um das alles geht, das kennt halt noch keiner. Auch keinen Masterplan, zielgerichtet und ohne große Verluste dorthin zu kommen.

Leitmotto war an diesem geschichtsträchtigen Dienstag am ehesten „TINA“ bzw. eine immer wieder annehmlich gemachte epochale Alternativlosigkeit. TINA aber bezogen auf was konkret? Auf Szenarien von Diensten, die wir trotz – oder wegen – massiver Fehlbeurteilungen etwa im Falle Wiedervereinigung oder Afghanistan nun erst richtig aufrüsten müssen? Auf ungeduldige bis barsche Forderungen von Militärorganisationen oder Dachverbänden? Auf Programme von Parteien, die doch offenbar unsere unstreitig sehr großen Steuer-Ressourcen bis heute im Fortsetzungszusammenhang fehl-alloziert haben müssen, national wie transnational? Auf aktuelle oder auf überholte Wahlprogramme?

Und war der Dienstag nun eine Sternstunde der Demokratie? Entschieden hat ein nach Neuwahl im Grunde bereits abgesatteltes und abgehalftertes Parlament. Ja, auf Grundlage dieser vielbeschworenen „ununterbrochenen Legitimationskette“. Die hier aber denkbar lose zu einem Wählerauftrag vom 26. September 2021 (sic!) zurückkoppelte. Und war es die vertrauensbildende Summe vieler autonomer Einzelentscheidungen, die auch eine flächendeckende regionale Orientierung anzeigen könnten? Kaum. Dieser Dienstag war eher minimal repräsentativ, durch den unwiderstehlichen Zwang von Zählappellen, Probevoten und verpflichtend namentlicher Abstimmung – ein engmaschig betreutes und abgesichertes Votum; nicht bottom-up, sondern staatsmännisch top-down, mundfertig für die Geschichtsbücher.

Eher noch als eine Grundschule habe ich eine sauber durch-choreographierte Tanzschule wahrgenommen und wenn es nun keine Sternstunde des Parlaments war, dann doch jedenfalls eine des Parlamentarismus. Wie man es früher dem Adel als Freibrief nachsagte: Wer die Formen beherrscht, der kann sie übertreten.

 

(2025/31) 17.3.2025
DAS PARLAMENT, abgedruckt am 22.3.2025
Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur; Berichte „Pokern bis zum Schluss“ u. „Das steht in den Gesetzentwürfen“ von [
scr
], „Finanzplan entzweit die Sachverständigen“ von Peter Stützle sowie parlamentarisches Profil „Der Nachdenkliche: Karsten Klein“ von Jan Rübel, S. 1-3 sowie Beilage „Leicht erklärt: Streit über viel Geld" von Annika Klüh et al.

Nach aberkanntem Vertrauen und hitziger Neuwahl legitimiert nun eine unverhoffte XXL-Koalition aus der 20. Legislatur flugs noch einen präzedenzlosen XXL-Ausgaben-Container, der uns alle zumindest bis in die 23. Legislatur hinein verpflichten wird. Und der am Ende vielleicht Deutschland sein Triple-A-Rating kosten wird. Alles das: In großer Hast, ohne weitere Debatte mit dem Souverän. Das ist sportlich. 

Aber möglicherweise setzt die ad-hoc-Koalition der Parteien, die sich ja als Kern des Wahlvolks verstehen, mit diesem Manöver nun genau den so unverzichtbaren Konsens in der Mitte aufs Spiel. Oder auch: Bataille gewonnen, Krieg verloren.

P.S.:
Besondere Anerkennung für den Versuch, die beiden Ausgabenpakete und das dafür gewählte Verfahren in Leichte Sprache zu übersetzen! Sehr gut gefallen haben mir die ausbuchstabierten 500 Milliarden, der nüchterne Hinweis "Sowas passiert sonst eigentlich nicht" und die notwendigerweise an eine Quadratur des Kreises erinnernde Management-Summary am Schluss.

 

(2025/30) 15.3.2025
Frankfurter Allgemeine, abgedruckt 18.3.2025
Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur; Leitglosse von Berthold Kohler „Dann könnte man den Sündenfall verzeihen“ (Ausgabe v. 15.3.2025, S. 1)

Der Zweck könnte – der Konjunktiv steht hier völlig zu Recht – das Mittel und insbesondere die abenteuerliche Konstruktion heiligen. Aber zu welchem Zeitpunkt wird das Versprechen eingelöst? Dummerweise liefern sich nun sowohl die neue wie die alte Herrschaft jahrelangen, wenn nicht jahrzehntelangen Zweifeln aus und jeder beliebigen Polemik. Denn dass die gerne bemühte „ununterbrochene Legitimationskette“ unserer Wahl vom 26. September 2021, also noch zum 20. Deutschen Bundestag, nun technisch dazu herhalten muss, das von vielen Politikern für sachgerecht gehaltene Spielgeld i.H.v. einer Billion zu triggern – das hat schon viel von hintersinniger Rabulistik, wenn nicht von staatsrechtlicher Winkeladvokatur. Die Gefahr besteht: Genau diese verfassungspatriotische Schwachstelle wird auf lange Zeit, man könnte auch sagen „nachhaltig“, von den völlig Falschen zitiert werden.

Besser wäre gewesen und es hätte sogar dem vormaligen SPD-Leitbild eines die Bürger aktivierenden Staates entsprochen: Ein offener Kassensturz, ein kompromisshaftes Klären der mittelfristigen Prioritäten, sodann Verpflichtungen genau in dem Maße, die eine neue Administration für ihre Lebensdauer seriös finanzieren kann. Das ist die Herausforderung; Geld ohne Ende wäre es nicht.

 

(2025/29) 15.3.2025
BILD
Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur; Titelthema der Ausgabe v. 15.3.2025 „Die XXL-Schulden kommen“ bzw. Kommentar von Josef Forster „Bei diesen Zahlen wird mir schwindlig“ und Bericht „Merz: ‚Das ist eine gewaltige Summe‘ “

Schwindlig wird mir besonders bei der Konstruktion: Eine abgewählte Mehrheit leiht sich in ihren letzten Zügen noch schnell eine Billion. Wenn das nicht viel Vertrauen kostet!

P.S., speziell für Herr Forster:

Nach Ihrer Altersangabe werden Sie am 26.9.2021 gewählt haben, damals zum 20. Deutschen Bundestag. Dann könnten Sie sich sogar noch ein wenig glücklicher schätzen als die Erstwähler des aktuellen Urnengangs. Denn nach der von Staatsrechtlern so gerne bemühten Theorie der „ununterbrochenen Legitimationskette“ war es u.a. Ihr (pardon!) inzwischen etwas abgehangenes Votum, das nun als statistischer Wille des Volkes diesen Billionen-Kredit rechtfertigen und legitimieren soll. Eine Schuld, die künftigen Wähler-Generationen ohne bereits gesellschaftlich debattierten und erwiesenen Gegenwert schwer auf der Tasche liegen wird.

Aber auch Ihnen kann dabei völlig zu Recht schwindlig werden. Und Sie könnten sich hier an die halbseidenen Tricks von Winkeladvokaten erinnern. Nüchtern betrachtet: Dieser sehr schlaue, aber wenig kluge Coup wird sich voraussichtlich als Wasser auf die völlig falschen Mühlen erweisen.

 

(2025/28) 14.3.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur; zu Markus Deckers Kommentar „Geisterstunde im Parlament“ und zu Daniela Vates‘ Gespräch mit Anke Rehlinger „Es geht um das Land“ (Ausgabe v. 14.3.2025, S. 4 u. 6)

Sie sprechen mir aus dem Herzen, Herr Decker! Richtig: Aus guten Gründen darf es keine parlaments- und regierungslosen Tage geben; der 20. Deutsche Bundestag hat den Staffelstab noch in der Hand, und zwar für plötzlichen und unabweisbaren Entscheidungsbedarf.

Aber gerade die jungen Wähler müssten sich für dumm verkauft fühlen, mit diesem auf Generationen verpflichtenden und priorisierenden Schuldenpaket: Sie sähen eine hervorragend durch-choreographierte, fachmännisch eingespielte Obrigkeit, die mit staatsmännischem Pathos ganz andere Töne von sich gibt als eben noch in Wahlprogrammen, aus einem ohnehin schon völlig überhasteten, praktisch monothematischen Wahlkampf. Die Wähler dürften im Zuschauerraum sitzen bleiben und klatschen. Für Verfassungspatriotismus, den wir uns doch alle so sehr wünschen, bleibt da kein Haltepunkt. Eher denkt man an Winkeladvokaten. Und wünscht sich zurück, was sich die SPD vor Jahrzehnten auf die Fahnen geschrieben hatte: Einen – die Bürger – aktivierenden Staat.

Quellen etwa:
https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/305858/aktivierender-staat-und-aktivierende-arbeitsmarktpolitik/

Anm.:
Vor vielen Jahren habe ich den Wahlprozess einmal ein wenig sarkastisch dargestellt, siehe bei Interesse
https://www.vo2s.de/1070hafn.htm – und die heutige Situation erinnert mich doch sehr an die aufgeräumte Stimmung an Bord, nach dem Wiedereinschiffen der Matrosen. 

Man mag es aber auch so sehen: Bereits den Wahlkampf zum 21. Bundestag konnte die AfD mit ihrem zentralen Thema „Das Boot ist lange übervoll“ dominieren. Die massiv verpflichtenden Sondervermögen (egal welcher Sortierung am Ende) werden bei den Wählern nun leicht als „üble Trickserei“ der „alten“ Parteien desavouiert werden können, noch nach Jahren. Das würde uns mit großer Wahrscheinlichkeit noch näher an die Pamir (auf dem letzten Bild unter dem u.a. Link) führen.

Wenn derart schicksalhafte Entscheidungen getroffen werden müssen, dann nur vom durch Wahl aktuell definierten Souverän. Die viel gepriesene „ununterbrochene Legitimationskette“ demokratischer Wahlen auch noch dafür zu bemühen, das wäre ein epochaler Schildbürgerstreich.

 

(2025/27) 10.3.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 15.3.2025
Kritik der Linken an NATO u. EU; Markus Decker: „Ideologie schlägt Wirklichkeit“ (Ausgabe v. 10.3.2025, S. 4)

Der Ideologieverdacht ist leicht erhoben, hier gegen die Linke. Nun mag man aber auch bei den raumgreifenden Auslandseinsätzen von NATO oder EU incl. Bundeswehr seit 1992 annehmen, dahinter hätte eine aggressive Weltanschauung zur eigennützigen Neuordnung dieses Globus gesteckt. Die damaligen Absichten einiger Beteiligter mögen ja lobenswert, wenngleich auch etwas naiv gewesen sein – der generelle Output war nun einmal desaströs, auch der Blutzoll gerade für die Zivilisten. Im Falle der Ukraine sollten wir uns m.E. ebenfalls nüchtern fragen: Sind es hunderttausende Tote eines anderen Landes (sic!) für uns wert gewesen? Oder werden es weitere Tote wert sein, open ended? Steckt hierin nicht eine völlig ungelöste Gewissensfrage?

Nun hat die Linke bei den Wahlen gerade überraschend viele unter den Jüngeren überzeugt. Das könnte man auf die Naivität der Jugend zurückführen – oder auf ein schlüssiges Bedürfnis nach mehr humanitärer, vielleicht gar humanistischer oder christlicher Orientierung, als Gegenbewegung zu einer seit Jahrzehnten immer kühleren und stärker militärisch durchdachten Außen- und Sicherheitspolitik. Gerne zugegeben: Auch solche Gedanken ließen sich als hoch ideologisch und vorerst unwirklich brandmarken und abtun.

P.S. nur kleine Urlaubsbetrachtungen:

Seit Jahren verbringen wir einige Zeit im Herbst und/oder Winter in Südtirol, gerne etwa in St. Ulrich oder Kastelruth. Die wechselhafte Historie dieser Region bis zurück zu Ettore Tolomei oder gar Andreas Hofer ist uns sehr gut vertraut. Tatsächlich sehen wir die wirtschaftlich sehr erfolgreiche, aber keineswegs spannungsfrei garantierte Südtiroler Kohabitation mehrerer Ethnien nach wie vor als modellhaft auch für die Ost-Ukraine an (die, seltsames Zusammentreffen, sogar nach 1939 als zusammenhängender Siedlungsraum für diejenigen Südtiroler eingeplant war, die im Rahmen der Optionspflicht für Deutschland votiert hatten).

Nun: Bis vor wenigen Jahren zeigten viele Speisekarten (in Südtirol) eine kyrillische Abteilung, und zwar wegen der dynamisch zuwachsenden Urlauber aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion; in den Seilbahnen wurde an Absperrungen auch auf Russisch gewarnt.

Das alles ist heute rückstandsfrei verschwunden, ebenso natürlich wie die dort angesprochenen Gäste. Und am letzten Tag unseres Urlaubs in der vergangenen Woche durften wir in einer sonnigen Mittagspause auf der Seiser Alm erstmals eine Militärmaschine beim Absetzen von ca. 20 Fallschirmjägern bestaunen. Eine schöne neue Welt, die uns – nehmen Sie es bitte nicht übel – allerdings nicht mehr, sondern erschreckend viel weniger Stabilität, Verständnis oder friedliche Koexistenz verheißt. Dies nicht zuletzt wegen einer über Jahrzehnte zunehmend robusten, wenig einfühlsamen eigenen Politikentwicklung, gerne auch auf Kosten Dritter. Es ist dies ein Prozess, den wir als tief ideologisch bedingt und als noch dazu sehr verhängnisvoll ansehen.

 

(2025/26) 6.3.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Politik nach der Wahl; zur parallelen Ankündigung von Sondervermögen für Infrastruktur und für Aufrüstung (Beiträge von Gerhard Voogt „Wüst: Geld soll schnell bei Städten landen“; Tim Szent-Ivanyi „Kann Deutschland neue Schulden überhaupt verkraften?“ sowie „Medizin für Europas kranken Mann“ und Markus Decker „Neue Milliarden für die Bundeswehr“ in der Ausgabe v.6.3.2025, S. 1, 2, 4 u. 5)

Sondervermögen, Wundervermögen? Nette Umschreibung eines gewaltigen neuen Generationenpaktes, bei dem die Anforderungen und Wirkungen alles andere sind als klar und unstreitig. Und alles wirkt auf eine bizarre Weise unernst, auch mangels vorheriger Anhaltspunkte während der Wahlphase. 

Natürlich: Es gibt sehr reale und erlebte Herausforderungen wie die der Umwelt, bei jedem kleinen Waldspaziergang erfahrbar. Oder vom Rotweinwanderweg an der Ahr. Wir sehen und spüren jahrzehntelange Versäumnisse beim Unterhalt der Verkehrsinfrastruktur, dito bei einer verlässlichen Finanzierung der kommunalen Ebene. Aber zur mit Macht wiederentdeckten nationalen Sicherheit: Hunderte von Milliarden hatten wir NATO-Partner in den letzten 30 Jahren in Auslandseinsätze investiert, die überwiegend gescheitert sind, siehe nur Somalia, Afghanistan oder Mali. Und diese Einsätze hatten signifikante Migration getriggert, zuerst vom Balkan, dann aus dem Nahen und Mittleren Osten. Was mir hier nachhaltig fehlt, ist eine nüchterne Bestandsaufnahme und Verhandlung mit den Bürger*innen: Was waren/sind die Ziele, was waren/sind die Kosten und Lasten? Keinen Bedarf habe ich an ratlosen Phrasen wie „Whatever it takes“, was sich von „Viel hilft viel“ nicht unterscheidet. Wir sollten auch nicht aus dem Blick verlieren: Im Rahmen eines Verteidigungsbegriffs, den wir in den Neunziger Jahren räumlich und zeitlich machtvoll ausgedehnt hatten, waren wir nicht die Herausgeforderten, wir waren die Herausforderer.

Wir tragen damit Mitverantwortung für eine heutige globale Instabilität. Wenn wir dies im Zaum halten wollen: Sollten wir dann nicht eher auf Entspannung hinwirken? Eher als auf nach oben offene weitere Spannung, in einem nächsten Eskalationsschritt?

P.S.
Nach meinem Verständnis einer vitalen Demokratie ist die Außen- und Sicherheitspolitik gerade wegen der tiefgreifenden innerstaatlichen Risiken keine Königsdisziplin und sie ist nicht davon befreit, ihre relevanten Strategien mit den Bürger*innen zu verhandeln und zu vereinbaren. Der vor kurzem verstorbene frühere Bundespräsident Horst Köhler hatte eben dies sehr prägnant formuliert, als ausdrücklichen Auftrag an die Abgeordneten und Parteien (Auszug aus der Rede vom 10. Oktober 2005 auf der Kommandeurtagung anlässlich des 50jährigen Bestehens der Bundeswehr:
https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2005/10/20051010_Rede.html):

„VIII. Wenn die Deutschen so wenig vom Ernst des Lebens wissen, auf den die neue Bundeswehr eine Antwort ist, dann werden sie nur schwer einschätzen können, welchen Schutz die neue Sicherheitspolitik verspricht, welche Gefahren sie möglicherweise mit sich bringt, ob der Nutzen die Kosten wert ist und welche politischen Alternativen Deutschland und die Deutschen bei alledem eigentlich haben. Das müssen sie aber einschätzen können, damit sie die nötige demokratische Kontrolle ausüben können, damit sie innerlich gewappnet sind für die kommenden Herausforderungen und damit sie den Dienst ihrer Mitbürger in Uniform zu schätzen wissen und aus Überzeugung hinter ihnen stehen. …“

Die Teilhabe der Bürger*innen etwa an Planungen für einen Anteil der Rüstungskosten an der jeweiligen Wirtschaftsleistung genügt m.E. einem demokratischen Anspruch bisher nicht. Zum 2014er Beschluss betreffend das damalige 2%-Ziel siehe etwa https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2021/heft/6/beitrag/nato-das-2-ziel-im-kontext.html

Eine öffentliche Begründung oder gar Debatte dazu gab und gibt es m.W. bis heute nicht. Der Dialog wäre aber gerade angesichts der Höhe und Verbuchung der debattierten Mittel dringend geboten. Es sind dies Mittel, die auch und gerade als Sondervermögen die langfristige Leistungsfähigkeit des Staates – hinsichtlich dann ggf. gefährdeter weiterer Staatsziele – weitestgehend im Blindflug manipulieren können, zulasten künftiger Wähler*innen und deren Budgethoheit.

 

(2025/25) 6.3.2025
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT am 6.3.2025 =
https://www.zeit.de/leserbriefe/2025/27-februar-2025-ausgabe-nr-9
Politik nach der Wahl; zum Leitthema „Bloß nicht scheitern“ der Ausgabe No. 9 v. 27.2.2025 und zur „Lage der Nation“ im Feuilleton

Bitte, bitte nicht erneut die Drama-Queen, mit dem zagenden Motto „Nicht scheitern!“ Durch breite mediale Dramatisierung haben wir schon die aktuelle Legislatur um die Ecke gebracht, vor ihrer Zeit.

Besser, wir definieren und lösen Sachfragen, etwa eine kluge Anpassung unseres arg zerzausten Geschäftsmodells. Die „Lage der Nation“ im Feuilleton der ZEIT-Ausgabe No. 9 bestärkt mich in der Annahme: Das Schwerpunktthema der 2025er Wahl – eine dämonisierte Einwanderung – ist wenig repräsentativ für die Nation. Und folgerichtig sind es dann auch nicht die neu Erwählten. Angst ist nicht der Schlüssel. Sondern lakonische Zuversicht, so wie sie aus der inspirierenden "Lage der Nation" spricht.

 

(2025/24) 18.2.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Friedenstruppen für die Ukraine; zur Berichterstattung u. Kommentierung zu etwaigen Friedenstruppen für die Ukraine in der Ausgabe v. 18.2.2025 (Sven Christian Schulz „Scholz bremst bei Friedenstruppen“ und „USA suchen bereits eine Friedenstruppe“; Leitartikel von Ludwig Greven „Mit US-Hilfe ist nicht mehr zu rechnen“, Stadt-Anzeiger S. 1, 2 u. 4) der nachfolgende Leserbrief:

Völlig richtig: Die Geschicke unseres Kontinents sollten wir endlich selbst in die Hand nehmen, mit Verteidigung nach eigenem Maß ebenso wie mit initiativer Diplomatie. Das heißt aber nicht, sich bei der Forderung nach Friedenstruppen schnell in die hinteren Reihen zu verflüchtigen, nach bester TTV-Manier. Der Konflikt hatte schon viel zu lange den strengen Geruch des Trittbrettfahrens, einer Stellvertreter-Rolle der Ukraine für die Interessen der westlicheren Staaten des Kontinents: Wir waren gerne mit der Haut anderer mutig; eigene Verluste waren nicht zu besorgen, gerade nicht für Wahlen.

Wenn wir nun im Sinne der Menschenrechte unterwegs sein wollen, und zwar vor Ort: Dann helfen wir unverzüglich, diese Blutpumpe mit heute bereits mehr als 100.000 – fremden! – Opfern dauerhaft zu stoppen. So etwas wie „Lieber tot als rot!“, das rufen typischerweise schlaue Menschen, die in Sicherheit sind. Oder in der Etappe.

Angenehmer Nebeneffekt: Es könnte nun die erste deutschen Kabinettsentscheidung für einen Auslandseinsatz werden, die vom gesamten Parlament unisono mitgetragen wird. Und dass nun ein Trump-Telefonat eine weitere Zeitenwende ausgelöst hat: Das sollte nicht stören, wenn wir humanitär vorankommen wollen. Gönnen wir's ihm und machen's künftig selbst.

P.S. zu TTV:
"Tarnen, täuschen und verpissen", die Basis-Lerneinheit während der Grundausbildung, anderenorts auch mit dem "Ohnemichel" umschrieben

 

(2025/23) 17.2.2025
Frankfurter Allgemeine
Trumps Ukraine-Initiative; Leitglossen „Trumps Paukenschläge“ von Berthold Kohler und „Ungefilterter Trumpismus“ von Nikolas Busse in den Ausgaben v. 14. und 15.2.2025

Meine Einschätzung nach der nunmehrigen Münchner Zeitenwende: Wenn Rüstung defensiv ist, dann wird sie auf signifikante Perspektiven für Entspannung in Osteuropa reagieren müssen. Wenn Rüstung gar nicht oder gar mit einem vierschrötigen „Jetzt erst recht!“ reagiert, dann gewinnt das paranoide Narrativ Übermacht und wird selbst zur tödlichen Bedrohung.

Das erste aber sollte für jede fühlende Seele ein Stopp der fremden Blutpumpe im Donbass sein. Wie kann es weitergehen? Zunächst die Geldfrage: NATO-bedingte Zahlungen auf einen plakativen Prozentwert – nein. Das hatte selbst Marie-Agnes Strack-Zimmermann jüngst noch in einen Zusammenhang mit Eigeninteressen der US-Rüstungsindustrie gerückt und Schutzgeld nährt halt keine Freundschaft. Aber Kostenbeteiligung gegen transparente Rechnung – das ist nur fair: Für Stationierung, für atomare Vorhaltekosten, gerne auch mit einem ergänzenden Beitrag für deeskalierende Konversion. Mittelfristig müssen unsere Ressourcen dann in diejenige bevorzugt europäisch beigestellte Verteidigung fließen, die wir uns leisten müssen und leisten wollen. Die konsequente Entsprechung zu „America First“ heißt „Europe First“. Ein offenes Geheimnis dabei: Es sind bereits sehr viele Euro im System und viel zu viele, nahe bei Prozentpunkten der Wirtschaftsleistung, werden für nationale Egoismen verschleudert.

Ein attraktives und noch dazu humanes Leitbild einer weiteren Zeitenwende wäre eine Ukraine nicht als Frontstaat, Wehr-Burg oder dead-end-street, sondern als vitale Schnittstelle für Kultur, Handel und Tourismus, ähnlich wie Südtirol, das auch einmal extrem blutig von erbitterten Patrioten umkämpft war. Ganz im Sinne von Immanuel Kant sollten die Bürger Europas in diesem Prozess in der ersten Reihe sitzen: Qua eigener Betroffenheit müsse, so sagt Kant, das Volk einen natürlicherweise dämpfenden Einfluss auf Rüstung und Kriegshändel nehmen. Und bei Handlungen mit Bezug auf die Rechte anderer Menschen sei Recht ohnehin nur dasjenige, was publik sei.

Quellen:

Zitat Marie-Agnes Strack-Zimmermann,
lt. Kölner Stadt-Anzeiger v. 9.1.2025, S. 2: „Trump erhofft sich, dass der erhöhte finanzielle Einsatz der europäischen Partner vor allem besonders der US-Industrie zugutekommt.“ (i.R. des Artikels v. Sven Christian Schulz „Niemand weiß mehr über die NATO als ich“ [Zitat Trump])

Kant-Bezüge:
„Zum ewigen Frieden“, im Original der ersten Auflage Königsberg 1795 auf S. 22, 23: „Wenn, wie es in dieser Verfassung nicht anders seyn kann, die Beystimmung der Bürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg seyn solle, oder nicht, …, sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen: …“ und S. 93: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind unrecht.“ In der leichter greifbaren Reclam-Ausgabe, die die zweite Auflage a.d.J. 1796 zugrunde legt (Reclam Universal-Bibliothek Nr. 1501), finden sich die entsprechenden Passagen auf den S. 12f u. 50.

Anm. wg. Südtirol:
Südtirol und die Ukraine haben einen sehr interessanten historischen Bezug. Tatsächlich waren die (heutige) Ost- und Südukraine und insbesondere die Krim bereits als zusammenhängender Siedlungsraum für diejenigen Südtiroler Familien in den Blick genommen, die i.R. des berüchtigten 1939er Options-Verfahrens für die deutsche Kultur und für „Heim ins Reich!“ gestimmt hatten. Die deutsche Besatzung hatte dort auch bereits durch großmaßstäbige Vertreibung und Vernichtung etwa unter den Krim-Tataren „Quartier gemacht“. Zum Glück hat der weitere Kriegsverlauf die schon vorgesehene Umsiedlung verhindert; sonst wäre Südtirol heute halt auch nicht Südtirol.

 

(2025/22) 16.2.2025
DER SPIEGEL
Ukraine; Christof Gunkel und Katja Iken „Sag mir, wo die Demos sind“ (Ausgabe No. 8 v. 15.2.2025, S. 32ff)

Es braucht wohl gerade mal keine Demos. Jetzt, da die USA ihre Skizze der neuen Ukraine festgeschrieben haben: Krim und Donezk-Region russisch, keine Waffenhilfen mehr und auch kein US-Peacekeeping.

Welches Pech für die NATO: Nach 1990 plötzlich ohne Endgegner und gleich hochflexibel umgestellt auf räumlich und zeitlich erweiterte Verteidigung – out-of-area und präventiv. Dabei aber überwiegend erfolglos geblieben, jedenfalls zu teuer und mit hässlichen Kollateral-Schäden. Dann zur Abwechslung wieder dem altbösen Feind auf die Pelle gerückt, gleichzeitig zur Waffendrehscheibe mutiert. Und nun Frust und déjà-vue: Im Osten erneut abruptes Tauwetter.

Vermutlich könnte man nun höchstens noch pro NATO demonstrieren. Das wäre sogar in mehrfacher Dimension schlüssig: NATO-Einsatz vom Nordatlantik bis zum schmelzenden Pol!

P.S.

Während des oben beschriebenen Mittelstücks (= NATO-Phase „out of area“) hatte die Presse teils erstaunlich sekundiert, etwa mit dem wirkmächtigen SPIEGEL-Titel Nr. 47 v. 19.11.2006 „Die Deutschen müssen das Töten lernen“ = https://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2006-47.html. Der Aufmacher war zwar ein Zitat, wurde aber im begleitenden Bericht von Konstantin von Hammerstein et al. mit genüsslicher Häme für die Bundeswehr unterstützt. Kaltblütige letale Fähigkeiten hat die Bundeswehr dann etwa am 4.9.2009 bewiesen, bei der an einen monströsen Molotow-Cocktail erinnernden – und wohl exakt so gemeinten – Attacke auf zwei Tanklaster in einer Kundus-Furt. 

Was ich gerne deutlich machen möchte: Die Auslandseinsätze wurden von einer sehr breiten gesellschaftlichen und medialen Strömung mitgetragen – und auch damals schon wirkte (Friedens-) Opposition sehr isolierend, z.B. im Falle der Margot Käßmann (deutlich weniger bei Harald Kujat, der sich zu ISAF ebenfalls sehr kritisch geäußert hatte). Und trotz überwiegend defizitärer oder ganz fehlender Zielerfüllung der Auslandseinsätze und trotz hunderttausendfacher Traumata kam eine systematische politische und/oder wissenschaftliche Aufarbeitung nie in Gang, hier einmal abgesehen von sehr begrenzten (zu) offensichtlichen Fehlentwicklungen wie anlässlich der sehr unrühmlichen ISAF-Abzugsphase. Oder: This goes mostly without saying.

M.E. haben hier auch die für eine ethische Einordnung besonders qualifizierten kirchlichen / religiösen / weltanschaulichen Institutionen versagt. Dies quasi im Fortsetzungszusammenhang dann erneut bei dem tiefen Dilemma, das aus einer unerträglichen Opferzahl in der gesamten Ukraine und unserem ganz unverhohlen geäußerten Interesse an einem Stellvertreter- bzw. Abnutzungskrieg resultiert: Wir sind für eigene Zwecke zu gerne mit der Haut anderer mutig, dies selbst bei eigenen historischen Verursachungsanteilen.

P.P.S.

Danke für den Anklang an Pete Seeger („Where have all the flowers gone = https://www.youtube.com/watch?v=T1tqtvxG8O4). Im gemeinschaftlichen Bewusstsein fehlt er m.E. tatsächlich ebenso wie z.B. Donovan’s „Universal soldier“ = https://www.youtube.com/watch?v=jBF3K1J9wHI oder Dylan’sBlowing in the wind“ = https://www.youtube.com/watch?v=cQBVgtcR2rM. Aus den Ohren, aus dem Sinn. Andere Zeit.

 

(2025/21) 15.2.2025
DIE WELT
Ukraine; Jacques Schusters Kommentar „Albtraum der Allianzen“ in der Ausgabe v. 14.2.2025, S. 1

Werden die Europäer nun mit vollen Händen aufrüsten? Etwas sollten wir noch zuwarten.

Als erstes sollten wir den Albtraum aus dem Blut anderer enden lassen. Nach heutigem Stand sind bereits ca. 130.000 Tote zu beklagen, davon etwa 10% Zivilisten aller Altersstufen. Das Schweigen der Waffen sollte dann, gerade wenn man den Konflikt auch als Stellvertreter- oder Abnutzungskrieg in unserem strategischen Interesse gesehen hat, künftig unser Gewissen entlasten.

Als nächstes müssen wir unverzüglich eine zukunftsweisende europäische Sicherheitsarchitektur angehen. Und zwar nicht gegründet auf mehr Raketenbündel mit Haartriggern. Sondern auf höchst brisante, gemeinsame und sehr aktuelle Interessen, zuallererst das kooperative Bekämpfen des gewaltbereiten Islamismus. Und erneut solltenn wir auf Handel, Wandel und zivile Begegnung bauen. Das wird dauern und muss neue Provokationen überstehen.

Aber bitte: Das alles wirklich mit diesen strafwürdigen Unmenschen? Nun: Vergessen wir nicht die erste europäische Hauptstadt, die wir nach 1945 bombardiert haben, dabei sehr gezielt die zivile Infrastruktur und mit Hunderten von zivilen Toten: Belgrad i.J. 1999. Wir Deutsche waren auch vor 1945 dort gewesen, mit viel Gewalt.

Quellen zu Casualties etwa:

https://www.deutschlandfunk.de/wie-viele-tote-und-verwundete-gibt-es-im-ukraine-krieg-102.html

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/

Anm.:
Mein Vater ist im September 1944 vor Belgrad schwer verletzt worden. 

Weitere Anm.:
Im Rahmen der NATO-Operation (sic!) OAF wurde am 7. Mai 1999 die Botschaft der VR China in Belgrad mit bunkerbrechenden Geschossen angegriffen und in wesentlichen Teilen zerstört - dies zumindest grob fahrlässig. Als Erklärung dienten damals "veraltete Karten des CIA". Die disruptiven und weiterwirkenden Folgen dieses sog. "Unfalls" für die heutige Weltordnung sind nur sehr schwer zu überschätzen.

 

(2025/20) 12.2.2025
DIE ZEIT, veröffentlicht am 13.2.2025 im Internet-Angebot der ZEIT =
https://www.zeit.de/administratives/series/2025-02/6-februar-2025-ausgabe-nr-6
Eliten; Interview von Johanna Jürgens und Roman Pletter mit Bill Gates („Trump gab mir seine Nummer. Ich werde anrufen, wenn ich verhindern kann, dass Millionen sterben“) in der Ausgabe No. 6 v. 6.2.2025, S. 19f

Dank und Anerkennung für das sehr beeindruckende Interview mit Bill Gates. Es gewährt tiefe Einblicke in den Maschinenraum unserer Technik-Kulturen, in unsere Anreiz- und Belohnungsmechanismen. Wenn Bill Gates über Anzeichen eines Asperger-Syndroms spricht, dann offenbar auch über Gemeinsamkeiten mit Elon Musk und weiteren Techno-Gurus. Gerade der Nerd und die Nähe zu den MINT-Disziplinen werden in unserer Zivilisation wirtschaftlich und politisch besonders honoriert; die Wertschätzung steckt schon in unseren Lehrplänen und Auswahlmechanismen. Dies spätestens, seit der US-Amerikanische Eisenbahnmagnat Leland Stanford einen Test in Auftrag gab, um seine Rekrutierung zu rationalisieren und zu optimieren. Logischerweise steckten in einem nach seinem Tod an der von ihm gestifteten Stanford-Universität fertiggestellten Werkzeug, das als Stanford-Binet Ahnherr der meisten folgenden IQ-Tests werden sollte, viele Dampfkessel, Pleuel, Tabellen und die unter Beweis zu stellende Befähigung zu hochverlässlicher Analyse – deterministisch, vektor-haft, eindimensional, kaltblütig, anorganisch.

Immerhin zeigt das Interview am Beispiel von Gates und Musk, wie sehr ähnliche Sonder-Begabungen und das grundlegende Talent zur Disruption von unterschiedlichen Graden humaner Ziele reguliert sein können. Im Falle von Bill Gates ist dies offenbar deutlich empathischer verknüpft als bei Elon Musk, vermutlich bedingt durch positive familiäre Prägungen. Umso tragischer, wenn Bill Gates‘ menschennahe Zielstellungen – etwa: Impfprogramme aufrechtzuerhalten – von einer kalten Politik überholt werden: Dass Gates Trumps Nummer hat, das wird kalkulierbare tödliche Erkrankungen von Millionen heute kaum noch verhindern können.

P.S.
Vermutlich muss man in der Geschichte nicht weit zurückgehen, um sehr ähnliche Strukturen und Persönlichkeiten zu finden. Henry Ford, der damals reichste Mann der Welt, dürfte einen ähnlich technokratischen (und von
manichäischen Feindbildern geprägten) Blick auf die Welt gehabt haben wie Elon Musk, ebenso der Flugzeug-Pionier Charles Lindbergh, beides prominente Exponenten der damaligen "America-First“-Bewegung". Möglicherweise traf das auch auf Adolf Hitler zu, dem der Psychologe Koch-Hillebrecht in seiner ausführlich belegten Analyse „Homo Hitler“ eine ausgeprägt eidetische und technische Begabung und eine „Kalter-Fisch“-Persönlichkeit zuschreibt, beides übrigens gleichermaßen  einem Zeitgenossen und profilierten Gegner Hitlers: Thomas Mann. Zu Leland Stanford ist noch anzufügen, dass auch er gemeinhin zu den „robber barons“ bzw. „Räuberbaronen“ der frühen Industrialisierung gezählt wird, die Joseph Biden in seiner kürzlichen farewell address bzw. Abschiedsrede warnend angesprochen hatte (siehe etwa https://www.nytimes.com/2025/01/15/us/politics/full-transcript-of-president-bidens-farewell-address.html).

 

(2025/19) 12.2.2025
RGA / Bergischer Volksbote
Kommunalwahlen 2025; Bericht von Wolfgang Weitzdörfer über den SPD-Bürgertreff in der
Montanusstraße
'„Was lange währt, wird endlich gut“ Das bietet der neue Bürgertreff der SPD' (Ausgabe v. 8.2.2025, S. 23)

Der eigene Bürgermeister-Kandidat der SPD für die Kommunalwahl am 14. September ist Gold wert. Politische Artenvielfalt ist fast so wichtig wie Biodiversität. Und wählen können nach Definition immer nur die, die eine Wahl haben.

Das sage ich, auch wenn ich den amtierenden Dirk Runge für einen befähigten Bürgermeister halte, in der Sache ebenso wie in der Form. Aber auch der Amtsinhaber wird durch einen Herausforderer Ralph Liebig nun zu mehr Profilierung und Rechenschaft gedrängt, also zu allerbestem demokratischem Wettbewerb.

 

(2025/18) 7.2.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Gaza; Berichterstattung u. Kommentierung von Trumps Idee einer künftigen Nutzung des Gaza-Streifens in der Ausgabe v. 6.2. 2025 („Empörung über ‚Riviera‘-Plan für Gaza“ auf S. 1; Karl Doemens Bericht “Trump will Gaza-Streifen zur ‚Riviera‘ machen“ auf S. 2; Matthias Kochs Leitartikel „Trumps Traum von Mar-a-Gaza“ auf S. 4)

Sehr richtig, Trumps Gaza-Plan passt perfekt zu einem Immobilien-Mogul: Zuerst entwohnen bzw. gentrifizieren, dann planieren und mit völlig neu aufgebauter Nutzung groß absahnen. Das Projekt hat denn auch viel von der „schöpferischen Zerstörung“, die selbst ihr Erforscher, der österreichisch-amerikanische Nationalökonom Joseph Schumpeter, als kritisch und gerade als nicht nachhaltig ansah.

Und höchst wichtig ist Matthias Kochs Erinnerung an düsterste Kapitel der Weltgeschichte. Der sehr hellsichtige Jehuda (Martin) Bauer hat 1994 das zunächst sehr irritierende Buch „Jews for Sale? Nazi-Jewish Negotiations 1933-1945“ veröffentlicht. Es dokumentiert u.a. einen frühen Eichmann mit fast abenteuerlichen Versuchen, jüdische Mitbürger nach Kräften außer Landes zu bringen, etwa unter Umgehung von Devisenvorschriften. Dieser Eichmann, an dem Hannah Arendt 1961 „die Banalität des Bösen“ identifizierte, der hatte mangels größerer Erfolge seiner Vertreibungsprojekte am Ende kaltblütig die „Endlösung“ ersonnen und organisiert. Und genau das sollte man bei erklärten Technokraten nie ausschließen, zumindest nicht die inhumanen Umstände und die zu erwartenden humanitären Verluste bei einer Umsiedlung im industriellen Maßstab.

Dies einmal völlig abgesehen von den Zehntausenden tickender Zeitbomben, die ein so fröhliches Projekt wie „Mar-a-Gaza“ unweigerlich unter jungen Männern generiert.

Quelle:
Jews for sale? Nazi-Jewish Negotiations, 1933–1945. Yale University Press, New Haven 1994,
ISBN 0-300-05913-2

 

(2025/17) 6.2.2025
Süddeutsche Zeitung
Gaza; zu Donald Trumps disruptiven Plänen für eine „Riviera des Nahen Ostens“, speziell zu Bernd Dörries‘ Bericht „Arabische Welt empört über Trumps Pläne“, Peter Burghardts „Die Welt als Immobilie“, Tomas Avenarius‘ Kommentar „Nicht vermittelbar“ und Peter Richters „Der 51. Bundesstaat der USA“ (Ausgabe v. 6.2.2025, S. 1, 2, 4 u. 9)

Die zentrale Titelzeile auf S. 1 – „Arabische Welt empört über Trumps Pläne“ – könnte man noch ein wenig apologetisch deuten: Na klar, diese Araber sind halt immer leicht aufgebracht und jetzt eben auch über „The Donald“. Aber im weiteren Verlauf der SZ vom 6. Februar wird die Sprache zu Recht und zum Glück generalpräventiver: Wir alle sind dadurch tief betroffen. Unsere mühsam erarbeitete Modellierung einer nahen und mittleren Zukunft läuft heiß. Es riecht plötzlich wieder wie am Klondike: Wer schnell und ruchlos zugreift, der hat am Ende die meisten und größten Nuggets. Sheriffs oder Marshalls sind nicht in Sicht und sind auch gar nicht gefragt.

Insgesamt wirkt der Plan wie geschaffen für ein Sequel zu Nine-Eleven: Wir führen nun die Palästinenser ab, aus einem ausgebombten Ghetto an der Küste in ein bombensicheres Ghetto in der Wüste, wo nicht Milch, nicht Honig fließen. Und die reichen und schönen und alten Trump- und Netanjahu-Wähler*innen, die sonnen sich in der ersten Reihe am Mittelmeer. On the beach, gesichert durch Ledernacken, querfinanziert durch eine reflexhafte Wiederaufbauhilfe der EU und durch anschwellende Waffenkäufe. Nach Nine-Eleven folgt dann bald Nine-Twelve. Und immer so weiter.

Ist das denn auch nur schlau? Nun: Vielleicht doch, wenn man so gerne – überall – planiert und neu baut.

P.S.:

Anm.: In seriöseren Zeitaltern hätte man einen solchen Mann längst dauerhaft untergebracht, vielleicht mit zehn jungen Frauen und reichlich Bier auf einem Atoll mitten im Pazifik. Ich weiß: Er will nur dealen. Aber er spielt mit dem Schicksal von Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen – und eben mit dem Risiko von ubiquitären Neuauflagen von Nine-Eleven. Pardon wegen der zehn Frauen; es sollte hier nur der besseren Anschaulichkeit dienen 😉

„On the beach“: siehe Nevil Shute’s dystopischen Roman und sein Titel-Zitat aus T.S. Eliot’s „The Hollow Men“

 

(2025/16) 4.2.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Tod von Horst Köhler; Ulrich Steinkohls Beitrag „Ein Staatsmann und unbequemer Optimist“ (Ausgabe v. 3.2.2025, S. 2)

Die harsche mediale Kritik, die im Jahre 2010 zu Horst Köhlers Rücktritt geführt hatte, war ebenso distanzlos wie unbegründet; leider hatte es damals zudem an beherzter politischer Rückendeckung gefehlt. Köhler hatte ebenso wie andere offizielle Stellen die ISAF-Mission niemals mit Handel begründet, wohl aber mit humanitären Zielen und Bündnissolidarität. Und tatsächlich hatten bereits Lothar Rühes Verteidigungspolitische Richtlinien vom 26. November 1992 – und seitdem durchgängig alle folgenden Richtlinien, Weißbücher und Sicherheitsstrategien – den auswärtigen Handel als vitales deutsches Sicherheitsinteresse definiert, völlig unbeanstandet auch durch das Verfassungsgericht. Was Köhler dazu allgemein gesagt hatte, entsprach und entspricht ganz nüchtern dem Stand der Technik.

Wichtiger aber: Köhlers Rede am 10. Oktober 2005 auf der Kommandeurtagung anlässlich des 50jährigen Bestehens der Bundeswehr zählt zum Bedenkenswertesten, was je zu einem von der Politik geschuldeten Dialog zwischen „Bürger“ und „Uniform“ geschrieben und gesagt wurde. Hätte man auf ihn gehört und hätte man die Bundeswehr in folgenden Wahlkämpfen nicht sogar bewusst ausgeklammert, wie etwa bei der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag, wir hätten heute eine klare und wesentlich verlässlichere Basis in der Bevölkerung. Und man hätte diesen wirklich ehrenhaften und verdienten Präsidenten i.J. 2010 nicht aus dem Amt drängen können, mit an den Haaren herbeigezogenen Unterstellungen.

Quellen, wie oben zitiert:

Verteidigungspolitische Richtlinien v. 26.11.1992 (Amtsinhaber: Lothar Rühe):
https://www.vo2s.de/mi_vpr-1992.pdf

Rede vom 10.10.2005, auf der Kommandeurtagung anlässlich des 50jährigen Bestehens der Bundeswehr:
https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2005/10/20051010_Rede.html 
Auszug: „VIII. Wenn die Deutschen so wenig vom Ernst des Lebens wissen, auf den die neue Bundeswehr eine Antwort ist, dann werden sie nur schwer einschätzen können, welchen Schutz die neue Sicherheitspolitik verspricht, welche Gefahren sie möglicherweise mit sich bringt, ob der Nutzen die Kosten wert ist und welche politischen Alternativen Deutschland und die Deutschen bei alledem eigentlich haben. Das müssen sie aber einschätzen können, damit sie die nötige demokratische Kontrolle ausüben können, damit sie innerlich gewappnet sind für die kommenden Herausforderungen und damit sie den Dienst ihrer Mitbürger in Uniform zu schätzen wissen und aus Überzeugung hinter ihnen stehen. …“

2013er Lob des amtierenden CDU-Verteidigungsministers Lothar de Maizières für den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück („Sicherheitspolitik aus Wahlkampf heraushalten“):
https://www.presseportal.de/pm/55903/2468313

 

(2025/15) 4.2.2025
Frankfurter Allgemeine
Tod von Horst Köhler; Eckart Lohses Beitrag „Ein weitsichtiger Präsident“ (Frankfurter Allgemeine v. 3.2.2025, S. 8)

Als beispielhaft unter sehr vielen weitsichtigen und zum Nachdenken anstiftenden Worten Horst Köhlers zitiere ich hier meine Lieblingsstelle; ich werde sie ständig mit ihm verbinden, weil sie so unerhört ist, will sagen: solange sie unerhört bleibt:

„VIII. Wenn die Deutschen so wenig vom Ernst des Lebens wissen, auf den die neue Bundeswehr eine Antwort ist, dann werden sie nur schwer einschätzen können, welchen Schutz die neue Sicherheitspolitik verspricht, welche Gefahren sie möglicherweise mit sich bringt, ob der Nutzen die Kosten wert ist und welche politischen Alternativen Deutschland und die Deutschen bei alledem eigentlich haben. Das müssen sie aber einschätzen können, damit sie die nötige demokratische Kontrolle ausüben können, damit sie innerlich gewappnet sind für die kommenden Herausforderungen und damit sie den Dienst ihrer Mitbürger in Uniform zu schätzen wissen und aus Überzeugung hinter ihnen stehen. …“

Dies ist der Kern der Rede Köhlers am 10. Oktober 2005, auf der Kommandeurtagung zum 50-Jährigen der Bundeswehr. Das Unerhörte ist die von Köhler daraus abgeleitete Forderung – eine breite gesellschaftliche Debatte, mit klaren Aussagen zu Herausforderungen, Bedrohungen, Risiken, Ressourcen und Fähigkeiten (auch) der Bundeswehr. Und zwar: angestoßen von Parlament, Regierung und Parteien! Diese demokratische Selbstvergewisserung und Vereinbarung fehlt bis heute. Und sie wäre doch so nötig, wenn die NATO nun eine fordernde Rechnung über 2, 3, 4 oder 5 Prozent unserer Wirtschaftsleistung aufmacht. 

Leider ist die Politik nach Köhlers Rede eher weiter getrennt vom Volk marschiert. Etwa als im Vorfeld der Wahlen zum 17. Deutschen Bundestag der amtierende CDU-Verteidigungsminister Lothar de Maizière den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ausdrücklich dafür gelobt hatte, die Sicherheitspolitik, und zwar die Auslandseinsätze ebenso wie die damalige Neuausrichtung der Bundeswehr (sic!) aus dem Wahlkampf heraushalten zu wollen.

Wir werden diese Fragen in unserem heute besonders kurzatmigen und lärmenden Wahlkampf nicht lösen können. Aber wer immer Einfluss auf die kommende Legislaturperioden-Vereinbarung haben wird, er sollte Köhlers Vermächtnis ganz oben auf die Tagesordnung setzen. Verteidigung geht nach aller Erfahrung eben nur mit dem Volk, siehe oben. 

Nur kurz zur Ehrenrettung Horst Köhlers wegen des undistanzierten Vorwurfs der Kriegstreiberei, der zu seinem Rücktritt geführt hatte, dies auch mangels beherzter politischer Rückendeckung: Bereits die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 hatten als ein „vitales deutsches Sicherheitsinteresse“ wörtlich das „Aufrechterhalten des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung“ definiert. Genau das war und ist in allen folgenden Richtlinien, Weißbüchern und Sicherheitsstrategien der Stand der Technik, unbeanstandet auch vom Verfassungsgericht. Etwas anderes hat ein loyaler, dabei aber immer nachdenklicher und weitsichtiger Bundespräsident Köhler meines Wissens nie gefordert.

Quellen, wie oben zitiert:

Rede vom 10.10.2005, auf der Kommandeurtagung anlässlich des 50jährigen Bestehens der Bundeswehr:
https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Horst-Koehler/Reden/2005/10/20051010_Rede.html  

PM zu dem o.g. Lob de Maizières für Steinbrück („Sicherheitspolitik aus Wahlkampf heraushalten“:
https://www.presseportal.de/pm/55903/2468313

Verteidigungspolitische Richtlinien v. 26.11.1992 (damaliger Amtsinhaber: Lothar Rühe):
https://www.vo2s.de/mi_vpr-1992.pdf

 

(2025/14) 2.2.2025
RGA / Volksbote
Kommunalwahl 2025; Bericht von Anja Siebel vom 24.1.2025 bzgl. der Kandidatur von Herrn Liebig („SPD Burscheid stellt Ralph Liebig als Bürgermeister-Kandidaten auf“)

Das ist eine sehr gute Nachricht für unsere lokale Demokratie: Die Burscheider SPD wird sich bei der Kommunalwahl am 14. September nun mit einem eigenen Kandidaten profilieren. Danke! Denn gerade junge Wählerinnen und Wähler könnte es sonst abstoßen, könnte es gar an die DDR erinnern, wenn sie hier nur mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen dürften. Das hätte ein strenges Geschmäckle – wie vorfabriziert und abgekartet.

Sicher wird es für Ralph Liebig kein Selbstläufer. Die beiden christdemokratischen Fraktionen hatten sich bereits für den gut eingeführten Amtsinhaber Dirk Runge ausgesprochen und sie repräsentieren mit ihren immerhin 25 von 40 Rats-Sitzen zusammen mehr als 60% der Bürgerschaft. Aber vielleicht wird sich die sehr begrüßenswerte SPD-Initiative am Ende zumindest mit einer künftig wachsenden Rats-Fraktion auszahlen.

 

(2025/13) 1.2.2025
BILD
Asyldebatte; zur Titelzeile „Bundestags-Wahnsinn!“ und Kommentar “Rot-Grün ist Wahlkampf wichtiger als Bürgerwille“ (Ausgabe v. 1.2.2025, S. 1 u. 2)

Parlament stimmt gegen Bürger-Mehrheit? So geschehen auch etwa im April und Juli 1993 zum Bundeswehr-Einsatz in Somalia, einem der ersten Auslandseinsätze. Und dann ebenso weit überwiegend in der Folge. Gutes Volk – schlechtes Volk?

Quellen zum Somalia-Einsatz etwa:
https://dserver.bundestag.de/btp/12/12151.pdf#P.12925 zur Sitzung 12/151 v. 21.4.1993
https://dserver.bundestag.de/btp/12/12169.pdf#P.14579 zur Sitzung 12/169 v. 2.7.1993

Anm.:
Vermutlich hatte das Volk jedenfalls zu UNOSOM II das deutlich bessere Gespür:
Die Mission musste damals sehr bald abgebrochen werden, das Verlegen der Truppenteile geriet bei dieser Mission ähnlich chaotisch und unter Stress wie nach der abrupten Beendigung des ISAF-Einsatzes in Afghanistan (zu ISAF siehe Unterrichtung v. 27.1.2025 zu den Ergebnissenn der Enquete-Kommission:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/145/2014500.pdf).
Und der allererste offizielle „collateral damage“ bzw. das erste zivile Opfer eines Auslandseinsatzes wurde bereits für UNOSOM II dokumentiert, des jungen Somali Farah Abdullah, siehe
https://dserver.bundestag.de/btd/12/069/1206989.pdf auf parlamentarische Anfrage der damals oppositionellen Fraktion der Bündnis-Grünen. An die Familie des Opfers wurde damals zur Streitbeilegung das traditionelle „Blutgeld“ entrichtet, wie in der Folge auch in vielen Fällen in Afghanistan, z.B. nach der Bombardierung von zwei Tanklastern in einer Kundus-Furt am 4.9.2009, siehe zu diesem Luftschlag https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_bei_Kundus

 

(2025/12) 28.1.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Bundestagswahl 2025; KStA-Initiative „Spitzenpolitiker stellen sich Ihren Fragen“ (Ausgabe v. 27.1.2025, S. 3); Fragen an die Herren Scholz, Wüst, Habeck und Lindner

Problembeschreibung:
Viele Kommunen im Bergischen Land leiden unter einer extrem volatilen Haushaltssituation. Meine eigene Stadt (Burscheid) war bereits über Jahrzehnte „Opferstockgemeinde“ mit einem bewirtschafteten Haushalt, ohne Planungsspielraum bei den sog. freiwilligen Aufgaben. Der aktuelle Trend bei Einnahmen und Ausgaben zeigt bereits wieder signifikant in eben diese Richtung. Inzwischen gibt es auch noch einen Unterbietungswettbewerb benachbarter Kommunen bei den Steuersätzen (Monheim, Leverkusen), der die Problemlage weiter verschärfen und verfestigen wird.

Frage:
Welche strategischen Maßnahmen hat Ihre Partei in der nun ablaufenden Legislaturperiode ergriffen, die zur Resilienz kommunaler Finanzen wirksam beigetragen hat – und insbesondere welche Initiativen haben Sie in Ihr Arbeitsprogramm für die kommende LP aufgenommen, etwa zu einer besser ausgewogenen Verteilung der verschiedenen Steuerarten?

Anm.: Ich sehe die kommunale Ebene unbeirrt als die personelle wie materielle Basis des Gesamtstaats an – und die realen und in der Fläche fair verteilten Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger als wesentlichen Garanten für eine gesamtstaatlich nachhaltig verlässliche Politik. Im umgekehrten Fall: als einen wirkmächtigen Trigger für politische Instabilität.

 

(2025/11) 27.1.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Gaza; Bericht und Titelthema „Trump erwägt Umsiedlung von Palästinensern“ (Ausgabe v. 27.1.2025, S. 1)

Trump bleibt sehr berechenbar – ein Mann, der Immobilien in Bewegung setzen kann. Sein Projekt „Gaza streichen“ hat mehr als dual use. The Donald hatte ja bereits vorher von diesem unverbaubaren Seeblick geschwärmt. Dazu kommt – und ganz sicher wird es das historisch vielfach belegte Konfliktpotential mindern – ein Minus bei Komplexität und ein klares Plus bei Sicherheit, durch eine robuste ethnische Bereinigung. Ägypten und Jordanien mögen sich derweil für Millionen neue Feuerköpfe bedanken. Und die Siedler für ein genuine ethnic settlement.

Jedenfalls der triste Eindruck eines zu Krümeln gebombten Ghettos, der lässt sich durch einen von Grund auf frischen Anstrich schnell zerstreuen. Open the doors for a brand new Trump Show! Und Bibi darf seinen Lebensabend in einem Penthouse an der Seafront verbringen. On the promised land, single-stated. Schöne neue Welt. Ich weiß: Er will doch nur dealen.

 

(2025/10) 25.1.2025
DIE ZEIT, veröffentlicht am 30.1.2025 im Internet-Angebot der ZEIT =
https://www.zeit.de/leserbriefe/2025/23-januar-2025-ausgabe-nr-4
US-Wahl und Folgen; Jörg Lau: „Nimmersatt“ (Ausgabe No. 4 v. 23.1.2025, S. 5)

Man ist versucht, den so unästhetischen Eindruck abzuspalten: Trump – das ist doch nur eine Farce, eine Fratze, eine Episode, jedenfalls für uns nicht repräsentativ. Aber nach allen Umständen wäre das eine fromme und bequeme Selbsttäuschung. Denn Trump – das ist der Westen, das ist ganz offen Techno- und Meritokratie und das sind auch wir. Nur halt in einem Bild wie in dem eines weit fortgeschrittenen Dorian Gray. Schon lange in argen Wettbewerb geraten, versucht „The Donald“ Ressourcen zu maximieren, Meinungsbildung zu streamlinen, gleichzeitig Menschenmengen und Konkurrenz en gros loszuwerden: Wert gegen Werte.

Klein und gemein und für einen guten Schnitt – das können wir schon lange. Wie just im Ländle, wo die Grünen (sic!) die Rüstung als Innovations- und Wachstumsmotor entdecken, für eine schwächelnde Auto-Industrie. Dazu würden einlullende Wahl-Botschaften passen: Gegen China abgeschirmter Arbeitsplatz, gegen Russland gesichertes Häusle. Und eben ein gegen Konkurrenz gehärteter Schnitt, der wegen der besonders hohen Wertschöpfung in der Rüstung voraussichtlich sogar per saldo Arbeitsplätze kosten würde.

Quellen zum zweiten Abs.:

Roland Muschel, Süddeutsche v. 21.1.2025, S. 1: „Panzer statt Porsche“
https://www.sueddeutsche.de/politik/baden-wuerttemberg-gruene-verteidigungsindustrie-wachstumsmotor-li.3183094

Zur negativen Arbeitsplatzbilanz bei Stärkung der Rüstungsindustrie siehe schon Lora Lumpe & Paul F. Pineo "Do U.S. Arms Sales Cost American Jobs?“, Intersect May 1994, p. 18: im oben dargestellten Sinne bejahend, unter Hinweis auf die im Waffenhandel typischen offset agreements zu Gegenleistungen in Gestalt signifikanter gegenläufiger und Arbeitsplatz-intensiver "ziviler" Warenströme.

 

(2025/9) 24.1.2025
Frankfurter Allgemeine
US-Wahl und Folgen; Andreas Ross‘ Leitglosse „Trumps Blitzkrieg“, Winand von Petersdorffs Kommentar „Trumps Preisfrage“ und Dars Grünbeins „Inauguration“ (Ausgabe v. 21.1.2025, S. 1, 9 u. 15)

Auch unter Blockbustern könnte man ein übergreifendes Muster der Trump-Wahl suchen. Klar, bei der Ähnlichkeit eines Tesla zu Dr. Emmett Browns De Lorean DMC 12 denkt man gleich an „Back to the Future“. Aber nein, es geht hier natürlich weniger um eine Fehlerkorrektur in der Vergangenheit, um danach Gegenwart und Zukunft fairer zu gestalten. Es ist auch nicht das Narrativ von „Eve and the last Gentleman“, wo aus der Vergangenheit induzierte gute Etikette die moderne Partnerwahl befruchtete. Am ehesten passt wohl doch „Star Trek" und nun ein taffes „Beam us back, Scotty!“. Also: ein one-way-reset in eine Vergangenheit, die etwa zwischen Hiroshima und Sputnik für kurze Zeit noch monopolar gedacht werden konnte. Alles das nun als frischer Beginn eines augusteischen Friedens- und Normen-Diktats, damit eines ewig golden geplanten US-Zeitalters. Monopolar heißt dann konsequent auch, das System eigennützig mit allem Nützlichen vollzupumpen, gleichzeitig Isolation aufzutragen, um Energieverluste zu minimieren und um gleichzeitig Xeno-DNA jeder Art – ob in Menschen oder ihren Artefakten – fernzuhalten.

Für die gemessene Lebenszeit des Inaugurierten mag ein solcher Plot stimulierende Effekte triggern, aber doch nur von der Art einer Sumpfblüte. Schlimmer werden die sehr kurzfristigen Folgen für die Partner sein. Nach der Logik des bisherigen Setting wirtschaften sie typischerweise hart am Break-even-Point und mögen ohne ausreichende Anpassungszeit in ihren abrupt gestressten Biotopen zusammenbrechen. Aber genau das ist ja der strategische Witz des Blitzkriegs – kaltblütig bleiben, schneller sein. Trösten wir uns an der eigenen Erfahrung, dass der Blitz eben nichts ist, auf das man bauen sollte.

P.S.
Besonderen Dank für das Einordnen des distanzierenden Hutes in Durs Grünbeins süffigem Gedicht. Tatsächlich war meine erste Assoziation eine andere – Clint Eastwoods Hut aus der "Dollars Trilogy" bzw.
"Trilogia dell'Uomo senza nome". Was für das Deuten nochmals andere Mythen anbieten würde.

 

(2025/8) 23.1.2025
FOCUS
Amtseinführung von Donald Trump; Interview von Marc Brost mit der früheren Botschafterin Emily Haber „Eine Inszenierung politischer Dominanz“ (Ausgabe Nr. 4 v. 17.1.2025, S. 36f)

Eine sehr überzeugende Analyse: Deutschland hat es nicht mit einer Episode zu tun, sondern mit einem langfristigen Trend. Und als beachtlicher Wettbewerber könnten wir besonders hart im Wind stehen, auch nach Trump.

Umso wichtiger, das Geschäftsmodell wetterfest zu kalibrieren. Vermutlich: Weniger Fernhandel bzw. weniger USA und China. Mehr Nah-Handel, sprich EU. Vielleicht aber auch mehr globaler Süden auf Augenhöhe und nach David Ricardo, also im fairen Austausch komparativer Vorteile. Entschlossenes Maßhalten wird angesagt sein – auch, was Energiefresser angeht. Und konsequente Vorsorge bzw. Maintenance anstelle ewiger disruptiver Erneuerung. Bei der Sicherheit von der Rüstung das Nötigste – aber von der Diplomatie das Möglichste. Einige tausend Jahre lehren es: Genau diese Rangfolge ist sowohl entscheidend preiswerter als auch deutlich unblutiger. Trump mag derweil gerne weiter macho-hafte Dominanz inszenieren.

 

(2025/7) 21.1.2025
Süddeutsche Zeitung
Grüne und Verteidigungs- bzw. Rüstungsindustrie;
Roland Muschel „Panzer statt Porsche“, Ausgabe v. 21.1.2025, S. 1

In den Firmenbilanzen wird die schöne Prognose des Ökonomen Achim Wambach aufgehen: Zusätzliches Rüstungsgeschäft verspricht verlässlich schwarze Zahlen. Völlig entgegengesetzt mag sich aber die Statistik der Job-Center entwickeln. Denn etwas anders als es in den Sonntags-Wahlkampf-Reden der nächsten Wochen lauten mag, dürfte die weitere Spezialisierung auf das Waffengeschäft per saldo Arbeitsplätze kosten. Tatsächlich: kosten, nicht schaffen.

Das liegt an einigen Besonderheiten des Waffenhandels. Bezahlt wird häufig nämlich gerade nicht in cash – da sind auch viele umworbene Abnehmer eher knapp bei Kasse –, sondern in gegenläufigen Lieferungen von Rohstoffen, Waren oder Halbfertigwaren. Nun: Die Herstellung oder Bereitstellung dieser Gegenleistungen, die in zumeist vertraulichen offset agreements vereinbart werden, sie ist zumeist deutlich arbeitsintensiver als Waffenproduktion mit ihrer besonders hohen Wertschöpfung. Vermutlich ist Achim Wambach auch eher Betriebs- als Volkswirtschaftler und in seiner Welt hat er sicher Recht. Andreas Schwarz, Fraktionschef der grünen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, sollte aber besser etwas differenzierter hinsehen. Sonst könnte man ihn unversehens als kalten Job-Killer verstehen.

Quelle etwa: Lora Lumpe u. Paul Pineo: "Do U.S: Arms Sales Cost American Jobs?", Intersect May 1994, p.18

 

(2025/6) 20.1.2025
Welt am Sonntag
Herausforderungen aus China und den USA gemäß Ausgabe v. 19.1.2024 (u.a.: Daniel Wetzel u. Benedikt Fuest „Xi Jinping kann Deutschland den Strom abschalten“ u. Interview von Jens Wiegmann mit Michael Link „Deutsche Interessen robust vertreten“, WamS v. 19.1.2025, S. 1 u. 3)

Mittelfristiges De-Risking ist offenbar derzeit in einem 360-Grad-Winkel geboten: China könnte uns den Strom abschalten, die USA Teile des Internets und/oder den nuklearen Schutzschirm; von Russland haben wir uns bereits energetisch abgekoppelt. Höchste Zeit, innerhalb der EU – und dieser Verband und Markt bleibt unser wesentliches Argument – eine Emanzipations-Strategie zu erarbeiten.

Bei allem Sicherheitsstreben sollten wir aber weiterhin möglichst viel von den liberalen Axiomen eines David Ricardo beherzigen. Denn etwa seine Theorie des komparativen Kostenvorteils ist noch heute ein zentraler Pfeiler des deutschen Geschäftsmodells.

Quelle etwa:

https://de.wikipedia.org/wiki/David_Ricardo

 

(2025/5) 17.1.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 21.1.2025
Neue US-Regierung; zu Joseph Bidens Farewell
Address
v. 15.1.2025 bzw. zu Karl Doemens‘ Kommentar „Coup der Milliardäre“ (Ausgabe v. 17.1.2025, S. 4) und zu seinem Bericht „Biden warnt USA vor neuen Oligarchen“ (S. 6)

Die schlechte Nachricht: Dwight D. Eisenhowers sehr berechtigte Warnung von 1961 vor einem die Demokratie bedrohenden militärisch-industriellen Komplex, sie hat keine erkennbaren Auswirkungen gehabt. Und, wie wir wissen, verlangt das Militär gerade wieder sehr selbstbewusst eine neue, signifikant erhöhte Sicherheits-Rendite.

Die etwas bessere Nachricht: Das zumindest ähnlich bedrohliche und in manchen Punkten auch mit dem militärischen Sektor vernetzte Geschäft der Tech-Industrie, das Joseph Biden unter Verweis konkret auf Dwight D. Eisenhower aufgreift, das haben wir eher in der Hand, durch persönliche Abstinenz. Und in dem sicheren Wissen: Die Welt vor der Digitalisierung war unter dem Strich nicht die schlechtere. Zumindest war sie nicht aufgeregter, psychotischer oder leichter verführbar als heute.

Quellen etwa
https://en.wikipedia.org/wiki/Dwight_D._Eisenhower%27s_farewell_address
https://www.archives.gov/milestone-documents/president-dwight-d-eisenhowers-farewell-address (farewell address Dwight. D. Eisenhower v. 17.1.1961), Auszug:

„… This conjunction of an immense military establishment and a large arms industry is new in the American experience. The total influence-economic, political, even spiritual-is felt in every city, every state house, every office of the Federal government. We recognize the imperative need for this development. Yet we must not fail to comprehend its grave implications. Our toil, resources and livelihood are all involved; so is the very structure of our society.

In the councils of government, we must guard against the acquisition of unwarranted influence, whether sought or unsought, by the military-industrial complex. The potential for the disastrous rise of misplaced power exists and will persist.

We must never let the weight of this combination endanger our liberties or democratic processes. We should take nothing for granted. Only an alert and knowledgeable citizenry can compel the proper meshing of the huge industrial and military machinery of defense with our peaceful methods and goals, so that security and liberty may prosper together. …“

https://www.nytimes.com/2025/01/15/us/politics/full-transcript-of-president-bidens-farewell-address.html (farewell address Joseph Biden v. 15.1.2025), Auszug:

„… That’s why my farewell address tonight, I want to warn the country of some things that give me great concern. And this is a dangerous — and that’s the dangerous concentration of power in the hands of a very few ultrawealthy people, and the dangerous consequences if their abuse of power is left unchecked. Today, an oligarchy is taking shape in America of extreme wealth, power and influence that literally threatens our entire democracy, our basic rights and freedoms and a fair shot for everyone to get ahead. We see the consequences all across America. And we’ve seen it before.

You know, in his farewell address, President Eisenhower spoke of the dangers of the military-industrial complex. He warned us that about, and I quote, “The potential for the disastrous rise of misplaced power.” Six dayssix decades later, I’m equally concerned about the potential rise of a tech-industrial complex that could pose real dangers for our country as well. …“

 

(2025/4) 15.1.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, veröffentlicht 16.1.2025  im Internet-Angebot des KStA:
https://www.ksta.de/leserbriefe/leserbriefe-zum-polizeieinsatz-urteil-steuergelder-nicht-verschenken-940880
Polizeikosten bei Hochrisikospielen; Berichte und Kommentar in der Ausgabe v. 15.1.2025, S. 1, 2 u. 4 (Gerhard Voogt „NRW will Fußballklubs nicht für Polizeieinsätze zahlen lassen“; Markus Decker „Länder dürfen Profiklubs zur Kasse bitten“ u. Hendrik Buchheister „Ein Urteil, das keine Probleme löst“)

Beim organisierten Fußball möchte ich unserem Landesminister des Innern ähnlich viel Biss wünschen wie gegenüber Clans, Banden oder organisierter Kriminalität.

Auch wenn ich den kommenden US-Präsidenten nur sehr ungern zitiere: Unter dem Schutzschirm Anderer prächtige Geschäfte zu machen, aber sich bei den Kosten einen schlanken Fuß zu machen – das geht gar nicht! Verluste sozialisieren, Gewinne privatisieren? Klares Nein! Darüber hinaus: Für die Vereine müssen klare Anreize bleiben, präventiv zu deeskalieren, statt klammheimlich den harten Fans schöne Augen zu machen. Alter Grundsatz des Haftungsrechts.

Quellen etwa:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2025/01/rs20250114_1bvr054822.html?nn=68080 (Entscheidung v. 14.10.2025 (Az. 1 BvR 548/22) zu Polizeikosten bei Hochrisikospielen
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/bvg25-002.html (diesbezügliche PM des BVerfG v. 14.1.2025)

Leitsätze der Entscheidung v. 14.1.2025 (Hervorhebungen von mir)

1. Als Gebühren lassen sich öffentlich-rechtliche Geldleistungen verstehen, die aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder eine sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und insbesondere dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken oder deren Vorteil oder deren Wert auszugleichen. Sie beruhen auf dem Aspekt der Gegenleistung, also des Ausgleichs von Vorzügen und Lasten.

2. Die Verfassung kennt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem die polizeiliche Sicherheitsvorsorge durchgängig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden muss. Sie ist keine allgemeine staatliche Tätigkeit, die zwingend ausschließlich aus dem Steueraufkommen zu finanzieren ist. Die Verfassung verlangt auch nicht, Polizeikosten nur Störerinnen und Störern oder solchen Personen aufzuerlegen, die nach den Vorschriften des Polizeigesetzes anstelle der Störerinnen und Störer in Anspruch genommen werden können oder die sich rechtswidrig verhalten.

3. Eine Gebühr ist nur dann angemessen, wenn sie auch tatsächlich als Gegenleistung für eine individuell zurechenbare Leistung erhoben wird. Dabei hat der Gebührengesetzgeber zwar einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen will. Dieser Spielraum ist aber dann überschritten, wenn kein konkreter Bezug zwischen dem gesetzlich definierten Vorzug und dem Abgabepflichtigen mehr erkennbar ist.

4. Die individuell-konkrete Zurechenbarkeit kann insbesondere gegeben sein, wenn die öffentliche Leistung mit konkreten Vorteilen verbunden ist oder individuell veranlasst wurde, insbesondere bei einer das übliche Maß überschreitenden „Sondernutzung“ öffentlicher Sachen mit einer besonderen Inanspruchnahme begrenzter staatlicher Ressourcen.

 

(2025/3) 13.1.2025
DER SPIEGEL
Wahl 2025; Kommentare & Berichte in der Ausgabe v. 11.1.2025 zu diversen Rahmenbedingungen der Bundestagswahl (u.a. Mathieu von Rohr „Gegen Donald Trump hilft nur Stärke“, Matthias Bartsch et al. „Gefahr aus der Luft“ u. Christopher Daase u. Nicole Deitelhoff „Wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kann“)

Putins Augen und Trumps Mundwerk – da fehlt nur noch die rechte deutsche Nase, oder? Diesen Fehler sollten wir schnell aufgeben: geopolitisches Imitations-Lernen. Versuchen wir eher, endlich nüchtern zu bilanzieren: Was ist uns nach 1989 gelungen und was gerade nicht? Viele militärische Erfolgsgeschichten werden wir nicht finden, auch keine durch Waffen getriggerte Stabilität.

 

(2025/2) 8.1.2025
Kölner Stadt-Anzeiger
Bundestagswahl 2025; Ausgaben vom 6., 7. u. 8.1.2025 über bundespolitische bzw. Wahl-relevante Fragestellungen (KStA v. 6.1.2025, S. 1 u. 4: Steven Geyer u. Claudia Lehnen „CDU fordert Arbeitspflicht bei Bürgergeld“ bzw. Steven Geyer „Erste Stadt mit Arbeitspflicht“; KStA v. 7.1.2024: S. 1, 3, 4 u. 5: Claudia Lehnen „Bürgergeld: Debatte um Arbeitspflicht“ u. „Ein Modell auch für NRW?“, Alisha Mendgen „Die CSU wird zum Risiko“ u. „CSU verschärft bei Sicherheit den Ton“, Daniela Vates „Der Wahlkampf als Abstiegskampf“; KStA v. 8.1.2025, S. 5: Christian Rath u. Anne-Béatrice Clasmann „Merz‘ Forderung hat einen Haken“ u. Julia Naue „Grönland und Panamakanal: Trump schließt Militär nicht aus“)

Inmitten von tatsächlichen oder induzierten Krisenzeiten den aktiven Impuls für Neuwahlen zu geben, das sollte unter Strafe gestellt werden – mit Androhung von Haft für mindestens eine Legislaturperiode. 

Zumal ein nun sehr kurzatmiger und marktschreierischer Krisen-Wahlkampf besonders disruptive Parolen ans Tageslicht fördert: Das Drohen mit dem Aberkennen von Bleiberechten für Nicht-Nützlinge, bei anderen gar mit dem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft. Ferner einander verstärkende Rufe nach Arbeitspflichten – ohne jedes verbriefte Recht auf Arbeit. Sodann: Fremdenfurcht und -hass in jeder Schattierung. Egomanische Dritte ergänzen das Schreckensbild um neue Rüstungs- und Gewalt-Phantasien, gegen Schutzgeld. Oder nehmen Partei. Ich denke, das sollte nicht der Lohn sein.

 

(2025/1) 2.1.2025
Kölner Stadt-Anzeiger Lokalteil Leverkusen, abgedruckt 20.1.2025
Stadtentwicklung; Thomas Käding: „Burscheid wartet noch immer auf ein Kernstück des Innenstadt-Umbaus“ (Ausgabe Leverkusen v. 23.12.2024, S. 22)

Es ist schon konsequent, dass der Burscheider Bürgermeister weitere Zuversicht zum geplanten Montanus-Quartier verbreitet. Sind doch er ebenso wie der Rat zum Erfolg der „Neuen Mitte“ verdammt, sofern denn das jahrelange Hintanstellen der alten Mitte irgendeinen Sinn behalten soll. Allerdings liegen bis heute weder ökologische noch ökonomische Vorteile auf der Hand.

Das karge Gras und/oder Moos auf dem Dach, noch dazu im Wettbewerb mit Photovoltaik, und die bauartbedingt doch kleinen Bäumchen und Sträucher, sie werden den bereits realisierten Verlust an relevanter Grünmasse bei Weitem nicht kompensieren. Eben deswegen musste sich die Stadt mit Ausgleichsflächen freikaufen. Und das durfte sie im Sauerland, von wo künftig hier und da auch ein Molekül O2 herüberwehen mag. Und wenn die Photovoltaik auch nur 5% des beträchtlichen Energiehungers der geplanten großen Maschine decken würde, dann wäre es schon viel; geheizt werden soll ohnehin über eine veritable Gas-Therme, für zehn, zwanzig oder mehr Jahre. Zusätzlich wird der vierstöckige Riegel die angestammte Frischluftschneise zwischen dem Luchtenberg-Richartz-Park und dem Altenzentrum Luchtenberg-Richartz-Haus versperren. Und wird im Winterhalbjahr den Kindergarten Schützeneich und seine Gartenfläche weitgehend abschatten.

Aber wirtschaftlich, da wird es sich doch bitte rechnen? Kaum. Anker-Nutzer wird ein Vollsortimenter, der auf robusten Verdrängungswettbewerb setzen muss. Denn in seinem Angebotsfeld ist der Markt bereits zu einem Viertel über Bundesdurchschnitt gesättigt. Mit Montanus werden es dann knapp die Hälfte über Durst sein. Und sobald der bereits emsig vorbereitete weitere Markt in Hilgen hinzu tritt, dann werden wir Burscheider bei rekordverdächtigen zwei Dritteln über normal liegen, die wuchernde digitale Konkurrenz noch gar nicht gerechnet. Da die neu hinzutretenden Marktteilnehmer ihre Ersteinrichtung auf Jahre steuermindernd absetzen werden – und weil wir auch nicht wirklich mehr als bisher werden konsumieren wollen – werden wir den neuen Konsum-Tempel weitgehend aus der Stadtkasse abstottern, zum Nachteil von anderen kommunalen Ausgaben. Etwa für unsere Kultur. Oder für gute Straßen und Wege, auch in der alten Mitte.

P.S.:

Vincenz Jakob von Zuccalmaglio müsste mit hoher Drehzahl im Grabe rotieren, sobald er seinen nom de guerre bzw. Künstlernamen „Montanus“ mit dem aus dem Französischen abgeleiteten „Quartier“ (für Stadtteil) verbunden sähe.

Obwohl oder gerade weil Vincenz' Vater Jakob Salentin von Zuccalmaglio Schlebuscher Maire in der Franzosenzeit (und sehr flexibel nach dem Zusammenbruch der französischen Herrschaft dann auch Bürgermeister) gewesen war, prägte dieser Sohn offenbar einen kämpferischen Patriotismus und einen unversöhnlichen Hass gegen die westlichen Nachbarn aus, siehe etwa Stephan Laux, Vincenz von Zuccalmaglio (1806-1876). Zum mentalen Profil eines »katholischen Patrioten« im 19. Jahrhundert, https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb3/prof/GES/LG1/Bilder_allgemein/Allgemein_Laux/Aufs%C3%A4tze_Prof._Dr._Laux/laux__zuccalmaglio__2004_.pdf,

Auszug Laux mit Zitat v. Z. (S. 93): Er stand damit nicht etwa im Banne einer bloß vorübergehenden, im Kontext des Deutsch-Französischen Krieges allgemein aufgewallten Frankophobie, sondern demonstrierte eine Grundüberzeugung. "Was meine Schriften betrifft", so hatte Zuccalmaglio schon 1855 anlässlich der Verleihung des "Roten Adlerordens" dargelegt, "so hatten dieselben den Zweck, vaterländische Gesinnung, Vertrauen zur Regierung zu erwecken und die von Jünglingstagen an gehegte Liebe und Anhänglichkeit für das Haus Hohenzollern zunächst unter meinen bergischen Heimatgenossen zu wecken und zu verbreiten. Es war da natürlich zunächst meine Aufgabe, die Gallomanie meiner Heimatgenossen zu bekämpfen."

Vermutlich ist es bei der zitierten Namensschöpfung in Burscheid nicht so recht im Blick gewesen: Auch Vincenz von Zuccalmaglio gehörte – nicht ganz unvergleichbar dem Ernst Moritz Arndt der EMA-Schule – zu den gedanklichen Wegbereitern blutigster Nachbarkriege aus vergangener Zeit. Bruchlos passt er jedenfalls nicht mehr in unsere Epoche. Oder in das neue Quartier.

 

(2024/80) 30.12.2024
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 11.1.2025
Wahl 2025; zum Pro & Contra bzgl. des Musk-Gastbeitrags in der Welt am Sonntag, konkret zu Michael Kohlers Pro = „Keine Frage der Moral“ (Ausgabe v. 30.12.2024, S. 20)

Leider ist es kein historisches Novum, wenn ein sehr dynamischer US-Auto-Tycoon den Influencer für eine radikale deutsche Bewegung gibt. Henry Ford hatte sehr Ähnliches geleistet und heftete sich noch 1938 (!!!) stolz die höchste zivile Auszeichnung des inzwischen etablierten NS-Regimes an die Brust, den Adlerorden. Sein boshaft antisemitisches Werk „The International Jew, The World’s Problem“ hatte bereits den noch halbstarken Nazis als Fundgrube gedient; ein Jahrzehnt später sollten am Rhein endgefertigte Ford-Laster das logistische Rückgrat der deutschen Sudeten-Invasion werden.

Weitere Parallelen: „America First“ gab’s damals schon, mit einem höchst konservativen Netzwerk. Dafür warb auch Charles Lindbergh – der umjubelte Atlantikflieger und ein weiterer renommierter Adler-Preisträger, ausgestattet mit einer extrem technokratischen Weltsicht. Zum Dunstkreis hatte ferner der US-Militärattaché Truman Smith gezählt, der bereits in der Zwanzigern Hitler unschätzbare Hilfe hatte zukommen lassen, und zwar über den in beiden Ländern hervorragend vernetzten Deutsch-Amerikaner Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl: Hitler-Coach, Mitfinanzier der Startauflage von „Mein Kampf“ und späterer Auslandspressechef der NSDAP. 

Sicher: Geschichte wiederholt sich nicht. Aber, wie es Mark Twain formulierte, sie reimt sich immerhin. Es lohnt, vorsorglich in die dunklen Ecken hinein zu leuchten.

Quellen etwa:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_internationale_Jude
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hanfstaengl
Max Wallace, The American Axis (New York 2003), insbesondere S. 239ff, im Volltext unter
http://reparti.free.fr/wallace2003.pdf

Anm.:
Auf eine berechtigte Nachfrage aus Köln möchte ich den missverständlichen ersten Absatz wie folgt ergänzen:

… Henry Ford hatte sehr Ähnliches geleistet und heftete sich noch 1938 (!!!) stolz die höchste zivile Auszeichnung des inzwischen etablierten NS-Regimes an die Brust, den Adlerorden. Sein boshaft antisemitisches Werk „The International Jew, The World’s Problem“ hatte bereits seit 1922 den noch halbstarken Nazis als Fundgrube gedient; mehr als ein Jahrzehnt später sollten am Rhein endgefertigte Ford-Laster das logistische Rückgrat der deutschen Sudeten-Invasion des Jahres 1938 werden.

Zum Hintergrund, auch zur Münchner Konferenz am 29./30.9.1938, die der militärischen Besetzung unmittelbar vorausgegangen war, siehe etwa https://de.wikipedia.org/wiki/Sudetenkrise. Und wenn man das Ganze als Treppenwitz der Weltgeschichte nachverfolgen möchte, siehe etwa https://uliswahlblog.blogspot.com/2013/08/isaf-und-der-3-juli-1979.html m.w.N

 

(2024/79) 29.12.2024
RGA / Volksbote, der unten folgender Beitrag wurde abgedruckt am 2.1.2025 (S. 21)
Anfrage des Volksboten v. 20.12.2024 zu den Erwartungen für das Jahr 2025

Text der Anfrage war:

Zum Jahresende blickt man ja gerne zurück und voraus. Das will auch ich im Bergischen Volksboten tun und dabei von ein paar Leuten wissen, wie es ihnen ums Herz ist. Geplant ist dann ein O-Ton-Bericht.

„Krieg, Flucht, Rechte im Aufwind, eine gescheiterte Regierung – derzeit gibt es wenig Anlass, optimistisch zu sein. Blicken Sie dennoch mit Zuversicht auf 2025 und warum?“

Beitrag:

Lassen wir die Kirche im Dorf! Ich gebe zu, nach den schrecklichen Details zu Magdeburg habe ich kurz gezögert. Aber ich bleibe dabei: Besonnenheit und nüchternes Augenmaß bleiben das Gebot der Stunde. Damit aus wirren Emotionen etwas Zuversicht wachsen kann. Und nicht zuerst Angst, verbunden mit haltbarem Hass. Aber die angesprochenen Punkte Krieg und Flucht, neue Rechte und Ampel-Aus, die verdienen schon genaueres Hinsehen:

Krieg & Flucht. Wir haben viel damit zu tun.

Zunächst: Betrachten wir einmal nüchtern unsere Selbstbilder und Feindbilder; sie haben es verdient.

Seit Beginn der Neunziger Jahre – oder: nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – haben westliche Staaten und dabei zumeist auch Deutschland eine sehr expansive Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt, u.a. in Auslandseinsätzen mit dem berühmten „scharfen Schuss“. Der größere Teil der Einsätze hat die Ziele nicht erreicht. Beispiele: 1999 wurde die erste europäische Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg bombardiert, mit vielen hundert zivilen Toten. Es war Belgrad. Die Afghanistan-Mission wurde – wie 20 Jahre vorher bereits in Somalia – in großer Hast evakuiert. Heute gelten ein großer Teil des Nahen und Mittleren Ostens und des nördlichen Afrika als deutlich instabiler als zuvor. Alles das hat – neben weiteren Ursachen – Migrationsdruck aufgebaut. In dem häufig zitierten Jahr 2015 war der größte Anteil Asylsuchender gerade vom Balkan zugeflossen. 

Meine Hoffnung beruht darauf: Wir können und wir sollten diese jüngere außenpolitische Vergangenheit öffentlich evaluieren – Afghanistan ist ein Anfang. Und wir können Wiederholungen vermeiden. Weiter: Keine Frage, Putins Politik ist unerträglich und der Ukraine-Krieg mit seinen Abertausenden Opfern, der muss enden. Nur wird er nicht beendet, solange wir uns stolz auf der unfehlbaren Seite sehen. Und auch das Fliehen, es würde nicht enden.

Rechte im Aufwind? Ja, das ist so.

Eine anwachsende Rechte überrascht nicht. Warum bitte sollte der Trend hier anders sein als etwa in den Niederlanden und Frankreich, auch als in einigen Staaten Osteuropas? Selbst der Nahbereich zeigt schon lange dazu passende Anhaltspunkte: Vor 20 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Nordrhein-Westfalen einmal ein Heimatministerium hervorbrächte – und ich selbst habe schon hochmotiviert beim Gewinn von Heimatpreisen mitgewirkt. Weiter: Im Burscheider Stadtrat sind Parteien eines mitte-linken Spektrums heute marginalisiert. Ganz offenbar verspricht eine eher konservative Weltsicht in Zeiten, die viele als sehr unübersichtlich wahrnehmen, die größere Sicherheit. Und natürlich: Wahlen werden nicht über den Kopf gewonnen, sondern über den Bauch. Dass Parteien Besorgnisse nutzen und dann in Wahlkampf-Botschaften umsetzen, das ist nur menschlich.

Was aber tun? Im Grunde haben es die Gegen-Rechts-Demonstrationen vor der Europawahl gezeigt, dabei auch ein ganz neues Potenzial: Die Bürgerinnen und Bürger warten darauf, aktiviert zu werden. Dazu muss man sich nur ein wenig von der traditionellen Vorstellung lösen, die besten Ideen und das tiefste Ortswissen lägen bei der Obrigkeit oder bei Experten und Beratern. Professionalisieren wir die Stadtgesellschaft – die wir ohnehin für viele Aufgaben brauchen –, dann steht weitere Durchsicht und Zuversicht zu erwarten. Es ist dann wie in der Schule: Viel Training mit realen Bezügen bewirkt das meiste.

Die Ampel und ihr Aus. Keine Ampeln mehr?

Schlimmer als das Ampel-Aus selbst ist das unwürdige Gezerre davor wie danach. Diese Regierung wurde nicht sachlich widerlegt oder von besser belastbaren Konzepten aus dem Feld geschlagen. Sie wurde schlicht verdaut, in einem stark säurehaltigen Prozess, an dem die gerne so genannte vierte Gewalt – die Medien – leider auch einen gewissen Anteil hatte. 

Hier habe ich tatsächlich die geringsten Hoffnungen auf ein Happy End alten Stils. Die Zeit fester Bindungen in der Wählerschaft und auch innerhalb der Parteien könnte zunächst vorbei sein und damit auch die gut eingeübte Rollenteilung zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Minderheitsregierungen mögen auch in Deutschland von der Ausnahme zur Regel geraten. Den Untergang des Abendlandes muss man aber nicht gleich ausrufen: Der Versuch, sich jeweils im Einzelfall zu einer Sachfrage zusammen zu raufen, der wäre kein Verstoß gegen das parlamentarische Prinzip oder gegen das Modell einer repräsentativen Demokratie. Allerdings würden wir Bürgerinnen und Bürger von einem solchen Prozess der aktiven Mehrheitssuche mehr mitbekommen als bisher. Das wäre nicht der schlechteste Aspekt.

Fazit: Do it yourself!

„Hoffnung“ oder „Zuversicht“? Für mich ist die Zuversicht etwas weniger wundergläubig. Die Hoffnung legt gerne auch mal die Hände in den Schoß und delegiert die Zukunft auf andere „Hoffnungsträger“. Zuversicht dagegen klingt aktivierend wie „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ Meine Meinung: Verbreitern wir entschlossen die Basis derjenigen, die konstruktiv über die Entwicklung unseres Landes und unserer Stadt nachdenken. Ich bin zuversichtlich: Da ist noch viel Luft nach oben. Und beim Frust ist einige Luft nach unten.

 

Und ein paar Sammlerstücke aus früheren Jahren:

 

Die Mutter aller [meiner] Leserbriefe zur Außen- und Sicherheitspolitik:

 

29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (Kölner Stadt-Anzeiger. v. 29.9.1992)

Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.

 

Und der am weitesten gereiste Leserbrief:

 

22.08.1995
NIKKEI WEEKLY, JAPAN; abgedruckt 28.8.1995
Militärpolitik; Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki; THE NIKKEI WEEKLY of August 14, 1995

I refer to reports on WW II and especially to two letters to the editor printed in THE NIKKEI WEEKLY of August 14, 1995. It is my impression that those two letters offer a unilateral and quite insulting interpretation of the motives behind the drop of atomic bombs onto Hiroshima and Nagasaki fifty years ago (e.g. N. Hale: "a merciful decision"). So, I would like to show an alternative view:

It is certainly true that Japanese military leaders commenced the hostilities against the USA. But the Japanese victims at Hiroshima and Nagasaki were in their vast majority civilians. And although they were victims, I am far from sure they were the real addressees of the bombs as well. There is quite a convincing hypothesis: The drop of the bombs in the first place aimed at impressing the counterparts of Truman at the Potsdam Conference of July/August 1945 – Truman, a just invested and still very uneasy-feeling American president. To add: according to now opened American files the Nagasaki bomb was also meant to test a completely redesigned ignition system.

The echoes of that demonstration of power strongly outlived that event. We hear them over and over again – from Iraq, from France, from China etc. So, humanity will never forget those victims, even if some wanted to.

 

Weitere Leserbriefe

2024 / 2023 / 2022 / 2021 / 2020 /

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Oder auch ein paar Briefe für
Englisch-sprachige Medien.

Gerne meine >150 Leserbriefe, die zum Thema Außen- und Sicherheitspolitik, Auslandseinsätze bzw. „out of areaveröffentlicht worden sind.

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